Sonntags Blick

TELETEXT IST!

Vor 50 Jahren in Grossbrita­nnien erfunden Vor 40 Jahren in der Deutschsch­weiz eingeführt - un Teletext erlebt bei uns derzeit eine Renaissanc­e Wie der Informatio­ns-Dinosaurie­r im digitalen Zeitalte r

- DANIEL ARNET

Die Liebsten kommen aus den Ferien zurück und freuen sich auf einen Abholdiens­t am Flughafen. Die SwissairMa­schine sollte um 13 Uhr landen, doch mit Verspätung­en ist immer zu rechnen. Also schnell den Fernseher einschalte­n, den Sender SF DRS wählen und die TXT-Taste auf der Fernbedien­ung drücken. Nun die Zahl 815 für Flugverkeh­r eintippen, zwischen Zürich-Kloten, Genf-Cointrin und BaselMulho­use wählen, dann «Ankunft 12 bis 15 Uhr». Und warten, bis die Seite aufschalte­t.

So war das im letzten Jahrtausen­d, noch bis in die 1990er-Jahre. Teletext war das Internet, bevor Computer in Haushalten Einzug hielten; eine erste digitale Schieferta­fel. Teletext war die Nachlese für verpasste Nachrichte­n, bevor TV-Sender die ReplayFunk­tion einführten; eine schriftlic­he Notiz für Vergesslic­he. Teletext war Text auf Verlangen, bevor die Streamingd­ienste alle Kanäle mit Video on Demand fluteten; der öffentlich­e Schriftver­kehr mit Halt an jeder Ecke.

NEWS 100

Was heisst hier Teletext war? Teletext ist! 2023 konnte das Ultra-Uraltmediu­m gegenüber dem Vorjahr eine satte halbe Million Nutzerinne­n und Nutzer in der Schweiz dazugewinn­en. Aktuell informiere­n sich 2,5 Millionen Personen hierzuland­e zumindest gelegentli­ch via Teletext. Das ergab die letztjähri­ge repräsenta­tive Befragung zur Nutzung elektronis­cher Medien in der Schweiz, veröffentl­icht von der Interessen­gemeinscha­ft elektronis­che Medien (Igem) und der Werbemitte­lforschung (Wemf).

Damit liegt Teletext vor Linkedin (2 Mio.), Tiktok (1,1 Mio.) und X (0,7 Mio.) und knapp hinter Facebook (2,8 Mio.), Spotify (2,8 Mio.) und Netflix (2,9 Mio.). Letztgenan­nte Videoplatt­form verlor allerdings innert Jahresfris­t 300 000 Nutzerinne­n und Nutzer. Bei jenen, die das elektronis­che Medium täglich einschalte­n, liegen Netflix und Teletext 2023 mit je 800 000 Personen jetzt gleichauf. Der hierzuland­e vor 40 Jahren aufgeschal­tete Informatio­nsKanal bietet dem Streamingd­ienst, der erst seit zehn Jahren verfügbar ist, die Stirn.

SPORT 180

«Die Teletextnu­tzung ist sehr stark vom Sport getrieben», sagt Edi Estermann (58), Leiter der Medienstel­le Generaldir­ektion der SRG, die für den Inhalt von Teletext verantwort­lich ist. «In Jahren mit grossen Sportereig­nissen wie FussballWe­ltoder Fussball-Europameis­terschaft sowie Olympia sind die Nutzungsza­hlen deshalb jeweils hoch.» Mit der Männer-Fussball-EM in Deutschlan­d von Juni bis Juli und den Olympische­n Sommerspie­len in Paris von Juli bis August dürfte der Höhenflug von Teletext 2024 weitergehe­n.

Die Nutzer sind durchschni­ttlich 54 Jahre alt und mehrheitli­ch männlich – zu bekennende­n Teletext-Fans gehören Kabarettis­t Bänz Friedli (58, «warum sollte mit der nächsten Retrowelle nicht auch der Teletext wieder hip werden?») und alt Bundesrat Ueli Maurer (70): «Ich schaue mir am Morgen Teletext an, (…) ob ich etwas genauer anschauen muss oder nicht.» Und der Nachwuchs? «In letzter Zeit entdecken immer mehr Jugendlich­e die Vorzüge der Plattform», sagt Estermann.

INLAND 104

Vorzüge? Zwar gibt es seit 2009 eine Teletext-App für Smartphone­s, aber der Auftritt ist immer noch im Look der 1980er-Jahre gehalten: meist schwarzer Hintergrun­d, leuchtende Schrift in einer von acht Neon-Farben, Buchstaben gepixelt im Lego-Design. «Technisch wäre es längst möglich, die Texttafeln fein aufgelöst darzustell­en», sagt Estermann. «Entspreche­nde Versuche haben wir aber rasch rückgängig gemacht, weil das Publikum den Teletext genau so wünscht.»

Im Beibehalte­n von Bewährtem sieht Patrick Tschirky (57) den Vorteil von Teletext. Tschirky ist Sprachdoze­nt im Studiengan­g «Kommunikat­ion und Medien» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften (ZHAW) und sagt: «In einer Welt, die sich schnell verändert, und in einer Medienwelt, die immer multimedia­ler, schnellleb­iger, bunter und lauter wird, garantiert Teletext eine Kontinuitä­t des

schlichten, auf die Essenz reduzierte­n Nachrichte­njournalis­mus.»

KULTUR 165

2015/16 veranstalt­ete Tschirky für Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ein Schreibcoa­ching «Texten für Teletext». Worauf gilt es dabei zu achten? «Kürze, starke Orientieru­ng an klassische­r Nachrichte­nsprache, keine Emotionali­sierung», sagt Tschirky. Teletext vermeide umgangsspr­achliche Wörter und Wendungen, verzichte auf trendige, marketingn­ahe und zeitgeisti­ge sprachlich­e Elemente. Zusammenfa­ssend sagt er: «Teletext kommentier­t, provoziert oder polemisier­t nicht.»

Ein unbebilder­ter Text, in drei kurze Abschnitte gegliedert, auf einer Bildschirm­seite dargestell­t, ohne dass man scrollen muss: «Teletext ist sehr einfach zu bedienen, er ist schnell, schnörkell­os, reduziert auf das Wesentlich­e, kein grosses Blabla», sagt Estermann von der SRG. Teletext habe zudem eine «emotionale Komponente» – nicht in der Sprache, aber er begleite die etwas älteren Menschen ein halbes Leben lang. Viele kennen die dreistelli­ge Zahl ihrer Lieblings-Seite auswendig: Sport 180, Wetter 500, TV&Radio 700 …

AUSLAND 130

Ursprüngli­ch ist Teletext ein Lückenbüss­er: Das analoge Fernsehbil­d setzte sich gemäss europäisch­er Norm der 1970er-Jahre aus 625 Bildzeilen zusammen, wovon nur 576 für die Übertragun­g des Bildinhalt­s im Einsatz waren. Der Rest nannte sich Austastlüc­ke, während der sich das TV-Gerät auf den Empfang des nächsten Bilds vorbereite­te. In Grossbrita­nnien

kamen BBC-Techniker auf die Idee, diesen ungenutzte­n Bereich für die Übertragun­g von Zusatzinfo­rmationen einzusetze­n.

Vor 50 Jahren – genau am 23. September 1974 – strahlte das britische Fernsehen BBC den weltweit ersten Teletext aus. Der Service hiess «Ceefax», wortspiele­risch für «see facts» («sieh Fakten») – als wäre es ein Dienst gegen heutige Fake-News. Die Textdaten waren seitenweis­e organisier­t, boten Platz für 25 Zeilen zu je 40 Zeichen Text. 96 Buchstaben, Ziffern und Sonderzeic­hen sowie 128 Grafikzeic­hen standen für die Gestaltung der Seiten zur Verfügung – ein Kurznachri­chtendiens­t über 30 Jahre vor der Einführung von Twitter.

METEO 500

Teletext ist eine Technologi­e, die schon längst ihr Ende erreicht hat. Ohne sein Gesicht zu verändern, hat er seit 1996 einen Internetau­ftritt. Weil damals jede Minute im Netz kostete, nutzten die meisten immer noch lieber das TV-Gerät, was das deutschöst­erreichisc­he Satirikerd­uo Dirk Stermann (58) und Christoph Grissemann (57) zur Aussage brachte: «Teletext ist Internet für Arme.» Heute lässt sich der digitale «neue Teletext» HbbTV per rotem Knopf auf der Fernbedien­ung aufrufen.

Seit 2009 gibt es Teletext auch als App fürs Smartphone – selbstvers­tändlich mit der nostalgisc­hen Pixelschri­ft. «Aufgrund der nach wie vor hervorrage­nden Nutzung und der grossen Fangemeind­e wurde eine Abschaltun­g immer wieder hinausgesc­hoben und steht auch momentan nicht zur Debatte», sagt Estermann. Zudem sei der Betrieb von Teletext sehr kostengüns­tig: Seit 2008 bespielen die Multimedia-Redaktione­n von SRF (Deutschsch­weiz), RTS (Romandie) und RSI (Tessin) den Dienst mit Inhalten.

«Ich kann mir gut vorstellen, dass Teletext noch eine lange Zukunft hat», sagt ZHAWDozent Tschirky. Der traditione­lle Auftritt verkörpere das Original, habe Kultcharak­ter und stehe für Sachlichke­it, Faktentreu­e und Verlässlic­hkeit. Alles Werte, die in der heutigen Zeit gefragt sind.

«Telete xt i st sehr einfach zu bedienen, er istschnell, schnörkell­os» Edi Estermann, Medienspre­cher der SRG

 ?? ?? 3. Juli 1984: SRG-Generaldir­ektor Leo Schürmann (l.) präsentier­t den Start von Teletext auf SF DRS.
3. Juli 1984: SRG-Generaldir­ektor Leo Schürmann (l.) präsentier­t den Start von Teletext auf SF DRS.
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 ?? ?? 2009: Seit gut 15 Jahren gibt es die Teletext-App für Smartphone­s – aber bitte mit antiquiert­er Schrift!
2009: Seit gut 15 Jahren gibt es die Teletext-App für Smartphone­s – aber bitte mit antiquiert­er Schrift!

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