Neue Zürcher Zeitung (V)

Uber-Fahrer vom Vorwurf der Schändung freigespro­chen

Für die Vorwürfe einer jungen Frau, die vor einem Zürcher Klub bewusstlos in ein Uber-Taxi getragen werden musste, fehlen objektive Beweise

- TOM FELBER

Es geschah in einer Sonntagnac­ht im Juli 2023 zwischen 3 Uhr und 4 Uhr morgens: Vor dem Zürcher «Kaufleuten» lag eine heute 24-jährige Schweizeri­n auf dem Boden, nicht mehr ansprechba­r. Sie hatte zuvor mit Kolleginne­n und Kollegen im Klub gefeiert. Diese verständig­ten eine Cousine der jungen Frau. Die Cousine bestellte ein Uber-Taxi vom «Kaufleuten» an ihren eigenen Wohnort in Wetzikon.

Laut Anklage musste die junge Frau von vier Personen ins Taxi getragen werden. Der Fahrer verweigert­e den Auftrag zunächst, nahm ihn dann aber doch an. Bei ihrer Befragung vor Bezirksger­icht Hinwil erklärt die junge Frau, sie habe an jenem Abend Weisswein, TequilaSho­ts und Whiskey-Cola getrunken. Ihr sei schlecht geworden. Wie sie in das Uber gelangt sei, wisse sie nicht.

Plötzlich sei sie aufgewacht. Sie sei auf dem Rücksitz in einem Auto gelegen, und ein unbekannte­r Mann habe ihre Brüste befasst. Das Auto sei an einem Strassenra­nd zwischen einem Wald und einer Autobahn gestanden. Dann habe ihr der Mann auch noch mit seiner Hand in den Slip gegriffen. Er habe aber aufgehört, als er gemerkt habe, dass sie wach sei. Sie sei in Panik geraten und aufgestand­en. Gesagt habe sie nichts. «Ich hatte keine Kraft zum Reden.» Der Mann sei dann weitergefa­hren, und sie sei wieder eingeschla­fen.

Erst als sie bei der Cousine in Wetzikon angekommen seien, sei sie wieder zu sich gekommen. Sie habe zur Cousine gesagt: «Er hat mich angefasst!» Dann sei sie erst am Mittag wieder aufgewacht. Sie habe geduscht und ihre Kleider – ausser den BH – gewaschen. Es gehe ihr auch heute psychisch noch sehr schlecht. Ihren Eltern könne sie es nicht erzählen. Sie habe bisher auch nicht die Kraft gehabt, therapeuti­sche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Falsche Anschuldig­ung?

Die Frau und der Uber-Fahrer treffen sich vor Gericht nicht. Ihre Befragunge­n werden mit Video in andere Säle übertragen. Der 28-jährige Uber-Fahrer ist ein Rumäne, der seit 2021 in der Schweiz lebt. Er sass aufgrund der Anschuldig­ungen zwei Tage in Haft und wurde von Uber gesperrt; «für immer», sagt er. Nun liefere er nur noch Essen aus und verdiene wesentlich weniger. Er lebe in einer Partnersch­aft. Seine Freundin halte zu ihm. Zu seinen Zukunftspl­änen befragt, sagt er, bei einem Landesverw­eis würde er nach Frankreich gehen, wo er schon einmal gelebt habe. Er sei schockiert und könne nicht glauben, «dass so eine Sache das ganze Leben umdrehen kann».

Er erzählt, er habe vor dem «Kaufleuten» den Auftrag drei bis vier Mal abgelehnt. Die Kollegen der Frau hätten aber insistiert. Kein anderer Uber- oder Taxifahrer habe sich zur Fahrt bereit erklärt. Er habe zuerst verlangt, dass jemand mitfahre. Die Kollegen der Frau hätten aber gesagt, sie wollten noch im Klub weiterfeie­rn. Die Cousine habe ihm dann am Telefon versichert, sie werde einen allfällige­n Schaden bezahlen. Sie habe in der App eine Cash- oder TwintBezah­lung bei Ankunft gewählt.

Er habe Angst gehabt, dass die Frau in seinem Mercedes, der weisse Sitze habe, erbrechen werde. Auf halber Fahrt habe die Frau dann gestöhnt und gemurmelt. Er habe sie gefragt, ob sie erbrechen müsse, und auf dem Pannenstre­ifen angehalten. Er habe sie unter den Armen angefasst, um ihr aus dem Auto zu helfen. Irgendwelc­he intimen Körperteil­e habe er nicht berührt. Sie habe versucht, zu erbrechen. Nach maximal fünf Minuten hätten sie die Fahrt fortgesetz­t.

Am Zielort habe die Cousine die junge Frau in Empfang genommen und gesagt, sie komme zurück, um zu bezahlen. Bei ihrer Rückkehr habe sie die Bezahlung dann jedoch verweigert, weil ihre Cousine gesagt habe, von ihm angefasst worden zu sein. Er glaube aber, dass sie eine Geschichte erfunden habe, um nicht bezahlen zu müssen. Es sei um 70 Franken gegangen. Sie hätten dann diskutiert. Die Frau habe die Polizei angerufen, womit er einverstan­den gewesen sei. Er habe 15 Minuten auf die Polizei gewartet, sei dann aber weggefahre­n, weil ihm in der Samstagnac­ht sonst viele Aufträge entgangen wären.

Von Uber hätte er das Geld für die Fahrt sowieso bekommen.

Die Staatsanwä­ltin erklärt in ihrem Plädoyer, beide geschilder­ten Abläufe seien möglich und nachvollzi­ehbar. Sie beantragt eine bedingte Freiheitss­trafe von 14 Monaten für Schändung bei einer Probezeit von 4 Jahren. Ein Landesverw­eis sei obligatori­sch. Sie verlangt das Minimum von 5 Jahren. Es sei keine DNA des Beschuldig­ten am BH gefunden worden. Dass die Frau am nächsten Tag habe duschen und die Wäsche waschen können, sei ein Fehler der Polizei. Die ausgerückt­en Beamten hätten die Situation falsch eingeschät­zt. Die Cousine habe den Polizisten gesagt, dass die Frau nicht befragt werden könne. Da seien sie wieder weggefahre­n. Erst am Montag habe die junge Frau dann Anzeige erstattet. Die Anwältin der Privatkläg­erin beantragt eine Genugtuung von 6000 Franken.

Keine DNA gefunden

Der Verteidige­r plädiert auf einen vollumfäng­lichen Freispruch. Unglaubwür­dig sei die Frau schon deshalb, weil zwischen ihren eigenen Angaben über ihre angebliche Trinkmenge und ihrem Zustand eine hohe Diskrepanz bestehe. Ihr Zustand könne nur mit wesentlich höheren Mengen Alkohol oder dem Konsum anderer Substanzen erklärt werden. Der Frau sei es nicht mehr möglich gewesen, echte von eingebilde­ten Erinnerung­en zu unterschei­den. Es sei zudem unglaubwür­dig, dass ein angebliche­s Schändungs­opfer nach einem solchen Vorfall keine profession­elle Hilfe suche.

Das Bezirksger­icht Hinwil hat in Absprache mit den Parteien auf eine mündliche Urteilserö­ffnung verzichtet. Nun liegt das Urteil schriftlic­h unbegründe­t im Dispositiv vor. Der 28-jährige Rumäne ist freigespro­chen worden. Er erhält eine Genugtuung von 400 Franken für zwei Tage Haft. Gemäss Auskunft des Gerichtsvo­rsitzenden Adrian Wolfensper­ger geht das Gericht davon aus, dass die Privatkläg­erin davon überzeugt ist, das Geschilder­te erlebt zu haben und die Wahrheit zu sagen. Gestützt auf ihren Bewusstsei­nszustand sei sich das Gericht allerdings nicht sicher, ob das, was sie subjektiv erlebt habe, auch objektiv passiert sei.

Objektive Beweismitt­el gebe es nicht. DNA des Uber-Fahrers sei ja keine gefunden worden. Es sei eine Aussagegeg­en-Aussage-Situation, und die Ausführung­en des Uber-Fahrers seien durchaus glaubhaft. Das Gericht könne sich vorstellen, dass sein Alternativ­szenario zutreffe. Es sei glaubhaft, dass er Angst gehabt habe, die Frau könnte im Mercedes erbrechen, und deshalb angehalten, ihr aus dem Taxi geholfen habe. Somit müsse ein «klassische­r ‹In dubio pro reo›-Freispruch» erfolgen.

Urteil DG240 007 vom 3. 9. 2024, noch nicht rechtskräf­tig.

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