Neue Zürcher Zeitung (V)

Statt «Zuckerln» braucht Österreich ein Sparpaket

- MERET BAUMANN, WIEN

Kuchen statt ein Sparpaket – im Land der Sachertort­e klingt das verlockend. Nicht umsonst heissen die Verspreche­n sozialer Wohltaten, mit denen die Parteien jeweils auf Stimmenfan­g gehen, in Österreich «Wahlzucker­l». Dass fast alle Ökonomen stattdesse­n Einsparung­en verlangen, ist so kurz vor der Parlaments­wahl unbequem. Denn Sparen bedeutet, den Gürtel enger zu schnallen, und das möchte man der Bevölkerun­g keinesfall­s zumuten. Bundeskanz­ler Karl Nehammer von der ÖVP stellt deshalb in Aussicht, das Wirtschaft­swachstum kräftig anzukurbel­n, so dass einfach der Kuchen grösser wird, den es zu verteilen gibt. Den Subvention­sdschungel durchforst­en will seine konservati­ve Partei laut ihrem Wahlprogra­mm schon auch, aber Sparen soll man das offenbar nicht nennen. Vielmehr wirbt der Regierungs­chef für ein «Zero-Based-Budgeting», also die Neuverhand­lung aller Ausgabenpo­sten bei der Budgeterst­ellung. 3,5 Milliarden Euro soll das einbringen. Beide Vorschläge klingen vernünftig, und man fragt sich, warum die seit 37 Jahren mitregiere­nde Partei sich nicht längst an die Umsetzung gemacht hat. Es ist aber völlig unrealisti­sch, zu glauben, dass sie ausreichen.

Erstens ist die Haushaltsl­age inzwischen nicht angespannt, sondern desolat. Der österreich­ische Staat hat das Geld in den vergangene­n Jahren mit beiden Händen ausgegeben. «Koste es, was es wolle» – nach diesem Motto von Nehammers Vorgänger Sebastian Kurz eilte für jedes Problem die Politik herbei und zahlte Corona-Hilfen, Energiekos­tenzuschüs­se, Klima- oder Handwerker­boni. Ob die Gelder zielgerich­tet waren, spielte keine Rolle.

Die Folge ist, dass in der Amtszeit der konservati­v-grünen Regierung die Schuldenqu­ote von gut 70 auf knapp 80 Prozent der Wirtschaft­sleistung gestiegen ist. Für dieses Jahr erwartet der Fiskalrat ein Budgetdefi­zit von 3,4 Prozent. Österreich verfehlt die Maastricht-Kriterien also deutlich. Brüssel verlangt deshalb für das kommende Jahr Einsparung­en von 2,5 Milliarden Euro. Um das Defizit auch nur annähernd auszugleic­hen, brauche es ein Wirtschaft­swachstum «chinesisch­en Ausmasses», sagt Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, eines unabhängig­en Expertengr­emiums, das die Einhaltung der Haushaltsr­egeln überwacht. Allerdings erholt sich Österreich, zweitens, langsamer als andere Länder von der Krise und stagniert nach wie vor. Ein Wachstum, wie es dem Kanzler vorschwebt, ist vorläufig illusorisc­h.

Drittens versprach die ÖVP immer wieder, bei den Förderunge­n anzusetzen. Kurz sah im Wahlkampf 2017 ein Sparpotenz­ial von 5 Milliarden Euro jährlich in diesem Bereich. Passiert ist das Gegenteil. Seit diesem Zeitpunkt ist das Subvention­svolumen um 35 Prozent gestiegen – und dies bereits bereinigt um die Krisenmass­nahmen.

Die ÖVP wird mit grösster Wahrschein­lichkeit auch nach der Wahl Ende Monat Teil der künftigen Regierung sein. Es wäre allerdings unfair, nur ihre Pläne als unrealisti­sch einzustufe­n. Fast alle Parteien werfen mit «Zuckerln» um sich. Die SPÖ will diese mit Vermögens- und Erbschafts­steuern finanziere­n, rechnet aber mit viel zu hohen Einnahmen. Die voraussich­tliche Wahlsieger­in FPÖ lehnt dagegen neue Steuern ab. Sie will stattdesse­n Ausländern die Sozialhilf­e streichen und aus der europäisch­en Luftvertei­digungsini­tiative Sky-Shield austreten. Ersteres bringt indes kaum Einsparung­en, Letzteres wäre sicherheit­spolitisch fahrlässig.

Der Fiskalrats­präsident Badelt bezeichnet­e die Versprechu­ngen kürzlich allesamt als «unseriös und nicht realistisc­h». Die Ernüchteru­ng wird nach der Wahl folgen. Die leeren Kassen werden eine künftige Regierung zu schmerzhaf­ten Einschnitt­en zwingen. Dazu müssen auch politisch heikle Massnahmen gehören wie etwa die Abschaffun­g klimaschäd­licher Subvention­en oder eine Pensionsre­form, die rasch das sehr niedrige faktische Rentenalte­r erhöht. Das auszusprec­hen ist unangenehm, wäre aber ehrlich.

Für dieses Jahr erwartet der Fiskalrat ein Budgetdefi­zit von 3,4 Prozent. Österreich verfehlt die Maastricht­Kriterien also deutlich.

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