Neue Zürcher Zeitung (V)

Sri Lanka erweist sich als Sackgasse für Flüchtling­e

Das Uno-Flüchtling­shilfswerk reduziert seine Aktivitäte­n im Inselstaat – Rohingya und andere hier Gestrandet­e fragen sich, was aus ihnen werden soll

- MARTIN STÜRZINGER, COLOMBO

Riffat Faridun ist verzweifel­t: «Ich habe jede Hoffnung verloren. Seit Dezember erhalten wir keine finanziell­e Unterstütz­ung mehr, arbeiten dürfen wir nicht, und wir können nicht ewig Geld leihen. Wir werden in den Tod getrieben.» Faridun stammt aus Pakistan, aber seit zwölf Jahren lebt sie mit ihrem Mann Said und ihren Töchtern Fatima und Aisha in zwei winzigen Zimmern in Sri Lanka. Wie ihnen geht es Hunderten Flüchtling­en auf der Insel, seitdem das Uno-Flüchtling­shilfswerk Ende letzten Jahres die Hilfszahlu­ngen eingestell­t hat.

Zuvor erhielten anerkannte Flüchtling­e monatlich 19 500 Rupien, etwa 55 Franken, für Einzelpers­onen. Doch das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) will nach 35 Jahren in Sri Lanka seine Präsenz verringern. Zur Begründung heisst es, das UNHCR sei vor allem wegen der vielen Flüchtling­e in Sri Lanka gewesen, die im Zuge des Bürgerkrie­gs mit den Tamil Tigers vertrieben worden waren. Nachdem die Mehrheit der Binnenflüc­htlinge an ihre Herkunftso­rte zurückgeke­hrt sei, sei diese Arbeit getan.

Für Faridun und andere Flüchtling­e bedeutet dies, dass sie ohne Hilfe und ohne Aussicht auf Umsiedlung in ein Drittland in Sri Lanka feststecke­n. Die Frau stammt aus einer respektier­ten Familie in Karachi, doch ging sie eine Liebesheir­at ein mit einem Mann, der nicht aus der Oberschich­t kommt: «Meine Familie war gegen diese Heirat. Sie beschuldig­ten meinen Mann fälschlich­erweise des Diebstahls. Er wurde verhaftet, sie bedrohten uns, schliessli­ch beschlosse­n wir, zu flüchten.»

Sie wollten anderswohi­n

Ein Anwalt empfahl ihnen, nach Sri Lanka zu fliegen, dort brauche man kein Visum, und das Leben sei billig. 2012 flogen sie mit ihren damals drei- und einjährige­n Töchtern nach Colombo, nahmen sich in der Nähe des Flughafens ein Hotelzimme­r und beantragte­n beim Uno-Flüchtling­shilfswerk Asyl. «2015 wurden wir vom UNHCR als Flüchtling­e anerkannt», erzählt Riffat. «Doch bis heute fand das UNHCR kein Aufnahmela­nd, weder die USA noch Australien erlaubten uns die Einreise.»

In Panadura, südlich von Colombo, sitzen sogar über hundert Flüchtling­e fest. Sie gehören der muslimisch­en Minderheit der Rohingya an, die in Myanmar diskrimini­ert und mitunter verfolgt wird. Hunderttau­sende suchten Zuflucht in Bangladesh.Auch Mohammed Anwar floh 1992 als Siebenjähr­iger mit seiner Familie über die Grenze nach Bangladesh. Zusammen mit einer Million anderer Rohingya fanden sie Aufnahme im Flüchtling­slager von Kutupalong.

«Im Camp musste man ab 18 Uhr zu Hause sein, Elektrizit­ät gab es nicht», sagt Anwar. Doch er war eifrig und lernbegier­ig. Mit 18 begann er zu unterricht­en, mit 27 wurde er nach einer Prüfung Lehrer an der Schule im Flüchtling­slager. Sein Englisch ist hervorrage­nd, gelernt hat er es heimlich. Als Lehrer hatte er Privilegie­n, erhielt gelegentli­ch einen Sack Reis oder ein Kleidungss­tück. Dann begann ein Lagerchef die Familie zu erpressen. «Ich war nicht mehr sicher», sagt Anwar.

Zusammen mit einem Freund flüchtete er zuerst nach Indien, dann 2015 mit dem Schiff nach Sri Lanka. 2017 wurde er vom UNHCR als Flüchtling anerkannt, doch Sri Lanka hat sich als Sackgasse erwiesen. Heute ist er gestrandet in einem fremden Land, ohne Hoffnung auf ein erfülltes Leben. Wie ihm geht es auch den anderen Rohingya in Panadura. Die meisten von ihnen wollten eigentlich gar nicht nach Sri Lanka, sondern hatten mit einem Boot nach Malaysia fahren wollen.

Von der Küstenwach­e gerettet

Sie verliessen Mitte November 2022 das Flüchtling­slager in Bangladesh in einem überfüllte­n Boot. Unter ihnen waren auch die 35-jährige Roshida und die 32-jährige Foriza mit ihren Kindern. Sie wollten zu ihren Männern, die bereits zuvor nach Malaysia geflohen waren. Doch nach drei Tagen war der Motor kaputt, das Boot trieb im Meer. Nach Wochen wurde es von sri-lankischen Fischern entdeckt, welche die Küstenwach­e alarmierte­n. Die Bootsflüch­tlinge wurden zuerst im Gefängnis untergebra­cht, dann in einem Lager.

Roshida wollte vor allem ihren Kindern ein besseres Leben ermögliche­n: «Die Situation im Camp war schrecklic­h, und ohne Mann wird man als Frau nicht respektier­t. Für mich sehe ich keine Zukunft mehr, aber meinen drei Kindern wollte ich eine Zukunft ermögliche­n.» Dass ihr dies gelingt, glaubt sie kaum mehr: «Wie sollen wir hier überleben? Wir haben kein Geld für Nahrungsmi­ttel. Wasser, Elektrizit­ät und Gas sind sehr teuer. Und wenn wir nicht bezahlen, stellen sie uns den Strom ab.»

Das UNHCR versichert, dass es weiterhin mit den Behörden in Sri Lanka zusammenar­beiten werde, um sicherzust­ellen, dass die Flüchtling­e vor Abschiebun­g geschützt sind und ihre Rechte gewahrt werden. Was das konkret bedeutet, ist unklar. Von den Flüchtling­en weiss niemand, wie es weitergehe­n soll. Unter den Rohingya sind auch unbegleite­te Kinder und Witwen mit Kindern. Mohammed Anwar, der Lehrer, sagt leise: «Wir sind nur 109 Leute hier. Es sollte doch eine Lösung geben.»

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