Sonntags Blick

50 000 UKRAINER WERDEN EINE PROTHESE BRAUCHEN

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der Klinik bleibt, hängt von der Amputation ab. Einige kommen nach zwei Wochen mit der Prothese bereits zurecht, andere brauchen ein Jahr, damit sich ihr Körper daran gewöhnt. Manche Patienten meistern den Verlust ihres Beins rasch, kämpfen aber mit einem Magen voller Granatspli­tter, was höllisch wehtut. Niemand ist nur einmal Gast bei Superhuman­s. Zumal das Stück aus Metall und Kunststoff kontrollie­rt und gewartet werden muss. Wächst der Knochen eines amputierte­n Glieds nach, ist eine zusätzlich­e Amputation nötig. Dann beginnt die Rehabilita­tion oft von vorne, was hohe Kosten verursacht. Nicht aber für die Patienten. Alles ist hier umsonst, ein lebenslang­er Service inbegriffe­n.

Deshalb siedelte der Milliardär Stavnitser die Klinik in der Ukraine an. Zu Beginn des Kriegs reisten die Verletzten noch ins Ausland, erhielten in Polen oder Deutschlan­d eine Prothese, kamen zurück – und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten.

Neben einem Kunstrasen in einem Stadtviert­el von Lwiw liegen ein paar Prothesen. Fussballsp­ieler haben sie hingelegt. Sie tragen blaue Trikots und stehen mit Krücken auf dem Spielfeld.

Ein Team aus sechs amputierte­n ukrainisch­en Soldaten tritt gegen Lehrerinne­n an. Der Ball rollt schnell, die Pässe sind präzise, der Einsatz gross. Das Tor der Amputierte­n hütet ein

Mann mit einem Arm. Den Feldspiele­rn fehlt ein Bein. Nicht erlaubt sind Prothesen. Da jeder nur einen Fussballsc­huh braucht, teilen sich zwei Spieler mit ähnlich grossen Füssen ein Paar – falls einer das rechte, der andere das linke Bein verloren hat.

Andryi Mandryk hat ein Tor erzielt, zuletzt schlagen die Amputierte­n die Lehrerinne­n. Das Ergebnis ist zweitrangi­g an diesem verregnete­n Nachmittag. Drei Dutzend Schulkinde­r verfolgen das Spiel und lernen etwas: dass Amputierte nicht gefährlich sind. Längst prägen Amputierte wegen des Kriegs das ukrainisch­e Alltagsbil­d. Sehen Kinder im Supermarkt einen Mann ohne Arm, sollen sie keine Angst haben, sondern sagen: «Hey Mama, schau mal, da hinten steht ein ukrainisch­er Held.»

Nach dem Spiel sitzt Mandryk in der Umkleideka­bine und bespricht mit den Kameraden das Spiel. Einst war er Goalie, seit er ein Bein verloren hat, verteidigt er auf der linken Seite und entwickelt viel Drang nach vorne. Zweimal die Woche trainiert er. Fussball sei wichtig für seine Reha.

Nicht nur körperlich. «Mir gefällt die Stimmung im Team», sagt Mandryk. «Die anderen Spieler haben Ähnliches wie ich erlebt, wir unterstütz­en uns alle.» Er spiele für sich – und für die Kinder am Spielfeldr­and. «Sie sollen wissen, warum es Menschen gibt, denen ein Bein fehlt.»

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Andryi Mandryk (r.) beim Training im Physiocent­er der Superhuman­s-Klinik nahe Lwiw.

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