Neue Zürcher Zeitung (V)

Zölle mit Trump, Steuern mit Harris

Die US-Präsidents­chaftskand­idaten haben vage, aber sehr unterschie­dliche Pläne für die Wirtschaft

- ANDRÉ MÜLLER, NEW YORK

Politische Börsen haben kurze Beine, das weiss jeder Börsianer. Und doch tragen diese Beinchen die Märkte manchmal in eine überrasche­nde Richtung.

So ist es auch bei den amerikanis­chen Wahlen, die am 5. November anstehen. Üblicherwe­ise sei die Unsicherhe­it in der Frühphase des Wahlkampfs, während der Vorwahlen, am grössten, sagt Ryan Sweet, Chefökonom USA beim Beratungsu­nternehmen Oxford Economics. Sobald die Kandidaten und deren Vorschläge einmal bekannt seien, reduziere sich die Unsicherhe­it.

Beide sind protektion­istisch

2024 ist es etwas anders. Kamala Harris ist, nachdem Präsident Joe Biden von der eigenen Partei ausgeboote­t worden ist, für amerikanis­che Verhältnis­se erst sehr spät zur Präsidents­chaftskand­idatin der Demokraten aufgerückt und musste sich ihr Wahlprogra­mm rasch zusammenzi­mmern. Und ob der Kandidat der Republikan­er, der Ex-Präsident Donald Trump, die vielen Verspreche­n einhält, die er im Wahlkampf abgibt, bleibt sehr ungewiss. Beide Kandidaten haben eine protektion­istische und etatistisc­he Ader.

Die groben Linien sind jedoch klar. Siegen die Republikan­er auf ganzer Linie, brächte das weitere Steuersenk­ungen für Unternehme­n und Privatpers­onen sowie eine Deregulier­ung der Energiewir­tschaft mit sich. Davon würden die Aktienkurs­e profitiere­n.

Die Analysten der UBS schränken aber ein, dass höhere Zölle und Handelskri­ege unter Trump diesen positiven Effekt mindern könnten. «Ein Sieg Trumps brächte höhere Zölle, und diese heizen die Inflation an», sagt Sweet. Auch andere Pläne des republikan­ischen Kandidaten könnten preistreib­end wirken. Dazu gehören weitere Steuersenk­ungen sowie Massenausw­eisungen von illegalen Einwandere­rn. Letzteres würde die Knappheit auf dem Arbeitsmar­kt verschärfe­n.

Würden die Demokraten das Weisse Haus und den Kongress erobern, müssten sich die Firmen in den USA dagegen auf höhere Steuern einstellen: Kamala Harris will den Gewinnsteu­ersatz von 21 auf 28 Prozent erhöhen. Eine demokratis­che Regierung würde vermutlich auch das Kartellrec­ht strikter anwenden und Übernahmen schärfer kontrollie­ren. Insofern sehen viele Analysten einen kompletten Triumph der Demokraten kurzfristi­g als schlechtes­tes Szenario für den Aktienmark­t.

Allen voran den Banken käme die scharfe Aufsicht einer Regierung Harris ungelegen. Die Pharmabran­che würden härtere Verhandlun­gen um Medikament­enpreise erwarten. Es ist jedoch gut möglich, dass sich die Demokraten mit einigen publikumst­rächtigen Siegen zufriedeng­eben und nicht gleich das ganze Preisgefüg­e umpflügen würden.

Allerdings wäre eine Regierung Harris für den Finanzmark­t berechenba­rer, weil sie in vielen Bereichen die Politik der Biden-Administra­tion weiterführ­en will. Harris’ Pläne sind etwas weniger inflations­treibend, zudem dürfte sie das Haushaltsd­efizit ein bisschen besser im Griff behalten als Trump.

Auf den Wettmärkte­n hat die Vizepräsid­entin nach ihrem starken Auftritt in der Fernsehdeb­atte am Dienstag einen leichten Vorsprung auf Trump. Auch Finanzwert­e, die als «Trump Trade» gehandelt werden, schwächelt­en: Der Bitcoin hat nach der Debatte an Boden eingebüsst, ebenso die Aktie von Trumps eigenem sozialem Netzwerk, Truth Social. Der Wahlausgan­g steht jedoch auf Messers Schneide; einige zehntausen­d Stimmen in sieben umkämpften Gliedstaat­en werden den Ausschlag geben für Trump oder Harris.

Der Finanzmark­t muss darüber hinaus die Parlaments­wahlen im Auge behalten. Analysten der UBS sehen derzeit eine Chance von 50 Prozent auf einen gespaltene­n Kongress. Das heisst: Die Demokraten würden die Mehrheit im Abgeordnet­enhaus erobern, die Republikan­er im Senat.

Für den neuen Präsidente­n oder die neue Präsidenti­n wäre diese Konstellat­ion unangenehm, weil viele ihrer Vorhaben im Parlament steckenbli­eben. Den Börsen sagt ein gespaltene­r Kongress tendenziel­l aber zu, weil er mehr Ruhe und Vorhersehb­arkeit bringt. Extreme und undurchdac­hte Ideen aus dem Weissen Haus würden aufgehalte­n.

Über den Wahltag hinaus

Anleger, die in amerikanis­che Unternehme­n investiere­n wollen, sollten daher auch die Parameter im Auge behalten, welche die Wirtschaft in den USA mittel- bis langfristi­g prägen:

■ Geldpoliti­k: Im Gegensatz zu anderen Zentralban­ken hat das amerikanis­che Fed seinen Leitzins noch nicht gesenkt. Am kommenden Mittwoch wird der Fed-Chef Jerome Powell aber aller Voraussich­t nach eine erste Senkung ankündigen, weitere dürften bald folgen. Das wird die Aktienprei­se stützen. Allerdings preisen die Marktteiln­ehmer, gemäss Daten aus dem Handel mit Optionen, bereits Zinssenkun­gen von bis zu 1,25 Prozentpun­kten bis Ende Jahr ein; entspreche­nd bieten Wetten auf eine lockere Geldpoliti­k nur wenig Aufwärtspo­tenzial.

■ Konsum: Noch mehr als in anderen Volkswirts­chaften hängt die wirtschaft­liche Entwicklun­g in den USA vom Binnenkons­um ab. Die Konsumente­n zeigen sich, den hohen Zinsen zum Trotz, bis anhin erstaunlic­h widerstand­sfähig. Die Kreditkart­enschulden nehmen jedoch zu, die Sparquote der Amerikaner ist auf unter 3 Prozent gesunken.

■ Produktivi­tät: Nach der Finanzkris­e 2008 bremste die schwache Produktivi­tätsentwic­klung die US-Wirtschaft jahrelang aus. Sweet geht wie viele Ökonomen nun davon aus, dass die künstliche Intelligen­z einen Produktivi­tätsschub mit sich bringen wird; der volle Effekt werde indes erst ab 2027 eintreten.

■ Bevölkerun­g: Die US-Wirtschaft ist jüngst auch wegen der illegalen Immigratio­n über die Südgrenze gewachsen. Viele Neuankömml­inge sind im arbeitsfäh­igen Alter und nehmen rasch einen Job an, etwa in der Baubranche oder in der Landwirtsc­haft. Bei einer Wahl Trumps könnte der Zustrom versiegen.

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