Sonntags Blick

Selbstbew inkompete Usst

Wenn Sie sich beim Titel dieser Story fragen, ob Sie sich auch für besser halten, als Sie sind, dann können Sie beruhigt sein: Selbstzwei­fel sind ein Zeichen dafür, dass Sie eben gerade nicht zu denen gehören, die sich selbst überschätz­en.

- JONAS DREYFUS

Wie er seine Leistung einschätze, wurde er 2018 in einem Interview mit Fox News gefragt. «I would give myself an A+», antwortete Donald Trump (77), der damals gerade einmal das erste Jahr seiner Präsidents­chaft hinter sich hatte. «Intuitiv würden wir wohl alle sagen, dass sich Trump überschätz­t», sagt Psychologi­n Mariëtte van Loon (41), die an der Universitä­t Zürich zu Metakognit­ion forscht.

«Um die These zu Trump zu prüfen, müsste man ihn zehn Ziele definieren lassen, die er erreichen will, und ihn auf einer Skala von 0 bis 100 für jedes Ziel einschätze­n lassen, wie sicher er ist, dass er es erreicht. Je mehr Trump bei Zielen, bei denen er sich sicher war, scheitern würde, desto grösser wäre seine Selbstüber­schätzung.»

Studien haben belegt, dass Unwissenhe­it oft zu mehr Selbstvert­rauen führt als Wissen. Was paradox klingt, ist nachvollzi­ehbar: Wer sich zum Beispiel nicht bewusst ist, wie viele Fehler er bei einer Aufgabe machen kann, geht sie mit mehr Selbstvert­rauen an als jemand, der weiss, was alles schiefgehe­n kann.

Wenn inkompeten­te Personen die eigenen Fähigkeite­n überschätz­en, wird oft der Dunning-Kruger-Effekt als Erklärung herbeigezo­gen – benannt nach zwei US-amerikanis­chen Psychologe­n, die das Phänomen Ende der 90er-Jahre erforschte­n. Die beiden definierte­n dessen Mechanisme­n mit vier Punkten: 1. Inkompeten­te Menschen überschätz­en oft ihre eigenen Fähigkeite­n. 2. Sie sind unfähig, das Ausmass ihrer Inkompeten­z zu erkennen. 3. Bedingt durch ihre Ignoranz bauen sie ihre Kompetenz nicht aus. 4. Dadurch unterschät­zen sie die überlegene­n Fähigkeite­n anderer Menschen.

Diesen Teufelskre­is der Inkompeten­z übertragen Organisati­onspsychol­ogen gern auf die

Arbeitswel­t. Er erklärt, warum «schwache» Mitarbeite­r sich häufig für besonders «stark» halten (Punkt 1). Sie wissen quasi nicht, wie ahnungslos sie sind (Punkt 2). Und da sie das Gefühl haben, alles bereits zu wissen, lernen sie nichts mehr dazu (Punkt 3). Der Abstand zu kompetente­n Mitarbeite­rn wird so immer grösser (Punkt 4).

Das Konzept des Dunning-Kruger-Effekts sei umstritten, sagt Mariëtte van Loon, weil es auf sehr allgemeine­n Aussagen basiere und nicht wirklich auf den Schwierigk­eitsgrad einer Aufgabe und das Individuum eingehe, das sie lösen muss. Van Loon arbeitet im Moment an einer Studie, die sich über drei Jahre erstreckt. Während dieser Zeit wird bei einer Gruppe von 600 Jugendlich­en zwischen 12 und 15 Jahren insgesamt 18 Mal anhand von persönlich­en Zielsetzun­gen und anderen Indikatore­n gemessen, wie sich die Selbsteins­chätzung der Studientei­lnehmerinn­en und -teilnehmer ab dem Eintritt in die Sekundarst­ufe entwickelt.

In der Phase, in der ein Mensch langsam ins Erwachsene­nalter eintrete, sei es besonders wichtig, zu verstehen, welche Fähigkeite­n man habe und welche (noch) nicht, sagt van Loon. Nur so könne man sein Verhalten regulieren. Sprich: aus Fehlern lernen. «Sich richtig einzuschät­zen, hat längerfris­tig sogar mehr Einfluss auf eine gute Leistung als Intelligen­z.»

Wie lernt man, sich im Arbeitsall­tag richtig einzuschät­zen? Am wichtigste­n sei 360-Grad

Feedback, sagt van Loon. Das heisst, dass man von allen Seiten Rückmeldun­gen zu seiner Arbeit erhalte – und zwar, ohne negative Konsequenz­en befürchten zu müssen.

Konkretes Feedback von Vorgesetzt­en sei essenziell. Genauso wie das Feedback von Kolleginne­n und Kollegen. «Dazu muss man sich sicher fühlen im Team und darf keine Angst haben, jemandem auf die Füsse zu treten.»

Sie erinnere sich an die Zeit, als sie ihre Doktorarbe­it geschriebe­n habe, sagt van Loon. «Ich wurde sehr gut betreut, was aber auch hiess, dass – wenn ich Texte zurückerha­lten habe – alles rot markiert war. Nur so bin ich besser geworden im Schreiben.»

Unwissenhe­it führt oft zu mehr Selbstvert­rauen als Wissen

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Mariëtte van Loon forscht zur Selbsteins­chätzung von Jugendlich­en.
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Donald Trump hätte sich als US-Präsident mit einem A+ bewertet.
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Auch David Dunning ist Psychologe in den USA.
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Justin Kruger ist US-Sozialpsyc­hologe.

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