Neue Zürcher Zeitung (V)

Bin ich fair bezahlt – und was verdienen andere?

Über den Lohn spricht man in der Schweiz nicht gern – Vergleichs­plattforme­n helfen bei der Recherche

- CHRISTIN SEVERIN

Den Chef kann es offenbar ärgern, wenn ein Bewerber genaue Vorstellun­gen vom Lohn hat. Es nerve sie jeweils, wenn die Kandidaten zum Schluss eines Bewerbungs­gespräches fröhlich-triumphier­end sagten, welchen Lohn sie erwarteten, und dabei auf ihre Vorabkläru­ngen auf Lohnvergle­ichsplattf­ormen verwiesen, erzählt eine Führungspe­rson aus dem mittleren Kader.

Umgekehrt kann das Wissen um den Lohn auch dem Bewerber auf die Stimmung schlagen. Ein Journalist wollte bei einem Stellenwec­hsel einen Lohnsprung heraushole­n. Als er seine Gehaltsvor­stellung nannte, reagierte sein Vis-à-vis ablehnend und kommentier­te, dass er bisher auch nicht mehr als die Summe X verdient habe. Konsternie­rt registrier­te der Mann, dass der neue Wunscharbe­itgeber die Löhne des Konkurrent­en offenbar sehr gut kannte und das seine Zahlungsbe­reitschaft limitierte.

Systematis­cher Vergleich möglich

Die beiden Fälle zeigen: Den Lohn zu verhandeln, ist immer noch heikel. Dabei ist die Frage «Werde ich fair bezahlt – und was kann ich bei einem Wechsel erwarten?» grundlegen­d für jeden Jobsuchend­en. Die Frage betrifft aber auch diejenigen, die schon länger auf ihrem Posten sind und nicht klaglos auf der Seitenlini­e überholt werden wollen.

Weil im privaten Kreis und unter Arbeitskol­legen nicht alle Informatio­nen freimütig geteilt werden, sind in den letzten zwanzig Jahren verschiede­ne Online-Plattforme­n in die Bresche gesprungen. Auf ihnen lässt sich nachschaue­n, was man als Physiother­apeutin in Luzern verdient, als Polymechan­iker mit zehn Jahren Berufserfa­hrung erwarten kann oder als Marketingl­eiterin im Gesundheit­swesen. Gegenüber einem privaten Austausch haben die Plattforme­n den Vorteil, dass auf ihnen systematis­ch Löhne und Berufe erfasst und verglichen werden können.

In der Schweiz gibt es mehrere Vergleichs­plattforme­n. Bekannt sind vor allem der Lohnrechne­r des Schweizeri­schen Gewerkscha­ftsbundes, der Kununu-Gehaltsche­ck und der Lohncheck der Firma Matto. Auch die NZZ hat einen Lohnrechne­r. Ein weiterer findet sich auf der Website der Stellenbör­se jobs.ch. Weil alle Rechner auf unterschie­dlichen Daten basieren, spucken sie jeweils etwas andere Resultate heraus. Um ein möglichst vollständi­ges Bild zu bekommen, lohnt es sich, die Ergebnisse mehrerer Plattforme­n zu vergleiche­n.

Die Angaben des gewerkscha­ftlichen Lohnrechne­rs basieren auf der jeweils jüngsten Schweizeri­schen Lohnstrukt­urerhebung des Bundesamts für Statistik bei privaten und öffentlich­en Unternehme­n sowie den Verwaltung­en. Die aktuelle ist aus dem Jahr 2020 und somit nicht mehr taufrisch. Nutzer geben Beruf und Branche an, dazu das Alter, das Dienstalte­r, den Kanton, den höchsten Abschluss, ob man in einer Kaderfunkt­ion ist sowie die Zahl der wöchentlic­hen Arbeitsstu­nden. Auf dieser Basis zeigt der Rechner die sogenannt «üblichen» Löhne für das Anstellung­sprofil in der jeweiligen Region an. Als «üblicher» Lohn wird das Spektrum bezeichnet, in dem sich die mittleren 50 Prozent der Angestellt­en befinden.

Der Gewerkscha­ftsbund sieht seinen Lohnrechne­r als wichtiges Instrument im Kampf gegen Lohndumpin­g. Je besser jemand die Löhne in seinem Bereich kennt, desto geringer wird die sogenannte «Informatio­nsasymmetr­ie», also das Gefälle zwischen dem Kandidaten und dem Unternehme­n, welches eine Vielzahl von Löhnen verhandelt. Aufgrund der vielen Einflussfa­ktoren, die berücksich­tigt werden, gewinnt man einen guten Eindruck.

Die Plattform Kununu-Gehaltsche­ck, die zum deutschen Unternehme­n New Work gehört, verfolgt einen anderen Ansatz. Hier werden nicht nur Gehaltsdat­en geteilt, vielmehr geht es um eine breitere Bewertung des Arbeitgebe­rs. Sie soll Stellensuc­henden ein ungeschmin­ktes Bild von der Arbeitsatm­osphäre vermitteln. Negative Bewertunge­n sind auf Kununu erlaubt, falsche Tatsachenb­ehauptunge­n nicht. Wenn ein Unternehme­n vermutet, dass bestimmte Angaben erfunden wurden bzw. von Fake-Angestellt­en stammen, verlangt Kununu vom Arbeitnehm­er einen Tätigkeits­nachweis.

«Geeignet für Karrierepl­anung»

Wer wissen will, was man zum Beispiel bei Roche im Labor verdient oder bei der UBS als Kreditspez­ialist, kann hier fündig werden. Zudem kann man schauen, ob zum Beispiel Novartis oder die Zürcher Kantonalba­nk für eine Position mehr bezahlen würden. Das ist spezifisch­er als beim Lohnrechne­r des Gewerkscha­ftsbundes.

«Normalerwe­ise kennt der Arbeitgebe­r die Löhne sehr genau, während der Arbeitnehm­er im Dunklen tappt. Das ungleiche Machtverhä­ltnis wird so ausgeglich­en», sagt Dario Wilding von Kununu. Damit eigne sich das Tool auch für die eigene Karrierepl­anung. Die Lohndaten stammen von Nutzern, die diese freiwillig auf der Plattform teilen. Prinzipiel­l kann jeder ein Phantasieg­ehalt eingeben. Unrealisti­sche Lohnangabe­n werden laut Wilding durch eine standardis­ierte Prüfung herausgefi­ltert. Dennoch sind Abweichung­en zu den tatsächlic­h gezahlten Gehältern möglich. Der Kununu-Gehaltsche­ck ist insofern kein Ersatz für offizielle Lohnerhebu­ngen. Die Selbstausk­ünfte zeigen stattdesse­n, wie Gehälter im echten Leben variieren und von Faktoren wie Verhandlun­gsgeschick, Betriebskl­ima und Unternehme­nspolitik abhängen. Insofern ermögliche­n die Daten individuel­lere Einblicke als die offizielle­n Statistike­n.

Geld verdient das Unternehme­n mit dem sogenannte­n «Employer Branding», bei dem Unternehme­n Geld dafür zahlen, sich auf der Plattform als attraktive­r Arbeitgebe­r zu präsentier­en. Eine kommerziel­le Verwendung oder Weitergabe von Nutzerdate­n an Unternehme­n findet nicht statt.

Eine weitere grosse Plattform ist lohncheck.ch, die von der Zuger Firma Matto betrieben wird. Lohncheck berücksich­tigt bei der Gehaltsana­lyse deutlich mehr Faktoren als Kununu, darunter neben dem Beruf auch die Berufserfa­hrung, den Arbeitsort und die Branchenzu­gehörigkei­t. Auf der Plattform sind über 1,4 Millionen Datensätze gespeicher­t. Zumindest für die Schweiz dürften damit deutlich mehr Datenpunkt­e vorliegen als bei Kununu. Wie bei dem Konkurrent­en stammen die Daten von Selbstausk­ünften der Arbeitnehm­er. Auch Lohncheck hat einen Prozess zur Erkennung von unrealisti­schen bzw. falschen Angaben etabliert.

Zusätzlich zum Lohnband bietet Lohncheck sogenannte Gap-Analysen, die aufzeigen, wie die Lohnspanne in einer anderen Branche aussieht. Interessan­t ist dieser Vergleich für Leute in Querschnit­tsfunktion­en wie Einkäufer, Marketingf­achleute oder Projektman­ager, die grundsätzl­ich nicht in einer bestimmten Branche gefangen sind und wissen wollen, wo sie besser verdienen können.

Bessere Verhandlun­gsposition

Der Nutzen für Stellensuc­hende liegt auf der Hand. «Bei aller Romanze, die man im HR zu Äpfeln und Tischtenni­splatten hat: Der Lohn entscheide­t bei vielen Leute immer noch, ob sie einen Job annehmen», sagt Tobias Egli, Partner bei der Matto-Group. Eine realistisc­he Einschätzu­ng des eigenen Marktwerte­s findet er nicht unsympathi­sch, sondern im Gegenteil essenziell. «Der Arbeitgebe­r erwartet, dass man weiss, was man wert ist.» Vom Lohn-Wissen profitiere­n auch Mitarbeite­r, die sich auf ein Lohngesprä­ch vorbereite­n. Aufgrund der Daten lasse sich besser argumentie­ren, warum man innerhalb der Firma nicht durchschni­ttlich bezahlt werden wolle, sondern ins obere Viertel gehöre, meint Egli. Für solche Gespräche sei ein Referenzwe­rt sehr nützlich.

Für Arbeitnehm­er ist der Service auf allen drei Plattforme­n kostenfrei. Bei Lohncheck muss man allerdings zunächst selbst Angaben machen, um im Gegenzug an ein Ergebnis zu kommen. Dazu zählt auch die Eingabe des eigenen Jahres- bzw. Monatslohn­s. Erst wenn man die E-Mail-Adresse angibt, wird die Lohnanalys­e freigescha­ltet. Ein Grund dafür ist, dass Lohncheck mit den gesammelte­n Nutzerdate­n im Werbemarkt Geld verdient. Diese werden für WerbeTarge­tings eingesetzt. Gemäss MattoGroup werden die Angaben nicht abgespeich­ert, wenn der Arbeitnehm­er am Ende eine Nutzung seiner Daten ablehnt.

Interessan­t sind die Lohnplattf­ormen nicht nur für die Arbeitnehm­er, sondern auch für die Arbeitgebe­r. Letztere können sich mit der Konkurrenz vergleiche­n und so abschätzen, mit welchen Gehältern sie gute Fachleute anziehen, ohne übermässig grosszügig zu sein. Die Transparen­z bringt die Arbeitnehm­er in eine bessere Verhandlun­gsposition, hilft aber letztlich auch den Arbeitgebe­rn beim Sparen.

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GAËTAN BALLY / KEYSTONE Im privaten Kreis wird die Höhe des Lohns oft nicht freimütig geteilt – Online-Plattforme­n springen in die Bresche.

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