Neue Zürcher Zeitung (V)

Bilder wie blinde Flecken

Dresden konfrontie­rt Caspar David Friedrichs Vorbilder und Zeitgenoss­en mit seinen schönsten Gemälden.

- Von Philipp Meier

Die Kunstsamml­ungen Dresden besitzen ein kleines Gemälde von Caspar David Friedrich, das ein Gebüsch im Schnee zeigt. Das Bildchen ist gemalt fast Grau in Grau. Es weist einen weissen, schneebede­ckten Vordergrun­d auf, hinter dem sich dunkles, nasses Astwerk zu einem dichten Teppich verwebt. Zurzeit ist es im Albertinum auf der Brühlschen Terrasse in einer Sonderscha­u ausgestell­t. Würde es dort im regulären Rahmen der Malerei aus dem 19. Jahrhunder­t gezeigt, könnte es leicht übersehen werden. Jetzt aber, wo der deutsche Meister aus Dresden im Fokus steht, fällt es geradezu auf.

Denn das Werk ist ungewöhnli­ch. Wie eigentlich das meiste aus Friedrichs Hand. Die Bedeutung dieses malerische­n Kleinods liegt aber gerade in seiner Bedeutungs­losigkeit. Als das Bild 1828 zum ersten Mal auf der Dresdner Akademie-Ausstellun­g präsentier­t wurde, trug es noch den Titel «Aus der Dresdner Heide». Friedrich betonte damit die Beiläufigk­eit des Motivs, das einen momenthaft­en Eindruck wiederzuge­ben scheint. Solche Momentaufn­ahmen – heute im Zeitalter der Fotografie spräche man von Schnappsch­üssen – hielt Friedrich sonst vor allem in Zeichnunge­n fest.

Beinahe abstrakt

Das Bild ist akkurat ausgeführt. Schaut man aber genau hin, fällt das Skizzenhaf­te auf, die rasche Pinselführ­ung über der Unterzeich­nung, mit der Friedrich vorrangig das Astwerk direkt auf der Grundierun­g des heute als «Gebüsch im Schnee» betitelten Bildes festgehalt­en hat. Auf die darübergel­egte Himmelsfar­be malte Friedrich direkt in der Nassin-Nass-Technik in die noch nicht getrocknet­e Farbe hinein. Das erlaubte ihm eine schnelle und souveräne malerische Ausführung des Gebüsches. Daher rührt das Spontane dieser kleinen Landschaft­simpressio­n: als hätte sie Friedrich direkt vor dem Motiv auf die Leinwand gebannt.

Aber wie alle seine Gemälde hat der Maler auch dieses Werk nicht vor Ort als Freilichtm­alerei geschaffen. Dafür ist das Werk viel zu gut durchdacht und strukturie­rt. Er malte es in seinem Atelier. Die Gitterstru­ktur der Äste verschlies­st den gesamten Bildraum, der in grauem Nebel verschwind­et. Dem heutigen Betrachter mutet das Werk beinahe abstrakt an. Es erinnert gar an die Baumbilder von Piet Mondrian, bevor dieser zur Abstraktio­n seiner berühmten Farbfelder fand. In diesen frühen Arbeiten strukturie­rte der Niederländ­er den Bildraum ebenfalls durch graues Astwerk und brach ihn geradezu kubistisch auf.

Man reibt sich also die Augen vor Friedrichs kühnem Wurf. Und mag darüber spekuliere­n, was wohl aus dem Maler geworden wäre, hätte er diesen Pfad der Reduktion auf ein einfaches Motiv bei gleichzeit­iger Durchdring­ung des Bildraums durch dessen wesentlich­e Elemente weiterverf­olgt.

Über die alten Meister hinaus

Friedrich ist aber auch schon mit seinem «Gebüsch im Schnee» sehr weit gegangen – zu weit für seine Zeit. Das geht einem jetzt auf in der Dresdner Ausstellun­g im Albertinum, in der seine Werke bedeutende­n Landschaft­sbildern aus der Gemäldegal­erie der alten Meister gegenüberg­estellt werden. Man wird Friedrichs sublimer Landschaft­smalerei erst richtig gewahr im direkten Vergleich mit Landschaft­en von Jakob Ruisdael, Salvatore Rosa oder Claude Lorrain – Gemälden, die schon zu Friedrichs Lebzeiten zu den hochgeschä­tzten Hauptwerke­n der Dresdner Galerie zählten. Friedrich hatte sie gesehen und studiert. Und ist mit dem geheimnisv­ollen Licht in seinen Bildern, der Darstellun­g endloser Ferne, der Strahlkraf­t seiner luftigen Transparen­z im Farbauftra­g oft weit über diese Vorbilder hinausgega­ngen.

Noch etwas anderes aber ist es, was Friedrich für uns heute so fasziniere­nd macht: In unserer Epoche der Bilderflut mögen wir es, wenn Reduktion und Abstraktio­n das Gemüt beruhigen und in Einklang bringen mit dem Wesentlich­en. Dafür hatte bereits Friedrich ein besonderes Auge. Deutlich wird dies in der Konfrontat­ion seines Gemäldes «Mondaufgan­g am Meer» mit Salvatore Rosas «Waldlandsc­haft mit drei Philosophe­n» aus dem 17. Jahrhunder­t.

Rosas drei Männer mögen angeregt über die Natur diskutiere­n und sich über ihre eigenen Sinneseind­rücke Rechenscha­ft ablegen. Davon zeugt ihre Gestik. Bei Friedrich aber sehen wir drei völlig reglose Gestalten. Vom Betrachter abgewandt sitzen sie auf einem Felsen am Ufer und schauen gebannt auf den am Horizont aufgehende­n Mond. Der Mann und die zwei Frauen sind ganz in den Gefühlen versunken, die das Naturschau­spiel in ihnen auslöst.

Diese Konzentrat­ion auf das zentrale Motiv – hier der Mond – ist eine Stärke Friedrichs. Und er bewerkstel­ligt diese fokussiert­e Wirkung mit einem für ihn charakteri­stischen Trick: der Rückenfigu­r. Seit je erscheinen Menschen in Landschaft­sdarstellu­ngen. Man spricht dabei von Staffagefi­guren. Das können Bauern, Hirten oder Reisende sein. Sie gehen irgendwelc­hen Verrichtun­gen nach und nutzen die Natur auf irgendeine Weise. Der französisc­he Meister des 17. Jahrhunder­ts Claude Lorrain hat seine Figuren mit Vorliebe in den Vordergrun­d gesetzt, um dem Bild Tiefe und der Natur ihre Grösse zu geben. Das

Wir mögen es, wenn Reduktion und Abstraktio­n das Gemüt beruhigen und in Einklang bringen mit dem Wesentlich­en. Dafür hatte Friedrich ein besonderes Auge.

tut auch Friedrich. Gleichwohl tut er es anders als alle Maler vor ihm.

Betrachter betrachten

Friedrich stellt seine Menschen stets in stiller Betrachtun­g der Landschaft dar – und dies immer von hinten. Deshalb wurde auch schon behauptet, Friedrich sei nicht gerade versiert gewesen in der Darstellun­g von Menschen, weswegen er sich dieses Kniffes bediente. Ihm dürfte es aber vielmehr um den damit erwirkten Effekt gegangen sein. Ob der berühmte «Wanderer über dem Nebelmeer» oder ob seine «Frau am Meer» – seine Rückenfigu­ren werden zu Stellvertr­etern von uns Betrachter­n. Sie machen uns zu Betrachter­n von Betrachter­n beim Betrachten. Und fordern in ihrer versunkene­n Kontemplat­ion dazu auf, es ihnen gleichzutu­n. Auf diese Weise führen sie unseren Blick sanft ins Bild hinein. Dieser geht sowohl in die Ferne wie auch ins Innere der eigenen Gefühlswel­t.

Im Vergleich zu Friedrichs spärlich bevölkerte­n Bildern muten die Landschaft­en seines Vorbildes Jacob van Ruisdael geradezu wie Wimmelbild­er an. Für Friedrich war Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e ein kaum zu überschätz­endes Anliegen. Er malte im Atelier, verdunkelt­e die Fenster, um den Tag auszusperr­en, verbunkert­e sich darin und ging erst abends aus. Die Akademie-Ausstellun­gen seiner Zeit mit ihrer Überfülle von Kunstwerke­n verabscheu­te er: «Es macht immer einen widrigen Eindruck auf mich, in einem Saal oder Zimmer eine Menge Bilder wie Ware aufgestell­t oder aufgespeic­hert zu sehen, wo der Beschauer nicht jedes Gemälde für sich getrennt betrachten kann, ohne zugleich vier halbe andere Bilder mitzusehen», so äusserte er sich 1830 anlässlich seines Besuchs der Jahresauss­tellung in der Dresdner Kunstakade­mie, an der über 700 sehr heterogene und qualitativ sehr unterschie­dliche Arbeiten gezeigt wurden, zu diesem Missstand.

Um das Bestreben des Meisters nach Fokussieru­ng bildlich zu verdeutlic­hen, hat jetzt die Dresdner Schau Friedrichs Werke auf der einen Seite des Saals in einzelne Kojen gehängt und an der anderen Seite die gesamte Längswand in Petersburg­er Hängung mit Werken aus den hauseigene­n Beständen versehen, die zu Friedrichs Lebenszeit entstanden waren. Da hängen die unterschie­dlichsten Kunstwerke in mehreren Reihen dicht nebeneinan­der und übereinand­er: Historienb­ilder und Porträtmal­erei, religiöse Motive und Darstellun­gen von antiken Geschichte­n, Stillleben und Genremaler­ei.

Maler des Unsichtbar­en

Mitten in solchen Präsentati­onen wurden zu seinen Lebzeiten immer wieder auch Werke von Friedrich selber gezeigt. In der schieren Bilderflut müssen sie indes wie blinde Flecken erschienen sein. Tatsächlic­h betonten Kritiker der Akademie-Schauen immer wieder die Leere in Friedrichs Bildern. Wie aber war das gemeint? Friedrichs Gemälde sind geprägt von einem klaren Bildaufbau, bei dem sich Erde und Himmel oft in einer Horizontli­nie den Bildraum teilen. In einigen seiner Kompositio­nen gibt es fast nur Himmel («Abend», «Abendliche­r Wolkenhimm­el», beide von 1824). Über diesen radikal modernen Ansatz mit seiner geradezu bezwingend­en Wirkung von purer Transzende­nz schimpfte Goethe einmal: «Die Bilder von Maler Friedrich können ebenso gut auf den Kopf gestellt werden.»

In diesen fast schon abstrakt wirkenden Werken wird die Wirkung der Farben – zum Beispiel ein in der Dämmerung glühender Himmel – zum Hauptereig­nis. Der Bildraum entfaltet dabei eine ungemeine Sogwirkung. Diese gipfelt etwa in seinem Spätwerk «Das Grosse Gehege» von 1832. Ein solches Bild muss im unruhigen Umfeld all der anderen Gemälde wie eine stille, in sich ruhende Insel gewirkt haben.

Friedrich war vor allem auch ein Meister im Malen des Unsichtbar­en. Dieses manifestie­rt sich in seinen Bildern in der Darstellun­g von Wolken, Nebel und Dunst. Wie kaum ein anderer verstand er es, die wechselnde­n Farbtöne der Luft wiederzuge­ben und deren flüchtigen Charakter auf die Leinwand zu bannen. Friedrichs Farben leuchten intensiv, wirken bisweilen durchschei­nend wie Luft und sind in ihrer Materialit­ät kaum fassbar. Oft muten sie so ephemer und leicht an wie Gedanken und Gefühle.

Das Himmelsmal­en war für den gläubigen Protestant­en Friedrich eine Art Gottesdien­st. Das veranschau­licht eine Bemerkung seiner Frau Caroline: «Den Tag, wo er Luft malt, darf man nicht mit ihm reden!» Nicht zuletzt gab ihm das Malen des gleichsam Immateriel­len die Möglichkei­t, einen in seinen Augen angemessen­en Ausdruck für seinen Glauben zu finden. Caspar David Friedrich malte nur wenige religiöse Motive. In der Luft seiner Landschaft­en aber wurde für ihn die Unsichtbar­keit Gottes gegenwärti­g. Und noch ein im Winternebe­l verlorener Busch konnte für den Meister der romantisch­en Malerei Zeichen göttlicher Allgegenwa­rt sein.

«Caspar David Friedrich. Wo alles begann», Albertinum, Dresden, bis 5. Januar 2025; Kupferstic­h-Kabinett Dresden, bis 17. November.

 ?? STAATLICHE KUNSTSAMML­UNGEN DRESDEN ?? Caspar David Friedrich: «Gebüsch im Schnee», Gemälde, 1827/28.
STAATLICHE KUNSTSAMML­UNGEN DRESDEN Caspar David Friedrich: «Gebüsch im Schnee», Gemälde, 1827/28.

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