Zölle mit Trump, Steuern mit Harris
Die US-Präsidentschaftskandidaten haben vage, aber sehr unterschiedliche Pläne für die Wirtschaft
Politische Börsen haben kurze Beine, das weiss jeder Börsianer. Und doch tragen diese Beinchen die Märkte manchmal in eine überraschende Richtung.
So ist es auch bei den amerikanischen Wahlen, die am 5. November anstehen. Üblicherweise sei die Unsicherheit in der Frühphase des Wahlkampfs, während der Vorwahlen, am grössten, sagt Ryan Sweet, Chefökonom USA beim Beratungsunternehmen Oxford Economics. Sobald die Kandidaten und deren Vorschläge einmal bekannt seien, reduziere sich die Unsicherheit.
Beide sind protektionistisch
2024 ist es etwas anders. Kamala Harris ist, nachdem Präsident Joe Biden von der eigenen Partei ausgebootet worden ist, für amerikanische Verhältnisse erst sehr spät zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten aufgerückt und musste sich ihr Wahlprogramm rasch zusammenzimmern. Und ob der Kandidat der Republikaner, der Ex-Präsident Donald Trump, die vielen Versprechen einhält, die er im Wahlkampf abgibt, bleibt sehr ungewiss. Beide Kandidaten haben eine protektionistische und etatistische Ader.
Die groben Linien sind jedoch klar. Siegen die Republikaner auf ganzer Linie, brächte das weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Privatpersonen sowie eine Deregulierung der Energiewirtschaft mit sich. Davon würden die Aktienkurse profitieren.
Die Analysten der UBS schränken aber ein, dass höhere Zölle und Handelskriege unter Trump diesen positiven Effekt mindern könnten. «Ein Sieg Trumps brächte höhere Zölle, und diese heizen die Inflation an», sagt Sweet. Auch andere Pläne des republikanischen Kandidaten könnten preistreibend wirken. Dazu gehören weitere Steuersenkungen sowie Massenausweisungen von illegalen Einwanderern. Letzteres würde die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt verschärfen.
Würden die Demokraten das Weisse Haus und den Kongress erobern, müssten sich die Firmen in den USA dagegen auf höhere Steuern einstellen: Kamala Harris will den Gewinnsteuersatz von 21 auf 28 Prozent erhöhen. Eine demokratische Regierung würde vermutlich auch das Kartellrecht strikter anwenden und Übernahmen schärfer kontrollieren. Insofern sehen viele Analysten einen kompletten Triumph der Demokraten kurzfristig als schlechtestes Szenario für den Aktienmarkt.
Allen voran den Banken käme die scharfe Aufsicht einer Regierung Harris ungelegen. Die Pharmabranche würden härtere Verhandlungen um Medikamentenpreise erwarten. Es ist jedoch gut möglich, dass sich die Demokraten mit einigen publikumsträchtigen Siegen zufriedengeben und nicht gleich das ganze Preisgefüge umpflügen würden.
Allerdings wäre eine Regierung Harris für den Finanzmarkt berechenbarer, weil sie in vielen Bereichen die Politik der Biden-Administration weiterführen will. Harris’ Pläne sind etwas weniger inflationstreibend, zudem dürfte sie das Haushaltsdefizit ein bisschen besser im Griff behalten als Trump.
Auf den Wettmärkten hat die Vizepräsidentin nach ihrem starken Auftritt in der Fernsehdebatte am Dienstag einen leichten Vorsprung auf Trump. Auch Finanzwerte, die als «Trump Trade» gehandelt werden, schwächelten: Der Bitcoin hat nach der Debatte an Boden eingebüsst, ebenso die Aktie von Trumps eigenem sozialem Netzwerk, Truth Social. Der Wahlausgang steht jedoch auf Messers Schneide; einige zehntausend Stimmen in sieben umkämpften Gliedstaaten werden den Ausschlag geben für Trump oder Harris.
Der Finanzmarkt muss darüber hinaus die Parlamentswahlen im Auge behalten. Analysten der UBS sehen derzeit eine Chance von 50 Prozent auf einen gespaltenen Kongress. Das heisst: Die Demokraten würden die Mehrheit im Abgeordnetenhaus erobern, die Republikaner im Senat.
Für den neuen Präsidenten oder die neue Präsidentin wäre diese Konstellation unangenehm, weil viele ihrer Vorhaben im Parlament steckenblieben. Den Börsen sagt ein gespaltener Kongress tendenziell aber zu, weil er mehr Ruhe und Vorhersehbarkeit bringt. Extreme und undurchdachte Ideen aus dem Weissen Haus würden aufgehalten.
Über den Wahltag hinaus
Anleger, die in amerikanische Unternehmen investieren wollen, sollten daher auch die Parameter im Auge behalten, welche die Wirtschaft in den USA mittel- bis langfristig prägen:
■ Geldpolitik: Im Gegensatz zu anderen Zentralbanken hat das amerikanische Fed seinen Leitzins noch nicht gesenkt. Am kommenden Mittwoch wird der Fed-Chef Jerome Powell aber aller Voraussicht nach eine erste Senkung ankündigen, weitere dürften bald folgen. Das wird die Aktienpreise stützen. Allerdings preisen die Marktteilnehmer, gemäss Daten aus dem Handel mit Optionen, bereits Zinssenkungen von bis zu 1,25 Prozentpunkten bis Ende Jahr ein; entsprechend bieten Wetten auf eine lockere Geldpolitik nur wenig Aufwärtspotenzial.
■ Konsum: Noch mehr als in anderen Volkswirtschaften hängt die wirtschaftliche Entwicklung in den USA vom Binnenkonsum ab. Die Konsumenten zeigen sich, den hohen Zinsen zum Trotz, bis anhin erstaunlich widerstandsfähig. Die Kreditkartenschulden nehmen jedoch zu, die Sparquote der Amerikaner ist auf unter 3 Prozent gesunken.
■ Produktivität: Nach der Finanzkrise 2008 bremste die schwache Produktivitätsentwicklung die US-Wirtschaft jahrelang aus. Sweet geht wie viele Ökonomen nun davon aus, dass die künstliche Intelligenz einen Produktivitätsschub mit sich bringen wird; der volle Effekt werde indes erst ab 2027 eintreten.
■ Bevölkerung: Die US-Wirtschaft ist jüngst auch wegen der illegalen Immigration über die Südgrenze gewachsen. Viele Neuankömmlinge sind im arbeitsfähigen Alter und nehmen rasch einen Job an, etwa in der Baubranche oder in der Landwirtschaft. Bei einer Wahl Trumps könnte der Zustrom versiegen.