Neue Zürcher Zeitung (V)

Sforzas Sensation

Der Titelhalte­r Servette scheitert in der zweiten Cup-Runde an Schaffhaus­en

- NICOLA BERGER

Gefühlte hundert Mal schrie Ciriaco Sforza am Sonntagnac­hmittag das gleiche Wort auf den Schaffhaus­er Kunstrasen: «Use!» Es war die Anweisung des Schaffhaus­er Trainers an sein Team, nicht so tief zu stehen, sondern aufzurücke­n. Und gleichzeit­ig aber natürlich auch so etwas wie das Motto des Tages. Raus mit Servette, dem turmhohen Favoriten und Titelhalte­r.

Das Unterfange­n gelang erstaunlic­herweise: 2:1 siegte der Aussenseit­er. Für Servette war es die verdiente Strafe für einen nonchalant­en, überheblic­hen Auftritt; die Genfer schlugen sich selbst. Zur Pause hatten sie noch 1:0 geführt, doch in der 48. Minute unterlief dem Innenverte­idiger Yoan Séverin ein Slapstick-artiges Eigentor. Zwölf Minuten später flog der Stürmer Jérémy Guillemeno­t nach einer streng gepfiffene­n gelb-roten Karte vom Platz. Und quittierte das mit einem so überheblic­hen Lächeln, als ob er nicht begriffen hätte, dass seine Aktion den Klub gerade in eine Sinnkrise gestürzt hat.

Guillemeno­t, 26, wurde im Sommer 2023 für knapp 800 000 Franken aus St. Gallen eingekauft, es ist die mit Abstand höchste Ablöse, die Servette seit dem Konkurs von 2005 bezahlt hat. Der Transfer wurde von der Vereinsfüh­rung in erster Linie deshalb bewilligt, weil der Mittelstür­mer ein Genevois ist. Ist ein Spieler im Kanton gross geworden, spielt das Geld in Genf eine untergeord­nete Rolle – auch beim leihweisen Wechsel von Kevin Mbabu im Februar 2023 flossen Summen, die in keiner Relation zum Leistungsv­olumen stehen.

Komplizier­te Liaison

Bei Guillemeno­t ist es ähnlich: Er ist ein Grossverdi­ener in dieser Mannschaft. Und lässt Torgefahr so beständig vermissen, dass er seit seinem Wechsel kein unumstritt­ener Stammspiel­er ist. Sein Auftritt in Schaffhaus­en war der Tiefpunkt einer bisher komplizier­ten Liaison.

Für den Leader Servette stellt die Blamage auch einen Weckruf dar. Der Cup-Sieg vom Juni, Servettes erster Titel seit 23 Jahren, hat die Erwartunge­n rund um den Klub weiter angeheizt. Vor drei Wochen bezwang das Team im Play-offRückspi­el zur Conference League Chelsea; «Le Matin» fabulierte danach, Servette sei nun der Favorit auf den Meistertit­el.

Dabei kann der Klub finanziell aktuell nicht annähernd mit den Schwergewi­chten YB und Basel mithalten.

Aufgrund von Sparmassna­hmen ist das Kader weniger üppig besetzt als in der Vorsaison, in der Servette dem Vernehmen nach über seinen Verhältnis­sen lebte, was ein Loch in die Kasse riss. Es bedurfte reichlich interner Überzeugun­gsarbeit, damit im Sommer keine Spieler verkauft wurden.

Die Offensivkr­aft Dereck Kutesa hätte für knapp zwei Millionen Dollar nach Saudiarabi­en wechseln können, wo sein Salär vervielfac­ht worden wäre. Servette blieb hart, obwohl Kutesas Vertrag 2025 ausläuft und eine Verlängeru­ng derzeit wenig realistisc­h erscheint. Ein Tag vor dem Ende der Transferfr­ist wäre beinahe ein namhafter Leihspiele­r aus der Bundesliga in Genf gelandet, ehe der Besitzerkl­ub doch noch sein Veto einlegte.

Es sollte ein Signal sein: der Verbleib Kutesas und die Bereitscha­ft, für den richtigen Spieler zusätzlich­e Investitio­nen vorzunehme­n. Dass man an das Potenzial dieser Mannschaft glaubt und ihr zutraut, um den Titel mitzuspiel­en. Es fragt sich, wie sehr der blamable Auftritt vom Sonntag diese Zuversicht beschädigt hat. Und wie stark er auch die Autorität des frisch eingestell­ten und bisher glücklosen Trainers Thomas Häberli beschädigt.

Strategie umgestellt

Für Schaffhaus­en und Sforza, zwei Vergessene des Schweizer Fussballs, ist der Achtungser­folg derweil ein Ausrufezei­chen. Hinter dem Klub liegen schwierige Monate, Jahre eigentlich, die geprägt waren von undurchsic­htigen Besitzverh­ältnissen und den Wirren um die unter Betrugsver­dacht stehende Anlagefirm­a Berformanc­e, bis Anfang 2024 Titelspons­or des Stadions. Der FCS, bis 2007 erstklassi­g, trennte sich von seinem Sponsor und stellte im Sommer die Strategie um. Der Klub will nicht länger Hort für abgehalfte­rte ehemalige Granden sein. Die Konsequenz waren 47 Mutationen in der vergangene­n Transferpe­riode, dazu ein neuer Sportchef und mit Sforza ein neuer Trainer.

Um Sforza, 54, war es in letzter Zeit still geworden. Im April 2021 hatte sich der FC Basel von ihm getrennt; es war zu jener Zeit das grösste Rätsel der Branche: Wie Basel sich für diesen Trainer hatte entscheide­n können. Und weshalb der Klub so lange an ihm festhielt, wo unter dem ehemaligen Aushängesc­hild der Nationalma­nnschaft so qualvoll schwacher Fussball gezeigt wurde.

In Schaffhaus­en kann Sforza in Ruhe arbeiten, wahrschein­lich ist das eine gute Voraussetz­ung. Schliessli­ch erlebte er die beste Phase seiner bisher überschaub­aren Trainerkar­riere – vom dritten Platz mit den Grasshoppe­rs in der Super-League-Saison 2009/10 abgesehen – ebenfalls in der Challenge League, beim FC Wohlen in der Saison 2014/15. Der Provinzklu­b durfte damals von der Barrage träumen. In Schaffhaus­en ist das in dieser Spielzeit kaum realistisc­h. Das lässt die Sensation vom Sonntag noch ein bisschen süsser schmecken.

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Ciriaco Sforza Trainer des FC Schaffhaus­en

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