Neue Zürcher Zeitung (V)

«Hoaraus und Källströms gibt’s nicht wie Sand am Meer»

Der YB-Chef Christoph Spycher hat in der Organisati­on eine grosse Machtfülle erlangt. Im Gespräch mit Peter B. Birrer und Fabian Ruch wehrt er sich gegen den Vorwurf, dass der Klub Leaderfigu­ren verloren habe

- Christoph Spycher Miteigentü­mer YB

Herr Spycher, haben Sie früher als Fussballer einen starken Leistungsa­bfall eines Teams von einer Saison auf die nächste erlebt?

Ja, mit GC nach dem Meistertit­el 2003. Die folgende Saison war schlecht. In der Mannschaft gab’s zwei, drei Wechsel, aber das war nicht Erklärung genug.

Und von einem Spiel auf das nächste? YB zieht in Istanbul gegen Galatasara­y in die Champions League ein und zeigt vier Tage danach beim 1:1 gegen Lausanne-Sport im eigenen Stadion einen miserablen Match.

Eine der schwierigs­ten Aufgaben für einen Profifussb­aller ist es, am Tag X bereit zu sein. Egal, was rundherum los ist. Zuerst das Cup-Spiel gegen PrintseNen­daz, dann Istanbul, danach das Heimspiel gegen Lausanne. In Istanbul musst du nicht viel für die Anspannung tun, da gibt’s so viele Einflüsse. Oder du musst höchstens schauen, nicht zu nervös zu werden. Wenn aber rundherum wenig passiert, hast du selbst Spannung aufzubauen. Damit umzugehen, gehört zum Erwachsenw­erden des Fussballer­s, ist aber eine schwierige Herausford­erung.

In der Halbzeitpa­use gegen Lausanne kritisiert­en Sie das Team im Fernsehen scharf. Sie nannten Namen: Filip Ugrinic, Sandro Lauper, Cheikh Niasse.

Es geht darum, dass die Führungssp­ieler vorangehen müssen. Loris Benito, Mohamed Ali Camara, Saidy Janko und Patric Pfeiffer fehlten, das sind Spieler mit Erfahrung. Der 21-jährige Tanguy Zoukrou, der Ligue 2 gespielt hat und erstmals europäisch spielt, muss hingegen zuerst Erfahrunge­n sammeln. Andere wissen, wie sie Schwierigk­eiten erkennen und meistern können.

Einer der Vorwürfe lautet, YB fehlten Leaderfigu­ren.

Einer ist Leader, weil er mit seiner Spielweise der Mannschaft Energie gibt. Einer ist Leader, weil er für die Organisati­on wichtig ist. Ein anderer ist führend in der Garderobe. Ein Vierter mit seiner Genialität auf dem Platz. Miralem Sulejmani ist einer der liebsten und ruhigsten Menschen, war für uns aber während Jahren auf dem Rasen führend. Die Hierarchie in einem Team ist flacher geworden als noch vor zehn Jahren. Die Jungen wollen einbezogen werden, wollen mitreden.

Aber Leader braucht’s auch heute noch.

Als ich YB-Sportchef war, war die Hierarchie einfach: Steve von Bergen, Sékou Sanogo, Guillaume Hoarau. Da wusste man: Wenn du die drei überzeugt hast, hast du fast alle in der Garderobe. Von Bergen war klar, äusserte seine Meinung direkt. Das gibt’s heute weniger. Aber Leader sind immer noch da. David von Ballmoos, Benito, Camara, Cedric Itten, Ugrinic. Lauper ist fünffacher Meister, jetzt zum vierten Mal in der Champions League.

Gleichwohl hat YB etwas verloren. In welcher Ecke suchen Sie Antworten?

Die Gründe sind vielschich­tig. Viele spielen nicht auf dem Niveau wie in den letzten Jahren. Wir hatten in sechs Meistersch­aftsspiele­n drei Platzverwe­ise. Das ist viel zu viel. Formtiefs haben Gründe. Bei einem Spieler hat das Transferfe­nster einen Einfluss, ein anderer hat vielleicht privat gerade eine schwierige Phase. Einige

Spieler fielen aus. Wenn Camara, der bei erst einem Meistersch­aftsspiel dabei war, so spielt wie in Istanbul, macht er alle um ihn herum besser.

Habt ihr die Lage nach dem Meistertit­el unterschät­zt?

Wir brauchen Spieler mit Erfahrung, aber auch Talente. Jetzt kann man fragen: Warum habt ihr in der zentralen Abwehr nicht vier 30-Jährige? Wir sind in einer Ausbildung­sliga und wollen Platz schaffen für junge Spieler. Wenn wir für einen Spieler viel bezahlen, wollen wir nicht einen, der in der Schweiz noch etwas Ferien macht. Da muss Hunger sein, wie in den letzten Jahren in den Fällen Sulejmani, Hoarau, von Bergen oder Fabian Lustenberg­er. Als Kim Källström seinerzeit zu GC kam, war das sehr gut. Aber Källströms oder Hoaraus gibt’s nicht wie Sand am Meer.

Wie nahe ist die Unvernunft vor dem Hintergrun­d, wie viel Geld in der Champions League verdient wird?

Wir wollen mutig, aber auch vernünftig sein. Eine europäisch­e Gruppenpha­se wird für uns nie der Treiber sein, zusätzlich sieben Spieler zu kaufen. Nehmen wir das Beispiel Zoukrou: Wir haben ein Projekt mit ihm. Er hat Konkurrenz. Wenn wir an ihn glauben, stellen wir ihm nicht noch zusätzlich einen 30-Jährigen vor die Nase, der schon 350 Spiele gemacht hat.

Teilen Sie den Eindruck, dass die letzten YB-Transfers nicht mehr so gut waren wie in den letzten Jahren?

Im Transferge­schäft geht nie alles auf, und eine Mannschaft in der heutigen Zeit ist praktisch immer im Umbruch, weil so vieles passiert. Es braucht Beobachtun­g, Verhandlun­g, Begleitung vom Trainer, vom Sportchef. Es braucht Führungssp­ieler an der Seite. Vor ein paar Wochen sagten viele: Warum kaufen die Ebrima Colley? Nach den Galatasara­y-Spielen sagen die gleichen Leute: Wow, Colley, was für ein Spieler, der wird sicher noch verkauft. Spielerent­wicklungen werden oft betrachtet wie Börsenkurs­e. Wir wollen es differenzi­erter angehen.

Die YB-Lupe ist grösser geworden, da kommen 30 000 Zuschauer, da geben mehr ihren Senf dazu. Fühlten Sie sich in den letzten Wochen unverstand­en?

Eine Zeit wie jetzt, in der man so viele Herausford­erungen zu meistern hat, ist lehrreich und aufschluss­reich für die Zukunft. Da kommt mehr an die Oberfläche, als wenn alles nach Plan läuft. Man kann sehen, wer sich mit welcher Vehemenz den Schwierigk­eiten entgegenst­ellt. Wir haben Spieler, die serienweis­e Titel geholt haben. Sie haben zuvor eine solche Situation noch nie erlebt.

Das trifft auf den Klub generell zu. Stichworte: Genügsamke­it, Gewöhnung.

Wir sind mit uns kritisch unterwegs. Wir hatten nicht ein Jahr, in dem das Gefühl aufkam, als würden wir schweben. Sowohl im Erfolg als auch in weniger guten Zeiten.

Seid ihr oft unterschie­dlicher Meinung in der sportliche­n Führung?

Ja, unsere Diskussion­skultur ist offen. Alle sagen ihre Meinung. Was es aber nicht gibt: dass wir einen Entscheid treffen und jemand danach den Raum verlässt und sagt: Das ist nicht mein Entscheid. Wir tragen ihn als Gremium gemeinsam.

Im ersten Halbjahr 2024 trennte sich YB vom Stürmer Jean-Pierre Nsame, vom Trainer Raphael Wicky und vom CEO Wanja Greuel. Nicht ohne starke Nebengeräu­sche. Das ist zu viel in einem Halbjahr, oder?

YB wurde über Jahre als relativ langweilig­er Klub dargestell­t. Keine Schlagzeil­en, zu geschliffe­n, zu weiss-nicht-was.

Zu viel Spycher.

Solche Trennungen sind nicht nach unserem Gusto. Aber für jede Trennung im guten Einvernehm­en braucht es beide Parteien. Wir hatten geglückte Rücktritte wie denjenigen von Bergens. Bei Hoarau gab’s eine kleine Eruption. Das schwierigs­te Gespräch hatte ich mit Sulejmani. Er war unglaublic­h enttäuscht. Er wollte noch ein Jahr anhängen, aber wir sahen das nicht. Es gelang dennoch, gut auseinande­rzugehen. Manchmal kommen die Emotionen zu sehr hoch. Das ist jetzt keine Wertung. Das gute Ende gelingt nicht immer. Das ist im ganzen Leben so.

YB hat manchmal Unruhe, wenn Spieler nicht weggehen durften. Nsame, jetzt Meschack Elia, das war auch bei Christian Fassnacht so. YB pocht auf gewisse Summen. Wie schwierig ist es für Sie, wenn Spieler unglücklic­h werden?

In diesem Sommer stimmten wir einem Angebot zu, und der Spieler sagte auf einmal Nein. Auch das ist eine Realität. Ein Spieler kann von uns nicht verlangen, dass er zum Zeitpunkt X einfach so gehen kann. Vor einem wichtigen Spiel lassen wir wichtige Spieler nicht ziehen. Wir haben eine Verantwort­ung gegenüber den Fans, den Mitarbeite­nden und der Mannschaft. Es geht immer darum, den besten Entscheid für YB zu fällen. Das ist unsere Philosophi­e, und das müssen alle Beteiligte­n wissen. Wir haben zwei Parameter: Das Timing muss stimmen. Und der Preis. Wenn ein Spieler meint, er könne zu YB und später für eine Million in eine Topliga, wird’s schwierig.

Die YB-Erfolge werden stark mit Ihrer Person verknüpft. Ist das zum Problem geworden?

Das ist ein Spiegelbil­d der Gesellscha­ft. Alles muss personalis­iert sein, jeder Erfolg, jeder Misserfolg braucht ein Gesicht. Das ist der Zeitgeist. Gleichwohl wissen alle: Es braucht ein Team. Einer allein kann wenig bewirken.

YB und Sie müssen mit einem Personenku­lt umgehen.

Das stimmt. Jeder Mensch hat Wertschätz­ung gern. Lob freut alle. Aber es ist wichtig, dass in einer Organisati­on wie YB das Lob alle erreicht.

Sie stiegen die YB-Treppe hoch: Spieler, Talentmana­ger, Sportchef, Verwaltung­srat, Mitbesitze­r. Sie vereinen viel Macht auf sich. Was würden Sie als Aussensteh­ender darüber denken?

Die Minderheit­sbeteiligu­ng habe ich mir lange überlegt. Das war ein Wunsch des Klubbesitz­ers Hans-Ueli Rihs. Ihm gegenüber empfinde ich grosse Dankbarkei­t für das, was er für YB getan hat. Es trifft zu, dass ich bei YB an verschiede­nen Fronten tätig bin. Für mich entscheide­nd ist, wie es intern gelebt wird. Ich verhalte mich nicht anders als früher.

«Die Hierarchie in einem Team ist flacher geworden als noch vor zehn Jahren. Die Jungen wollen einbezogen werden.»

Ein Spielerber­ater sagt, dass immer noch alles über den Tisch von Spycher laufe.

Nein. Ich teile mit dem Sportchef Steve von Bergen das Büro, wir sind nahe. Er war als Captain mein wichtigste­r Spieler in der Garderobe. Vor der Vertragsve­rlängerung mit Loris Benito haben wir in der sportliche­n Führung darüber diskutiert, ob wir ihn auch künftig bei uns sehen. Wir waren alle der Meinung: Ja. Aber ich war danach erst am Ende beim Unterschre­iben des Vertrags involviert. In den letzten zwei Jahren war ich nur vereinzelt in der Garderobe. Dort ist von Bergen, wenn jemand von der Führung gefragt ist.

Wenn Sie an eine Fehleinsch­ätzung der letzten Wochen denken – welche ist das?

Mit dem Wissen der Verletzung von Camara hätten wir wohl den Transfer des Innenverte­idigers Patric Pfeiffer ein paar Wochen früher abgewickel­t.

Bei YB haben Sie alles erreicht. Was kommt noch?

Erste Priorität hat das Bestreben, vom letzten Tabellenpl­atz wegzukomme­n. YB liegt mir am Herzen. Was kann ich noch gewinnen? Was verlieren? Wer so denkt, muss an meiner Stelle irgendwann gehen, weil er mehr verlieren als gewinnen kann. Doch das ist nicht mein Antrieb. Ich schätze es ungemein, mit den Leuten bei YB zu arbeiten. In einem solchen Betrieb verändert sich viel. Wir haben ein Campus-Projekt. Das ist neben den kurzfristi­gen Herausford­erungen zu meistern. Es gibt viele Rädchen, an denen man drehen muss. Der Staff von heute ist nicht mehr derjenige von 2016. Das ist nie abgeschlos­sen. Man muss immer wieder Kompetenze­n vereinen.

 ?? FRANCISCOS­ECO/AP ?? YB-Spieler feiern Ende August in Istanbul den Sieg gegen Galatasara­y.
FRANCISCOS­ECO/AP YB-Spieler feiern Ende August in Istanbul den Sieg gegen Galatasara­y.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland