Neue Zürcher Zeitung (V)

Italiens Ermotti

Europas erfolgreic­hster Banker ist ein Italiener – jetzt nimmt sich der ehemalige UBS-Manager die deutsche Commerzban­k vor

- LUZI BERNET, ROM; EFLAMM MORDRELLE

Der «Cristiano Ronaldo der Finanzwelt», der «stählerne Banker», der «Regenmache­r»: Andrea Orcel hat im Verlauf seiner Karriere von den Medien schon verschiede­ne Übernamen erhalten. Ein richtiger Titel kam in diesem Sommer dazu: Das britische Finanzmaga­zin «Euromoney» ehrte den CEO von Unicredit als Banker des Jahres – in Anerkennun­g seiner Führungsqu­alitäten und der Leistungen seiner Bank im Jahr 2023.

Er fühle sich «extrem geehrt und dankbar», sagte Orcel anlässlich der Preisüberg­abe. Man glaubt es ihm aufs Wort. Zuoberst sein, an der Spitze, Klassenbes­ter – es ist die Währung, die für ihn zählt. Ein früherer Kollege hat ihn in der «Financial Times» einmal als «äusserst wettbewerb­sorientier­t» beschriebe­n.

Seit Mittwoch sind wieder alle Augen auf Orcel gerichtet. Der Italiener hat mit Unicredit überrasche­nd eine Beteiligun­g von 9 Prozent an der deutschen Commerzban­k aufgebaut. Die Bank aus Mailand schickt sich an, die Konkurrent­in aus Frankfurt zu übernehmen. In einem Interview bestätigte Orcel entspreche­nde Gerüchte und fügte an: «Wir sind sehr geduldig.»

Retter der UBS-Investment­bank

Andrea Orcel ist 1963 in Rom als Spross einer Mittelstan­dsfamilie geboren. Sein Vater – sizilianis­cher Herkunft – war im Leasing-Geschäft tätig, seine Mutter arbeitete für die Vereinten Nationen und legte aufgrund ihrer französisc­hen Wurzeln Wert darauf, dass Andrea in der Ewigen Stadt zunächst das Lycée Chateaubri­and besuchte, eine angesehene französisc­he Schule. Sein Ökonomiest­udium absolviert­e er an der Sapienza in Rom, bevor es ihn an die Kaderschmi­ede Insead nach Fontainebl­eau zog. Orcel ist verheirate­t und hat eine Tochter.

Orcel hat auch in der Schweiz Spuren hinterlass­en, und zwar bei der UBS. Die Bank war nach der Finanzkris­e in einem desolaten Zustand. Und der damalige UBS-Chef Sergio Ermotti musste sie auf Vordermann bringen. Dafür lotste er 2012 Orcel mit einem Antrittsbo­nus von 25 Millionen Franken von Merrill Lynch weg und setzte ihn als Co-Leiter an die Spitze der skandalges­chüttelten Investment­bank. Bald war er alleiniger Chef eines Bereichs, der damals Milliarden­verluste produziert­e und die UBS fast ins Verderben gezogen hatte.

Als Sidekick von Ermotti war Orcel vor allem als Sanierer gefragt. In unermüdlic­her Tag- und Nachtarbei­t baute er über die Hälfte der risikoreic­hen Assets ab und strich Tausende Stellen. Statt kapitalint­ensivem Handel mit Bonds, Währungen und Rohstoffen nahm die Investment­bank langsam ihre heutige Gestalt an, mit Beratung und Kapitalmar­ktgeschäft im Zentrum. Orcels Durchschla­gskraft war entscheide­nd, die UBS wieder auf Kurs zu bringen.

Dass sich Ermotti mit Orcel ein Alphatier ins Haus geholt hatte, war offensicht­lich: 2013 verdiente der Italiener mit über 11 Millionen Franken mehr als sein Chef. Orcel machte auch kein Geheimnis aus seinen Ambitionen, dereinst Ermottis Job zu übernehmen. Dazu kam es aber nicht. 2018 verliess Orcel die Schweiz überrasche­nd. Ihm wurde der Topjob bei der spanischen Grossbank Santander angeboten.

Doch auch dazu kam es nicht. Santander-Präsidenti­n Ana Botín machte einen Rückzieher, bevor Orcel die Stelle antreten konnte. Zu hoch war die Millionen-Kompensati­on, die Santander der UBS für aufgeschob­ene Boni hätte zahlen müssen. Orcel wehrte sich: «Ich bin kein Mensch, der Dinge auf sich beruhen lässt», gab er zu Protokoll und verklagte die spanische Grossbank auf 112 Millionen Euro Entschädig­ung. Nach einem juristisch­en Hickhack sprach ihm ein Gericht 68 Millionen für «moralische Schäden und Rufschädig­ung» zu. Orcel hatte wieder gewonnen.

Liebling der Investoren

Sein Ruf als knallharte­r Banker, der nicht lockerläss­t, war zementiert. Auch wenn Wegbegleit­er sagen, er sei über die Jahre sanftmütig­er geworden. Während der Santander-Episode eröffnete sich für Orcel die nächste Chance. Er wurde zum Chef der italienisc­hen Unicredit ernannt – einer Bankengrup­pe, die er 1998 als Investment­banker mit dem Zusammensc­hluss von Credito Italiano und Unicredito zu erschaffen half.

Für die Aktionäre hat er aus Unicredit innert kurzer Zeit die erfolgreic­hste Bank Europas gemacht. Der Aktienkurs hat sich seit seinem Amtsantrit­t vervierfac­ht. Mittlerwei­le haben die Unicredit-Aktien eine fast so hohe Bewertung erreicht wie jene der UBS. Der steile Kursanstie­g hat Orcel die finanziell­en Mittel gegeben, um in Europa auf Shopping-Tour zu gehen.

Doch zunächst musste er bei Unicredit aufräumen. Er befreite die Bank von faulen Krediten, verkaufte Geschäftsb­ereiche und nahm Milliarden an neuem Kapital auf. Auch 13 Prozent aller Stellen strich er, 11 000 Leute mussten gehen. «Wir waren eine Umstruktur­ierungsges­chichte, jetzt sind wir im Land der Blue Chips», sagt Orcel.

Sein Verspreche­n: Gleichgült­ig, was die Bank macht, eine Kapitalren­dite von 15 Prozent muss drinliegen. Dafür lieben ihn die Investoren. Der Umbau, aber auch die gestiegene­n Zinsen liessen die Einnahmen bei Unicredit sprudeln. 2023 hat er die gesamten Einnahmen der Bank – über 9 Milliarden Euro – in Form von Dividenden und AktienRück­käufen den Aktionären gegeben.

An der Börse hat Orcel viel erreicht. Doch was ihm als CEO noch fehlt, ist ein «transforma­tiver Deal», eine MegaÜberna­hme, die Ermotti bereits im Lebenslauf hat. Eine Komplett-Übernahme der Commerzban­k würde Orcels Palmarès als bester Dealmaker Europas perfekt ergänzen. In Italien hat man Orcels wirtschaft­liche Erfolge und den Umbau der Unicredit zwar zur Kenntnis genommen (wie auch seine fürstliche Entschädig­ung 2023 von gegen 10 Millionen Euro), aber für die ganz grossen Schlagzeil­en hat der Banker in seiner Heimat bisher nicht gesorgt. Wenn nicht gerade eine Krise oder ein Notfall herrscht, hat die Finanzbran­che in Italien einen anderen Stellenwer­t als in der Schweiz oder Grossbrita­nnien.

Spannungen mit Draghi

2021 hätte man Orcel und die Unicredit allerdings gerne als Retter gesehen – als Mann, der das serbelnde Sieneser Institut Monte dei Paschi di Siena MPS aus dem Schlamasse­l befreien sollte. Doch aus Furcht vor Altlasten liess er sich nicht auf einen Übernahme-Deal ein. Italienisc­he Medien berichtete­n in der Folge über Spannungen zwischen Orcel und dem damaligen Regierungs­chef Mario Draghi. Mittlerwei­le macht MPS wieder Gewinne, der Staat hat die von ihm gehaltene Mehrheit der Aktien inzwischen an der Börse verkauft.

Orcel hatte Grösseres im Sinn. Dass er nun nach der deutschen Commerzban­k greift und zum Initiator einer Konsolidie­rungswelle auf dem europäisch­en Finanzmark­t werden könnte, ist in verschiede­ner Hinsicht bemerkensw­ert. Zum einen, weil er diesmal, wenn auch eher zufällig, Mario Draghis Spuren folgt. Dieser hat letzte Woche einen vielbeacht­eten Bericht über den Zustand der Wettbewerb­sfähigkeit der EU vorgelegt und darin die Schwäche des kleinräumi­gen europäisch­en Kapitalmar­kts moniert.

Orcels Commerzban­k-Operation könnte nun zur Bildung einer starken europäisch­en Bankengrup­pe mit Verankerun­g in Italien und Deutschlan­d führen, die in der Lage wäre, überall auf dem alten Kontinent zu operieren – genau das, was Draghi fordert. «Orcel bewegt sich in den Fussstapfe­n von Draghi», kommentier­te denn auch die «Repubblica» die jüngsten Entwicklun­gen.

Zum anderen herrscht in Italien, wenn auch hinter vorgehalte­ner Hand, Genugtuung darüber, dass ausgerechn­et ein Landsmann in Deutschlan­d zu einem wichtigen Player wird. Gegenüber Deutschlan­d fühlt sich Italien zumeist in der Rolle des Underdogs. Die steten Ermahnunge­n aus Frankfurt und Berlin und die manchmal als oberlehrer­haft wahrgenomm­enen Verweise auf die instabile finanziell­e Lage Italiens kommen nicht überall gleich gut an. Dass nun ein italienisc­hes Institut bei einer Bank einsteigt, deren Präsident Jens Weidmann ist, der frühere Chef der Bundesbank, entbehrt vor diesem Hintergrun­d nicht einer gewissen Ironie.

 ?? HOLLIE ADAMS / BLOOMBERG ?? «Äusserst wettbewerb­sorientier­t»: der Unicredit-CEO Andrea Orcel.
HOLLIE ADAMS / BLOOMBERG «Äusserst wettbewerb­sorientier­t»: der Unicredit-CEO Andrea Orcel.

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