Ein Vorschlag zur Entkrampfung der AKW-Debatte
Welche Technologien zur Stromproduktion zugelassen werden, soll anhand eines objektiven Kriterienkatalogs beurteilt werden
Die Reaktionen auf den Entscheid des Bundesrats, das Verbot für den Bau neuer AKW aufheben zu wollen, waren kontrovers und heftig. «Völlig aus der Zeit gefallen», «verantwortungslos», «eine ideologische Zwängerei», schallte es aus dem links-grünen Lager. Bereits droht die grüne Partei mit dem Referendum. Und selbst der Mitte-Chef Gerhard Pfister geisselte Albert Röstis Kehrtwende als «unredlich». Die Basis seiner Partei trage den von Doris Leuthard lancierten Atomausstieg weiter mit.
Die geharnischten Reaktionen auf den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats zur Initiative «Blackout stoppen» zeigen: Eine ideologiefreie, sachliche Debatte über die Kernkraft und andere Stromquellen scheint weiterhin kaum möglich – obwohl die Kernkraft in vielen anderen Ländern eine Renaissance erlebt und kleinere, sicherere Kraftwerke vor dem Durchbruch stehen.
Um die Diskussion zu entkrampfen, kommt nun vom Verband Swisscleantech ein alternativer Vorschlag für einen Gegenvorschlag. Die Idee: Der Bundesrat entscheidet anhand eines bestimmten Kriterienkatalogs darüber, ob eine Technologie zur Produktion von Strom zulässig ist. Erste Bewertungsgrundlage soll dabei die Wirtschaftlichkeit bilden. So müssen die Kosten der Energieerzeugung – die laufenden Kosten ebenso wie die Rückstellungen für den Abbruch und Rückbau der Anlagen – möglichst vollständig durch den Erlös getragen werden. Weitere Kriterien sind die Versorgung mit den benötigten Rohstoffen, die Betriebssicherheit, die Intensität der CO2-Emissionen von Klimagasen, die Auswirkung auf Biodiversität und Umwelt sowie die Entsorgung der Abfälle.
Knacknuss Wirtschaftlichkeit
«Energietechnologien sollen auf der Basis von rationalen Entscheiden ausgewählt werden», sagt der SwisscleantechCo-Geschäftsführer Christian Zeyer. «Dabei muss mittels objektiver Kriterien entschieden werden, welche Technologien zukunftsfähig sind und welche nicht.» Er schlägt vor, dass die einzelnen Kriterien als Grundlage für den indirekten Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative dienen soll. Dafür benötige es eine breite politische Auseinandersetzung mit den Kriterien, die je nach Mehrheitsfähigkeit anders gewichtet werden könnten. Die Streichung des Verbots soll mit der Inkraftsetzung der Kriterien erfolgen.
Die Schaffung eines objektiven Bewertungsrasters für sämtliche Stromproduktionsarten geniesst auch beim Nuklearforum Schweiz Sympathien. Ein solches könne nützlich sein, heisst es bei der atomfreundlichen Interessengruppe. Allerdings müsste den einzelnen Kriterien jeweils eine umfassende Analyse zugrunde liegen. Bei der Wirtschaftlichkeit etwa müssten auch Aspekte wie staatliche Unterstützung, Systemkosten für Speicher, Back-up-Kraftwerke und der Netzausbau berücksichtigt werden sowie die Finanzierung von Rückbau und Entsorgung.
Schwer vergleichbar mit anderen Technologien ist allerdings die Abfallthematik. Laut dem Nuklearforum müssten auch in diesem Bereich faire
Kriterien angewandt werden. Dazu könnte etwa das Vorhandensein eines konkreten Entsorgungskonzeptes zählen. Die Organisation verweist auf die EU-Taxonomie. Diese stuft Kernkraftwerke als nachhaltig ein, allerdings nur wenn im betreffenden Staat ein Plan und finanzielle Mittel für die Entsorgung des nuklearen Abfalls vorhanden sind. Gemäss Nuklearforum könnten die Nachhaltigkeitskriterien der EU in die Diskussion einbezogen werden.
Doch finden sich überhaupt atomkritische Politiker, die sich hinter die Einführung eines Kriterienkatalogs stellen würden? Der abtretende grüne Nationalrat Bastien Girod will sich zu dieser Frage nicht konkret äussern. Auch er betont jedoch, dass sich die Schweiz bezüglich der Kriterien auf die EU-Taxonomie abstützen könnte. Dies wäre laut ihm im Sinne einer Integration in den EU-Strommarkt. Als Knacknuss bezeichnet Girod die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit: «Aufgrund grosser Unsicherheiten bezüglich der Technologiekosten und der Entwicklung des Strommarktes ist diese schwierig einzuschätzen.»
Verzögerungstaktik vermutet
Wenig abgewinnen kann dem Vorschlag dagegen der SP-Nationalrat Roger Nordmann. «Unbrauchbar» sei er, weil er die Frage, welche Kriterien die Atomenergie erfüllen müsse, an den Bundesrat delegiere. «Es braucht eine handfeste politische Debatte darüber, ob die Schweiz neue Kernkraftwerke will oder nicht.» Der Energiepolitiker betont, dass neuartige Reaktoren, die eine fundamentale Neubewertung der Technologie nötig machen würden, weiterhin nicht in Sicht seien. Weder die Aufhebung des Verbots noch die Einführung von Kriterien dränge sich deshalb auf.
Noch strenger ins Gericht gehen mit dem Vorschlag Politiker aus dem rechten Lager. Als Nebelpetarde, die den Prozess der Aufhebung des AKWVerbots nur verzögere, bezeichnet ihn der SVP-Nationalrat Mike Egger. Der FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen wiederum kritisiert, der Vorschlag erwecke zwar den Eindruck, technologieneutral zu sein. In Tat und Wahrheit aber verfolge er die Absicht, den Bau neuer Kernkraftwerke zu verhindern. «Es ist wohl kein Zufall, dass mit der Versorgungssicherheit und der zuverlässigen Produktion von Winterstrom das wichtigste Kriterium zur Bewertung einer Energiequelle fehlt», so der Berner. An der Aufhebung des Technologieverbots für die Kernkraft führe kein Weg vorbei.
Nicht alle Vertreter seiner Partei äussern sich so kritisch. Deutlich wohlwollender fällt das Urteil der Parteikollegin Susanne Vincenz-Stauffacher aus, die im Vorstand von Swisscleantech Einsitz hat. «Gelingt es, ein Bewertungsraster zu finden, das auf alle Technologien zur Stromproduktion anwendbar ist, trägt dies zur Versachlichung der Energiedebatte bei», sagt die Ostschweizerin. Sie betont allerdings, dass die Kriterien nicht so gefasst sein dürften, dass sie aufgrund ihrer Formulierung eine Technologie faktisch von vorneherein ausschlössen. Die Kernkraft müsse eine faire Chance erhalten, sonst werde die Regelung zu einer Farce. Umso wichtiger sei es, dass diese Kriterien breit diskutiert und richtig gewichtet würden.
«Es braucht eine handfeste Debatte darüber, ob die Schweiz neue Kernkraftwerke will oder nicht.»