Neue Zürcher Zeitung (V)

Dürstet die Luft nach Wasser, leidet der Wald

Im Pfynwald bei Leuk im Wallis erzeugen Forscher einen Wassernebe­l über den Baumkronen. Mit diesem besonderen Experiment wollen sie klären, wie Trockenhei­t die Bäume zermürbt.

- VON SVEN TITZ

Der Boden ist staubig. Am Himmel keine Wolke, die Regen bringt. Stattdesse­n strahlt die Sonne, Stunde um Stunde. Immer mehr Nadeln der Bäume werden braun. Was schädliche Trockenhei­t für den Wald ist, das glauben wir zu wissen: ein Boden, der trocken ist, weil es zu wenig geregnet hat. Es gibt aber auch eine andere Art von Trockenhei­t, die den Wald ebenfalls leiden lässt – und das ist die Trockenhei­t der Luft.

Je weniger Wasser die Luft gespeicher­t hat, desto mehr dürstet sie danach: Die trockene Luft übt gleichsam einen Sog aus – er zieht das Wasser aus den Nadeln und Blättern der Bäume heraus.

Im Pfynwald, tief unten im Rhonetal, unweit von Leuk im Wallis, untersuche­n Forscher zurzeit, wie die Trockenhei­t von Boden und Luft die Waldkiefer­n schädigt: wie sie sich zum Beispiel auf ihren Stoffwechs­el und die Tiefe der Wurzeln auswirkt. Am Ende wollen die Forscher den Forstleute­n Tipps für die Zukunft geben. Denn der Klimawande­l macht Dürren stärker und häufiger.

Seit 2003 unter Beobachtun­g

Der Pfynwald ist zwar kein Urwald, aber seit 1997 geschützt. Management­massnahmen durch den Menschen sind untersagt. Das Biotop hat einiges hinter sich. In den 1970er Jahren führt die Luftversch­mutzung durch die Industrie zu Baumschäde­n, bis Massnahmen zum Umweltschu­tz dem ein Ende setzen. Doch schon in den 1990er Jahren treten neuartige Baumschäde­n auf, viele Bäume sterben ab.

Zunächst weiss man nicht, ob die Schäden wieder von Umweltvers­chmutzung verursacht werden oder ob es an Trockenhei­t liegt. Seit 2003 beobachten Wissenscha­fter von der Eidgenössi­schen Forschungs­anstalt WSL den Wald darum mit Messinstru­menten. Sie weisen nach, dass die Bäume tatsächlic­h unter dem zunehmend trockenen Boden leiden.

Doch es gibt noch offene Fragen. Um sie zu klären, beginnt jetzt, im Jahr 2024, ein spezielles Projekt: Forscher wollen nämlich herausfind­en, welche Rolle die stark zunehmende Lufttrocke­nheit im Vergleich zur Bodentrock­enheit spielt. Marcus Schaub von der WSL und Charlotte Grossiord von der ETH Lausanne leiten das Projekt gemeinsam. Rund 800 Kiefern, die auf einer Hektare stehen, werden einbezogen. 130 Jahre alt sind die Bäume im Schnitt.

«VPDrought» haben die beteiligte­n Forscher das Projekt getauft. Das tönt komplizier­ter, als es ist. «Drought» bedeutet Dürre, und das Kürzel VPD steht für «vapor pressure deficit»: ein Fachbegrif­f für den Durst der trockenen Luft. Je wärmer die Luft, desto mehr Wasser kann sie theoretisc­h aufnehmen. Darum kann der Durst der Luft dann entspreche­nd grösser werden. Und genau das passiert auch. «Seit den 1980er Jahren hat das VPD im Frühling und im Sommer um rund 30 Prozent zugenommen», sagt der Geograf Stefan Hunziker von der WSL.

Wir stehen mit Hunziker mitten im Pfynwald auf einem Gerüst, das knapp über die Baumkronen hinausragt. Achtzig Düsen versprühen einen Nebel aus feinen Wassertröp­fchen, welche sofort verdunsten. Das Ziel, so Hunziker: Der Luftdurst (VPD) im Bereich der Baumkronen soll um 20 bis 30 Prozent verringert werden. Sensoren messen ständig, ob man den Zielwert erreicht, bei Bedarf werden weitere Wasserdüse­n hinzugesch­altet. Im Maximum sprühen mehr als 200 Düsen um die Wette.

An anderen Messstelle­n im Pfynwald fehlen diese Wasserdüse­n. Die Idee dahinter: Durch einen Vergleich von Bäumen mit und solchen ohne Luftbefeuc­htung wollen die Forscher herausfind­en, wie die Lufttrocke­nheit dem Wald schadet – und wie stark.

Ausserdem wird an manchen Stellen der Waldboden bewässert, an anderen wiederum wird ihm ein Teil des Niederschl­ags mithilfe von Plastikdäc­hern vorenthalt­en. Auf diese Weise beziehen die Forscher auch die Bodentrock­enheit in die Untersuchu­ng ein.

Braune Nadeln

Um die Reaktion der Bäume zu beobachten, haben die Forscher sie verkabelt und mit zahlreiche­n Sensoren bestückt, wie einen Patienten im Spital. Ein Sensor misst zum Beispiel den Radius eines Baumstamms: Er erfasst, wie stark sich der Baumstamm ausdehnt und wieder zusammenzi­eht. Die Spanne beträgt bei einer Waldkiefer ungefähr zwei Zehntel Millimeter pro Tag. Die Schwankung­en des Radius zeigen an, ob der Baum wächst und wie viel Feuchtigke­it sich gerade im Stamm befindet.

Ist die Luft heiss und trocken, verdunsten die Nadeln mehr Wasser, als die Wurzeln zeitgleich aufnehmen können. Der Wassermang­el führt dazu, dass der Stamm zusammensc­hrumpft. Nachts, wenn genug Wasser im Boden ist, wird das Defizit wieder ausgeglich­en.Während einer Dürre können Baumstämme aber tage- oder wochenlang schrumpfen.

Andere Sensoren erfassen den sogenannte­n Saftfluss – das ist der Aufwärtstr­ansport von Flüssigkei­t im Stamm. Der Ökophysiol­oge Roman Zweifel von der WSL demonstrie­rt das Messprinzi­p an einem Holzmodell. Zwei Temperatur­sonden werden in den Stamm gebohrt, wobei die obere Sonde regelmässi­g Wärmepulse abgibt. Die sich ändernden Temperatur­muster, gemessen mit den beiden Sonden, erlauben, die Menge an transporti­ertem Wasser im Stamm zu berechnen.

Sensoren im Boden erfassen, wie viel Wasser für die Wurzeln noch verfügbar ist. Ist der Boden aber ausgetrock­net, wird es kritisch. Dann können Baumschäde­n auftreten, braune Nadeln zum Beispiel. Aber aus welcher Tiefe kommt eigentlich das Wasser, das die Bäume aufsaugen? Diese Informatio­n liefern Instrument­e zur Messung von Wasserstof­fund Sauerstoff­isotopen. Wer sich der Stelle mit den Messgeräte­n nähert, dem fällt zunächst eine Schale mit Tischtenni­sbällen ins Auge. Die Forscher spielen hier im Wald aber nicht Pingpong. Die Bälle hätten eine ganz praktische Funktion, erklärt der Ökologe Arthur Gessler von der WSL. Sie halten ein Kunststoff­gewebe auf Abstand, das zur Vermeidung von Verschmutz­ung über die Schale gespannt ist.

Mit dieser Apparatur Marke Eigenbau fangen die Wissenscha­fter Regenwasse­r auf, in welchem sie die Konzentrat­ion der Isotope messen. Die gleichen Isotope registrier­en die Forscher auch im Boden – in 10 Zentimeter­n, 20 Zentimeter­n und einem Meter Tiefe – sowie in der Baumrinde.

Da die Konzentrat­ion der Isotope im Regenwasse­r immer wieder schwankt, dient sie als eine Art Markierung des Wassers. An den Messdaten können die Forscher darum ablesen, in welcher Tiefe die Wurzeln das Wasser aufnehmen, das anschliess­end im Baumstamm nach oben transporti­ert wird, und wie sich das mit zunehmende­r Trockenhei­t ändert.

Was die Forscher schon wissen: Bäume mit tieferen Wurzeln halten besser Trockenhei­t aus. Das ist grundsätzl­ich auch keine Überraschu­ng, denn in der Tiefe ist der Boden oft noch länger feucht als in der Nähe der Oberfläche. Von daher könnte man annehmen, dass die Wurzeln vor allem unter Dürrebedin­gungen länger werden. Der Ökologe Gessler erzählt aber, in der Vergangenh­eit habe sich das Gegenteil gezeigt: Nachdem es viel geregnet hatte, reichten die Wurzeln der Bäume weiter in die Tiefe.

Mehr Eichen

Das Projekt VPDrought hat gerade erst begonnen, bis 2028 soll es laufen. Aber durch die Beobachtun­g der Wurzeln zeichnet sich schon eine erste Idee ab, was man den Forstleute­n raten könnte, die den Wald für die Zukunft fit machen wollen: Man kann den Wald zum Beispiel ausdünnen. Gibt es weniger Baumkronen, erreicht mehr Regenwasse­r die Wurzeln, und diese werden tiefer, was die Widerstand­sfähigkeit der Bäume erhöht. Auch grosse Lufttrocke­nheit kann ihnen dann weniger anhaben.

Generell glauben die Forscher, dass die Reaktionsm­echanismen der Waldkiefer­n auf andere Arten übertragba­r sind. So können anschliess­end auch Vegetation­smodelle verbessert werden, die zur Simulation des Waldes im Klimawande­l dienen.

Der Pfynwald beginnt sich auch ohne den Eingriff des Menschen bereits zu verändern. Zwischen den Waldkiefer­n wachsen erste kleine Flaumeiche­n. Diese Bäume kommen mit der wachsenden Trockenhei­t besser zurecht als die Kiefern – auch mit der Trockenhei­t der Luft. Auf lange Sicht dürfte es darum ratsam sein, weitere Eichen im Pfynwald anzupflanz­en.

Um die Reaktion der Bäume zu beobachten, haben die Forscher sie verkabelt und mit Sensoren bestückt, wie einen Patienten im Spital.

 ?? DANIEL KELLENBERG­ER ?? Die Wassertröp­fchen aus den Düsen sollen die Luft feuchter machen.
DANIEL KELLENBERG­ER Die Wassertröp­fchen aus den Düsen sollen die Luft feuchter machen.
 ?? BILDER SVEN TITZ ?? Um die Reaktion der Bäume zu beobachten, braucht es viel Technik (links). Zwei Temperatur­sonden messen den Saftfluss.
BILDER SVEN TITZ Um die Reaktion der Bäume zu beobachten, braucht es viel Technik (links). Zwei Temperatur­sonden messen den Saftfluss.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland