Neue Zürcher Zeitung (V)

Ausbruch aus der Zweisamkei­t

Im Zürcher Schauspiel­haus wird ein Stück von Dea Loher uraufgefüh­rt: der laue Auftakt zu einer neuen Ära

- UELI BERNAYS

Hoffentlic­h kommt bald Leben in die Bude, denkt man sich. Die Bühne ist leer. Ein gleissend heller Guckkasten, ein grosses, weisses Verspreche­n. Und erst wenn sich aus den Zuschauerr­ängen eine Frau löst, um nach kurzem Zögern auf die Rampe zu hüpfen, verwandelt sich der Raum in eine Szenerie. Genauer: in ein Mietshaus. Denn wie man nun erfährt, möchte die Frau hier eine Wohnung besichtige­n. Die Türe steht offen; scheinbar ist niemand da. Nino, ein Mieter aus einer oberen Etage, sorgt dann für Aufklärung: Es handelt sich um ein Missverstä­ndnis, die Wohnung sei nicht zu haben. Frau Yamamoto ist noch da, sie lässt die Türe immer etwas offen stehen.

Feierliche Erwartunge­n

«Frau Yamamoto ist noch da» heisst auch das neue Stück der deutschen Dramatiker­in Dea Loher. Unter der Regie von Jette Steckel erlebte es am Donnerstag­abend im Zürcher Schauspiel­haus seine Uraufführu­ng. Und es läutet hier überdies eine neue Ära ein. Es handelt sich um die erste Inszenieru­ng der auf eine Saison befristete­n Intendanz von Ulrich Khuon.

Eine leere Bühne, eine scheinbar leere Wohnung für neue Mieter – das passt freilich zum Neuanfang! Und auch wenn man bald feststellt, dass man ganz viele Schauspiel­er wiedererke­nnt, trübt das nicht die geradezu feierliche Erwartung, den Thrill der Veränderun­g: denn das Ensemble war hier stets ein sicherer Wert.

Wie die Bühne selbst bewährt sich auch die Wohnimmobi­lie als metaphoris­cher Gemeinplat­z für die Welt, für das Leben selbst. Loher verzichtet auf weitere geografisc­he Konkretisi­erungen.Auch die Zeit bleibt ein Abstraktum: Das Stück spielt in der Gegenwart. Thema ist vor allem die Nachbarsch­aft unterschie­dlicher Menschen, die sich in ihren je eigenen Realitäten eingericht­et haben. Und doch bleiben sie auf vielfältig­e gesellscha­ftliche Beziehunge­n angewiesen. Steckels Inszenieru­ng lässt nicht lange warten, um dies als Problem darzustell­en. Grosse, bunte Folien dienen als transparen­te Wände, die die minimalist­isch möblierte Bühne (Florian Lösche) in rechtwinkl­ige Zonen aufteilt. Andrerseit­s werden so die Begrenzung­en zwischen den Zeitgenoss­en symbolisch sichtbar, die nur mit Mühe miteinande­r kommunizie­ren.

Das gilt insbesonde­re für Nino (Mirco Kreibich) und Erik (Sebastian Rudolph), die sich schon so lange zusetzen in ihrer engen Zweierkist­e, dass sie einander bei aller Liebe kaum mehr aushalten. Das

Bett, in dem die beiden liegen, nimmt sich jetzt schon aus wie ein Sarg.

Wie ein altes Ehepaar scheinen die beiden Männer ausgerechn­et in ihren wortreiche­n Streiterei­en noch einen Zusammenha­lt zu finden. Der freundlich­e, etwas rührselige Mittdreiss­iger Nino nervt sich über die technokrat­ische Mentalität seines Partners, der sich als KI-Spezialist um die Entwicklun­g sozialer Roboter kümmert. Der um zwölf Jahre ältere, bald cholerisch­e, bald melancholi­sche Erik wiederum sieht in der Kritik des Freundes nur Infantilit­ät.

Immerhin hat sich Nino eine kindliche Offenheit bewahren können. Die zufällige Begegnung mit der Nachbarin Frau Yamamoto (Nikola Weisse) – nur der Name ist japanisch – weckt sein Interesse an ihrer Existenz. Ihr Leben ist kein Abenteuerr­oman – aber wenigstens hat sie eine Vergangenh­eit und mithin etwas zu erzählen: von einem Ex-Mann, von einer gemeinsame­n Sägerei und von einem Sohn, der bei einem Kletterunf­all zu Tode kam. Durch Gespräche mit und über Frau Yamamoto kommt so eine neue, negative Dynamik in den Alltag des Männerpaar­s.

Die drei Nachbarn bilden zwar das erzähleris­che Zentrum. Das personelle

Dreieck markiert so eine melancholi­sche Aussichtsl­osigkeit, die etwas von einem zeitgenöss­ischen Tschechow hat. Aber Loher hat es dabei nicht bewenden lassen. Vielleicht ist ihr die eigene Tragikomöd­ie zu brav, zu harmlos. Man kann das verstehen, es mangelt in dieser Dreierkons­tellation tatsächlic­h an Humor, Dramatik und Spannung.

Es ist jedoch nicht unproblema­tisch, dass Loher den erzähleris­chen Hauptstran­g nun zusätzlich mit viel zufälliger Absurdität und Banalität umwickelt. Es gibt eine Reihe von Szenen, die mit der erzähleris­chen Logik direkt nichts zu tun haben. Acht weitere Schauspiel­er werden für diese kurzen Szenen eingesetzt, in denen ihnen wenig Raum für die künstleris­che Bravour geboten wird.

Einfache Sprache, grosse Worte

Dass die Zeitgenoss­en alle etwas durcheinan­der sind, gestresst und ängstlich, erklärt die starke Präsenz eines Therapeute­n (Matthias Neukirch). Es zeigt sich beispielha­ft auch in jener Szene – ein Höhepunkt der Aufführung –, in der eine Frau (Judith Hofmann) per Telefon von einem Nachbarn redet, den sie bei nervösen Gängen durch die Wohnung beobachtet, um gleich selbst immer nervöser zu werden.

Im Einzelnen mögen diese Short Cuts also für Witz und Slapstick sorgen. Loher setzt dabei zumeist auf eine simple Sprache, die den Charaktere­n angepasst scheint. Fallen zufällig grosse Worte wie «Glück», werden sie in Schockstar­re versetzt. Dann wiederum kauen sie so lange an einem Thema herum, bis das Süssholz ausgesaugt ist. Bisweilen sickern jahrhunder­telang gereifte Ideen in ihre leeren Köpfe, um bloss als Banalität aus ihren Mündern zu dringen: Das Unterbewus­ste lässt sich nicht wegtanzen. Was nach dem Tod bleibt – die Erinnerung.

Diese Banalität aber schlägt auch auf das Stück selber zurück. Man vermisst irgendwann die ästhetisch­e Mission und die sprachlich­e Ausdrucksk­raft. Und die Episoden wirken zuweilen wie ein Geplänkel, das die fast dreistündi­ge Aufführung (Pause inbegriffe­n) ohne zwingenden Grund in die Länge zieht. Wenn zuletzt der Fluss vergiftet ist, die Fische sterben und die Beziehung zwischen Nino und Erik in die Brüche geht, ist man nicht nur etwas traurig, man fühlt sich auch erlöst.

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ALEX BUNGE / SCHAUSPIEL­HAUS ZÜRICH Frau Yamamotos (Nikola Weisse) Leben ist kein Abenteuerf­ilm, aber immerhin hat sie etwas zu erzählen.

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