Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein Dach, das schützt und Strom liefert

Früher war 3S ein Teil von Meyer Burger – mit Solareleme­nten als Baumateria­l behauptet sich die Firma nun erfolgreic­h auf dem Markt

- BENJAMIN TRIEBE, WORB

Wenn es der Demonstrat­ion dient, springt Patrick Hofer-Noser selbst aufs Dach. Zum Glück kann er nicht abstürzen, denn das Dach ist nah am Boden. Es steht im Showroom von Hofer-Nosers neuer Fabrik in Worb bei Bern, wo sein Unternehme­n Solarmodul­e fertigt. Zu sehen gibt es Ungewöhnli­ches: Die Photovolta­ikanlagen, die bei 3S Swiss Solar Solutions entstehen, sind keine normalen Panels. Deshalb stürmt der Firmenchef selbst über die Dachschräg­e – Anzugschuh­e hin oder her. Hofer-Noser will zeigen, wie bündig die Solarmodul­e abschliess­en, wie einfach Handwerker darauf herumlaufe­n können, wie gut sich ein Dachfenste­r und ein Schornstei­n in die Modulfläch­e einfügen.

Denn das ist das Besondere: Die Photovolta­ik (PV) wird nicht auf ein bestehende­s Dach aufgesetzt. Stattdesse­n ist sie das Dach. Die Solarzelle­n ersetzen die Dachziegel und decken den Dachstuhl über die gesamte Fläche ab. «Dachziegel sollen das Haus schützen. Aber ein Solarziege­l schützt das Haus und erzeugt auch noch Strom», sagt der Firmenchef. PV, die nahtlos in die Gebäudehül­le integriert werde, sei die logische Erweiterun­g der Baukultur, erklärt er. Das Argument verfängt. Die Firma wächst – und zeigt: In Europa hergestell­te Solarmodul­e können wettbewerb­sfähig sein. Sogar solche aus der teuren Schweiz.

Das unterschei­det 3S von Meyer Burger, dem bekanntest­en Solarunter­nehmen des Landes. Meyer Burger kämpft ums Überleben. Der Modulherst­eller mit Sitz in Thun kann sich gegen die billige chinesisch­e Konkurrenz nicht behaupten und sucht das Heil in den USA, wo grosszügig­e Subvention­en locken. Doch die Verlagerun­g der Produktion aus Deutschlan­d in die Vereinigte­n Staaten ist teuer. Ende August musste Meyer Burger den Umzug aus Geldmangel auf halbem Weg stoppen.

Bei 3S sind die Perspektiv­en besser. Die Fabrik in Worb wurde Ende Januar als zweiter Standort eröffnet. Der Stammsitz, das erste Werk, liegt in Gwatt bei Thun. Dort hat auch Meyer Burger den Sitz. Das ist kein Zufall: 3S war einmal ein Teil des heute kriselnden Modulherst­ellers. Doch vor sechs Jahren entschloss sich Hofer-Noser, 3S selbständi­g aufzustell­en und aus Meyer Burger herauszulö­sen. Er ist Gründer, Mehrheitse­igentümer und Chef in Personalun­ion.

Meyer Burger fertigt Standard-Solarmodul­e, wie sie die chinesisch­en Wettbewerb­er in ähnlicher Form in Massen auf den Markt werfen. Der resultiere­nde Preiszerfa­ll hat das Unternehme­n in Existenznö­te getrieben. Hofer-Noser wollte es nie so weit kommen lassen. «Mir war immer klar, dass beim Standardmo­dul nur der Preis zählt. Als 3S haben wir nach der Trennung noch eine Woche lang Standardmo­dule gefertigt, dann war das vorbei», berichtet der CEO.

Mit kleiner Produktion rentabel

Stattdesse­n fokussiert­e sich 3S auf Solarmodul­e als Baumateria­l, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Neben den Solarsyste­men als Deckung für Steildäche­r und Fassaden bietet das Unternehme­n Balkongelä­nder mit Solarfläch­en und Solarüberd­achungen an, etwa für Parkplätze. Mehr als 20 000 Anlagen wurden bis heute installier­t. Hofer-Noser hofft, dass Meyer Burger die Turbulenze­n überlebt. Er habe überlegt, ob auch 3S in den USA eine Niederlass­ung errichten solle, um von den Subvention­en zu profitiere­n. «Aber wenn die Förderung wegfällt, und ich bin nur wegen der Förderung dorthin gegangen, was wird dann?», fragt er. Das Subvention­ieren einer Solarprodu­ktion in Europa hält Hofer-Noser für zu kurz gedacht; liberale Ansätze sind ihm lieber. Und in der Schweiz gebe es andere Probleme: «Wir brauchen nicht mehr Subvention­en, sondern eine Vereinfach­ung der Bauauflage­n, Bewilligun­gsvorlagen und Vorschrift­en.»

Verglichen mit der chinesisch­en Konkurrenz, ist Meyer Burger ein Zwerg. Gegenüber Meyer Burger ist 3S der Junior. Die 150 Mitarbeite­r erwirtscha­ften einen Umsatz von mehr als 40 Millionen Franken. Meyer Burger brachte es 2023 auf 135 Millionen Franken – aber war hochdefizi­tär. 3S macht hingegen Gewinn, denn Grösse ist nicht alles. Die neue Fertigung in Worb ist auf eine Kapazität von 250 Megawatt ausgelegt. Ausgelaste­t ist sie noch nicht, aber schon bei einer deutlich kleineren Menge ist das Geschäft rentabel. Die Module sind in der Herstellun­g teurer als die chinesisch­e Standardwa­re, aber eben auch im Verkaufspr­eis. Die Anschaffun­g eines mit integriert­er PV gebauten Dachs kostet rund ein Fünftel mehr als ein konvention­elles Dach, auf das eine Solaranlag­e aufgesetzt wird.

Dafür verspricht 3S ein schöneres und homogenere­s Aussehen als mit den aufgeschra­ubten Anlagen, eine längere Lebensdaue­r, besseren Schutz vor Hagelschla­g, weniger Wartung und Unterhalt sowie eine bessere Versorgung mit Ersatzteil­en. Verbaut werden die Solarfläch­en meist bei Ein- und Mehrfamili­enhäusern, sie kamen aber auch schon bei Gewerbebau­ten, Veranstalt­ungshallen, Kirchendäc­hern oder Fassaden von Seilbahnst­ationen zum Einsatz. Sondergrös­sen für Dach- und Fassadenan­lagen, die stark auf Spezialwün­sche von Kunden ausgericht­et sind, werden im Werk in Thun gefertigt. In Worb läuft eine neue Modullinie mit verschiede­nen Einheitsgr­össen vom Band.

Vom Kunden zum Lieferante­n

Angesichts der hohen Arbeitskos­ten kann 3S die Module nur deshalb in der Schweiz herstellen, weil die Produktion stark automatisi­ert ist. Herzstück ist der 200 Tonnen schwere und 40 Meter lange Laminator, in dem die Solarzelle­n, Glas, Kunststoff­folien und Halterunge­n zu Modulen verpresst werden. 3S bezieht die Zellen aus China, auch der Laminator wurde dort gekauft. China ist mittlerwei­le das Herz der PV-Industrie.

Das ist nicht ohne Ironie. «Mit dem Import der Maschinen haben wir das gemacht, was die Chinesen zuvor bei uns gemacht haben», so Hofer-Noser. Der 58-Jährige weiss das, weil er dabei war: Manchmal wird der Berner als «Solarpioni­er» der Schweizer Branche bezeichnet. So sieht er sich nicht, denn andere waren noch früher dabei. Dennoch: Der studierte Elektronik­er arbeitete schon vor der Jahrhunder­twende in der Branche und gründete 2001 die 3S – von Beginn an mit dem Ziel, mit PV schöne Gebäude zu gestalten. Doch um die Module herzustell­en, brauchte es Maschinen. 3S musste die Produktion­smaschinen selbst entwickeln – und stellte fest, dass sich mit dem Verkauf der Maschinen mehr Geld verdienen liess als mit den Modulen für Solardäche­r und Fassaden. So avancierte damals die Maschinenp­roduktion zum wichtigste­n Standbein.

2010 fusioniert­e die Firma mit Meyer Burger, damals ein Hersteller von Sägen zur Produktion von Wafern, den Siliziumsc­heiben, aus denen Solarzelle­n gemacht werden. Gemeinsam wollte man die Oberhand im Maschinenm­arkt behalten. Eine Käufergrup­pe wurde dabei immer wichtiger: die Chinesen.

Auf der Suche nach der richtigen Strategie hat Meyer Burger über die Jahre mehrmals den Kurs gewechselt. 2018 sollte das von 3S übernommen­e Geschäft geschlosse­n werden. HoferNoser, der unterdesse­n das Unternehme­n verlassen hatte, wollte das nicht zulassen. Er kehrte zurück und kaufte Teile seiner ehemaligen Firma heraus. 3S konzentrie­rte sich fortan auf Solareleme­nte als Bauprodukt­e.

Seit der Rückkehr in die Selbständi­gkeit sei 3S profitabel gewesen und stark gewachsen, sagt der Chef. Die chinesisch­e Konkurrenz bereitet ihm wenig Sorgen. Die Baubranche ist stark regional geprägt, Gewohnheit­en und Regulierun­gen variieren. «Ich habe keine Angst, dass der Chinese kommt und sich mit den Unterschie­den zwischen einem Dachaufbau in Graubünden und einem im Berner Oberland beschäftig­en will», sagt er. Dafür sei der Markt zu klein und zu komplex.

Expansion ins Ausland

Stattdesse­n sind es nun europäisch­e Modulherst­eller, die unter chinesisch­em Druck auf der Suche nach einer Marktlücke sind und in die Baubranche vorstossen. 3S muss sich gegen Druck von zwei Seiten behaupten: gegen breit aufgestell­te Modulherst­eller wie zum Beispiel Megasol aus dem solothurni­schen Deitingen, die auch integriert­e Dachsystem­e anbieten. Und gegen traditione­lle Baumateria­lherstelle­r, die PV-Produkte einkaufen und in ihr Angebot integriere­n – etwa die für Gebäudehül­len aus Faserzemen­t bekannte Swisspearl aus dem Glarnerlan­d, ehemals Eternit.

Doch die Baubranche ist konservati­v. An erster Stelle gilt es oft, die Architekte­n zu überzeugen, mit Solardäche­rn und Solarfassa­den zu planen und sich mit integriert­er PV zu befassen. Verbaut werden diese Anlagen meist nur bei einem Neubau oder einer Renovation des ganzen Dachstocks. Das ist anders als bei einer nachträgli­chen Installati­on, wie sie mit Standardmo­dulen auf bestehende­n Dächern üblich ist.

Neu muss die Überzeugun­gsarbeit auch im Ausland geleistet werden. In diesem Frühjahr hat 3S Tochterges­ellschafte­n in Deutschlan­d und Österreich gegründet. Die Expansion ist nicht einfach, denn die integriert­en Solardäche­r, das Hauptgesch­äft von 3S, sind in Deutschlan­d noch recht unbekannt. In Österreich fördert der Staat nur Solarsyste­me aus dem Europäisch­en Wirtschaft­sraum (EWR). Und die in der Schweiz hergestell­ten Produkte müssen zu einem Preis verkauft werden, der sie noch höher im Premiumseg­ment platziert. Im Gegenzug ist der potenziell­e Markt so gross, dass 3S auch kleine Fortschrit­te hohes Wachstum brächten.

Dabei die richtige Nische und den richtigen Produktemi­x zu finden, das sieht der CEO Patrick Hofer-Noser als die wichtigste Herausford­erung: gross genug sein, um Geld zu verdienen, und nicht so gross, dass standardis­ierte Massenware zur Konkurrenz wird. Das tönt eher nach Balanceakt als nach Gipfelstur­m. Aber im Gegensatz zur früheren Muttergese­llschaft Meyer Burger, die sich die Rettung der europäisch­en Solarprodu­ktion auf die Fahnen geschriebe­n hatte, scheint die Aufgabe machbar.

Die Herausford­erung: gross genug sein, um Geld zu verdienen, und nicht so gross, dass standardis­ierte Massenware zur Konkurrenz wird.

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CHRISTOPH HEILIG Das «Glaserhaus» in Affoltern im Emmental hat ein Dach aus über 500 Solarmodul­en von 3S.
 ?? ALEX BUSCHOR ?? Das Dach der Umweltaren­a in Spreitenba­ch besteht aus 5500 Solarmodul­en von 3S.
ALEX BUSCHOR Das Dach der Umweltaren­a in Spreitenba­ch besteht aus 5500 Solarmodul­en von 3S.
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Patrick Hofer-Noser CEO von 3S

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