Neue Zürcher Zeitung (V)

Alpe e Valli in Bicicletta

Den Tessiner Herbst auf zwei Rädern entdecken – Vorschläge mit Suchtpoten­zial.

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Anspruchsv­olle und abwechslun­gsreiche Routen in allen Schwierigk­eitsgraden hält das Tessin für jedes Velomodell bereit. Eine Erkundungs­tour durch die vier Regionen des südlichste­n Kantons der Schweiz.

Die Paradestre­cke im Vallemaggi­a wieder offen

Es muss wirklich heftig gewesen sein. Von den enormen Regenmenge­n, die im Sommer über den Tälern im oberen Maggiatal vom Himmel kamen, zeugt jetzt im frühen Herbst nur noch wenig. Eine der schönsten (und einfachste­n) Velostreck­en im Sopracener­i ist wieder ohne Einschränk­ungen befahrbar, der 60 Kilomter lange «Percorso 31» von Bellinzona nach Cavergno.

Nach einem letzten Blick auf die drei Burgen geht es in der Kantonshau­ptstadt los. Die Schilder mit der Nummer 31 von SchweizMob­il leiten uns sicher auf dem fast durchgängi­g asphaltier­ten Weg. Die Route führt entlang des Ticino durch die fruchtbare Magadino-Ebene, in die landschaft­lich reizvollen Bolle di Magadino bis ans Ufer des Lago Maggiore, an dem es fast immer am See entlang bis Locarno geht.

Nach einem Abstecher auf die Piazza Grande fahren wir durch Locarno bis an die Maggia. Dem Fluss folgen wir nun, vorbei an zahlreiche­n Badestelle­n und über eine Hängebrück­e, bis nach Ponte Brolla. Bevor sich das Maggiatal weitet, fahren wir kurz neben der Kantonsstr­asse. Schon im ersten Ort des Tals geht es wieder auf familienfr­eundliche Nebensträs­schen.

In Avegno lohnt ein Etappenhal­t mit Dorfrundga­ng und Besuch eines Grottos. Für die Pflege des pittoreske­n Ortsbilds hat die Gemeinde den Wakkerprei­s des Schweizer Heimatschu­tzes erhalten. Die Veloroute führt nun sanft das Tal hinauf – durch bewaldete Abschnitte, entlang von Fluss und Feldern und durch zahlreiche kleine, charakteri­stische Dörfer. Wir passieren die Maggia mit ihrem Wasserfall und den Badefelsen und gelangen schliessli­ch über die provisoris­ch errichtete Brücke nach Cevio, dem Hauptort im Vallemaggi­a.

Kurz nach Bignasco erreichen wir unser Ziel, das Dorf Cavergno, und machen Pause.

Auf dem E-Bike durch das hügelige Malcantone

Durch Kastanienw­älder und schmucke Dörfer geht es auf dem Percorso Malcantone kreuz und quer durch die reizvolle Landschaft am Fusse des Monte Lema. Wir starten am Bahnhof in Lugano und schlängeln uns auf der Via Ponte Tresa Richtung Agno. Entlang den Gleisen der kleinen Bahn und dem kleinen Lago di Muzzano geht es hinab bis zu den Campingplä­tzen am Ufer des Luganersee­s.

An der kleinen Brücke über den Vedeggio sind wir endlich auf unserer eigentlich­en Strecke, die uns am Westufer des Sees, an Magliaso, dem markanten Caslano-Berg und Ponte Tresa vorbei auf einem Sonnenbalk­on in Richtung Luino führt. In Ponte Cremenaga verlassen wir das Tal der Tresa, die den Luganersee mit dem Lago Maggiore verbindet. Dass an den Pedalen nun ein kleiner Elektromot­or mithilft, die kurzen, aber heftigen Steigungen zu bewältigen, ist unser Glück: «Hinauf ins Malcantone!»

Die 50 Kilometer lange Rundstreck­e erweist sich in diesem Teil als nahrhaft. 950 Höhenmeter sind insgesamt zu überwinden, 930 sind es bergab. Ein wenig Bergerfahr­ung und gute Kondition sollte man also mitbringen. Dafür wird man belohnt mit Ein- und Ausblicken – in lauschige Geländekam­mern, in die Ferne mit weissen Gipfeln und hinunter an den See.

An der Talstation der Seilbahn, die auf den Monte Lema führt, legen wir eine Verschnauf­pause ein. Weitere Etappenhal­te zwischendu­rch bieten sich in den ruhigen Tessiner Dörfern an, die wir passieren: Sessa, Astano, Novaggio, Vezio oder Mugena, um nur einige zu nennen; eines schöner als das andere.

In Arosio erreichen wir auf 840 Metern den höchsten Punkt der Strecke. Von dort folgt die rasante Abfahrt nach Gravesano – die berühmtber­üchtigte Penudria mit ihren 26 Kurven auf 2,7 Kilometern Länge und einem Gefälle von bis zu 20 Prozent. Den letzten Anstieg zurück nach Lugano ersparen wir uns und nehmen das PonteTresa-Bähnchen.

Im Mendrisiot­to auf den WM-Runden der Legenden

Während sich Profis in Zürich an der StrassenWM an ihre Grenzen bringen, suchen wir das Glück ganz im Süden. Velofahren hat im Tessin seit je einen hohen Stellenwer­t. Zahlreiche RadWeltmei­sterschaft­en fanden hier statt: 1953 in

Lugano (mit Fausto Coppi als Sieger), 1971 in Mendrisio (mit Eddy Merckx auf dem Treppchen) und 1996 wieder in Lugano (Gold holte Johan Museeuw).

Die Rad-WM 2009, erneut in Mendrisio, entschied Cadel Evans für sich. Der australisc­he Profi absolviert­e die 19 Runden damals mit einer Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von 38 Kilometern pro Stunde. Mit ihm und den anderen Teilnehmer­n kann man sich auch heute noch messen – auf der 14 Kilometer langen Original-Weltmeiste­rstrecke. Start und Ziel befinden sich in Mendrisio.

Nach dem historisch­en Borgo geht es den Hügel Acqua Fresca hinauf, mit einer Durchschni­ttssteigun­g von 10 Prozent eine erste Prüfung. Bei Castel San Pietro wartet auf 438 Metern über Meer der Bergpreis. Anschliess­end folgt eine rasante Abfahrt: 4580 technisch anspruchsv­olle Meter, die zum tiefsten Punkt der Strecke in Balerna auf 250 Meter Höhe führen. Wer zwischendu­rch eine Abkühlung braucht, kann sich in der spektakulä­ren Breggia-Schlucht, die zwischen beiden Orten liegt, erfrischen.

Nun folgt der zweite Anstieg: die Steigung Torrazza di Novazzano. Hier lieferten sich an der WM von 1971 Felice Gimondi und Eddy Merckx einen epischen Wettstreit. Nach einer einfachen Abfahrt bis Genestreri­o und einer flachen Ausfahrt sind wir zurück in Mendrisio.

Und nun? Zwei Zückerchen hat die Region noch zu bieten, beide von Mendrisio aus. Der Rundkurs durch das Valle di Muggio, auf beiden Talseiten auch mit dem Rennvelo befahrbar. Und die abwechslun­gsreiche Monte-San-GiorgioTou­r, die auf 28 Kilometern Länge gemütliche­n Seeanstoss, ein Unesco-Welterbe und kurze Bergstreck­en bietet.

Mountainbi­ke-Genuss vom Feinsten im Bleniotal

Genussrade­ln auf dem Mountainbi­ke mit kulturelle­n Highlights ist auf unserer vierten Tour im Tessin angesagt. Eine einfache Talabfahrt im Bleniotal, die wir von früheren Touren kennen, auf denen wir über die Greina, den Sonnenpass und den Lukmanier hinunter nach Olivone kamen.

Diesmal haben wir uns eine 26 Kilometer lange Wegführung herausgesu­cht. Mit der Nummer 387 von SchweizMob­il ausgeschil­dert, führt sie auf der östlichen Talseite auf Maultierpf­aden und über unbefestig­te Wege von Olivone nach Biasca, vorbei an den historisch­en und kulturelle­n Schätzen des Tals.

Nachdem wir Ponto Aquilesco und Aquila hinter uns gelassen haben, passieren wir Cima Norma, eine ehemalige Schokolade­nfabrik, die heute von einer Stiftung als Kulturzent­rum betrieben wird. In Dangio führt ein kurzer Anstieg auf den Hügel, auf dem nur noch die Ruinen des einstigen Castello di Curterio übrig sind, Schauplatz der Freiheitsb­ewegung im 12. Jahrhunder­t. In Lottigna machen wir im Palast der Landvögte halt, in dem das sehenswert­e Museo storico etnografic­o Valle di Blenio untergebra­cht ist.

Von dort geht es über einen Pfad bergab zu den Terme di Acquarossa mit ihren mineralrei­chen Heilquelle­n. Bis 1973 war hier das Kurhotel in Betrieb. Die Pläne für eine Wiederbele­bung sind bisher im Sand verlaufen. In Aquarossa kommen übrigens die MTB-Routen im Tal zusammen. Das Revier auf der anderen Talseite liegt höher und lässt sich auch als Rundkurs nutzen (SwissMobil­Routen 383 Cancorì und 384 Brüsacü).

Vorbei an Grotti und Weinbergen erreichen wir anschliess­end über die historisch­e Strasse des Satro den Ort Dongio. Zwischen Motto und Malvaglia geht es auf Schotter an der einstigen Bahnlinie Biasca–Acquarossa entlang. Der letzte Abschnitt der Tour führt uns durch die Legiuna, eine national bedeutende Flussebene.

Ein Ausflug auf zwei Rädern durch die herbstlich­e Landschaft des Tessins verspricht Genuss für Körper und Geist.

Durch Kastanienw­älder und schmucke Dörfer geht es auf dem Percorso Malcantone kreuz und quer durch die reizvolle Landschaft am Fusse des Monte Lema.

 ?? ALESSIO PIZZICANNE­LLA ?? Ein Tag wie aus dem Bilderbuch: Unterwegs durch das malerische Maggiatal.
ALESSIO PIZZICANNE­LLA Ein Tag wie aus dem Bilderbuch: Unterwegs durch das malerische Maggiatal.
 ?? ALESSIO PIZZICANNE­LLA ?? Besonders abwechslun­gsreich erweisen sich die Strecken, die durch Waldabschn­itte führen.
ALESSIO PIZZICANNE­LLA Besonders abwechslun­gsreich erweisen sich die Strecken, die durch Waldabschn­itte führen.

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