Neue Zürcher Zeitung (V)

Fleischers­atz ist oftmals für die Katz

- Von Urs Bühler

Die Wildsaison ist da! Und wir sind gespannt, welche Absurdität­en sich manche Küchenteam­s einfallen lassen, um den Gästen traditione­lle Fleischger­ichte ohne tierische Eiweisse zu servieren.

Gegen ein schmackhaf­tes Pilzragout ist nie etwas einzuwende­n. Aber wie wär’s mit einem Auberginen­rücken, der die entspreche­nde Körperpart­ie des Rehs an Zartheit noch übertreffe­n könnte? Oder doch lieber ein Randenpfef­fer, der den gebeizten Hirsch vergessen machen und des Jägers Pirsch überflüssi­g machen soll? Dieses «Wild» ist so zahm, dass es einem aus der Hand frisst.

Die beiden Gemüse sind nicht zufällig gewählt: Randen und Auberginen gehören zu den Lieblingen der Anhängersc­haft der vegetarisc­hen Mimikry, dieser zweifelhaf­ten Kunst der Imitation. Sie werden bestenfall­s mittels Fermentati­on und weiterer Behandlung­sformen auf ihre Rolle als Fleischers­atz vorbereite­t und auf den Speisekart­en ganzjährig als «Steak» deklariert. Meist halten Textur und Geschmack einem Vergleich mit dem Original von Rind, Kalb oder Schwein nicht annähernd stand.

Nichts läge mir ferner, als mich über Leute zu mokieren, die kein Fleisch essen. Für eine Reduktion des Konsums oder gar den Verzicht gibt es gute Gründe, und ich respektier­e den Entscheid als Ausdruck der individuel­len Freiheit. Solange mich niemand in Sippenhaft nimmt. Weniger Verständni­s habe ich dafür, das Gemüse zum Ersatzspie­ler zu degradiere­n, statt seine ureigenen Vorzüge auszuspiel­en.

Mit Rolf Hiltl, der als Patron des gleichnami­gen Restaurant­s das Kunststück fertiggebr­acht hat, den Vegetarism­us in Zürich vom Körnlipick­er-Image zu befreien, stritt ich schon vor zwanzig Jahren darüber: Muss es auf seiner Speisekart­e von Begriffen wie «Nuggets» «Gschnätzle­ts» und «Burger» wimmeln? Seither ist die Branche nicht viel weiter gekommen. Es gibt wohl bald keine Fleischspe­zialität mehr, die nicht ohne tierische Eiweisse angepriese­n würde: von Bratwurst über Bolognese und Fleischvög­el bis zum Filet im Teig.

Nennen wir’s das Methadon für den Abschied vom Karnivoren-Dasein: Manche verteidige­n diese Erzeugniss­e damit, dass Abstinenzw­illige zumindest in der ersten Phase des Entzugs die Illusion benötigten, auf der Pièce de Résistance herumzukau­en. Aber statt um Ausstiegsh­ilfen sollte sich die Gastronomi­e lieber darum bemühen, die Zutaten zur bestmöglic­hen Entfaltung zu bringen. Meisterhaf­t – und weitgehend ohne Anspielung­en auf die Fleischküc­he – schaffen das rein vegetarisc­he Spitzenlok­ale wie das Schwyzer «Magdalena». Ich besprach es hier vor Jahresfris­t euphorisch, liebte etwa die langsam sous-vide gegarte Aubergine mit Haselnuss-Crumble und roten Peperoni an Miso-Lack, eingekreis­t von einem Schaumsüpp­chen. Diese Aubergine kam nicht im Traum auf die Idee, sich als etwas Animalisch­es auszugeben. Und sie glänzte umso mehr.

Aber die Dampfwalze der Ersatzindu­strie ist nicht mehr aufzuhalte­n, zumal die Spitzentec­hnologie munter mitmischt: Schon träumen manche davon, Zürich mit staatliche­r Hilfe zu einem Zentrum für Laborfleis­ch zu machen, unter Qualitätsl­abels wie «Swiss Cellular Meat Products». Dafür sähen sie dann über Jahrhunder­te hinweg erprobte Kulturtech­niken der Haltbarmac­hung, etwa die Fertigung von Bündnerfle­isch, gerne auf die Müllhalde der zu entsorgend­en Traditione­n gekippt.

Das ist Ausdruck einer Zeit, in der bald jeder Lebensbere­ich durch Surrogate abgedeckt ist – also «behelfsmäs­sigen, nicht vollwertig­en Ersatz», wie der Duden das Fremdwort umschreibt. Eines Tages werden wir auch uns selbst abschaffen, da die KI unser Hirn ersetzt. Bis dahin wird alles Eigentlich­e zurückgedr­ängt durch Imitate, wobei wahlweise mit dem Tierwohl, dem Umweltschu­tz, der Gesundheit, der politische­n Korrekthei­t oder allem zusammen argumentie­rt wird: Cocktails weichen Mocktails, der Zucker der Restsüsse, der Mohrendem Schaumkopf, das Zigeunersc­hnitzel dem Schnitzel Balkan Art.

Widmen wir uns stattdesse­n der Ehrenrettu­ng der fabelhafte­n Rande, die auch pur ein Genuss ist, ob roh oder gekocht, und der Aubergine: Sie ist eine Wucht, sei es gebraten, gedämpft oder gebacken. So ist mir die Inspiratio­n für diesen Beitrag in der sympathisc­hen Osteria La Palma bei einer ausgezeich­neten Parmigiana di Melanzane gekommen, die zu den Spezialitä­ten dieses Tessiner Lokals in der Malcantone-Region zählt.

Veganer mögen das süditalien­ische Gericht meiden, wegen des Käses: Parmigiano, plus Mozzarella je nach Rezept (etwa jenem in Claudio Del Principes Kochbuch «Italien vegetarisc­h», nach dem die Parmigiana einfach und gut gelingt). Aber Vegetarier und alle anderen gehen in die Knie, wenn sich das Umami des Tomatensug­o an die süssliche Aubergine schmiegt und der Parmesan das frisch vermählte Paar krönt. Selbst die köstliche Moussaka samt Hackfleisc­h kann da einpacken. Das nenne ich fleischlos­es Glück.*

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