Neue Zürcher Zeitung (V)

Kim will Atomwaffen «exponentie­ll» ausbauen

Nordkorea gibt erstmals Einblicke in Urananreic­herungsanl­age

- MARTIN KÖLLING, TOKIO

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un hat seinen Willen zur raschen atomaren Aufrüstung mit einem drastische­n Signal bekräftigt. Er besichtigt­e eine Urananreic­herungsanl­age für waffenfähi­ges Material und liess am Freitag durch die staatliche Nachrichte­nagentur KCNA erstmals Aufnahmen aus der Einrichtun­g veröffentl­ichen. Der Bericht lässt an Kims Zielen keinen Zweifel. Laut der KCNA betonte Kim die Notwendigk­eit, «die Anzahl der Zentrifuge­n (für die Uranproduk­tion) weiter zu erhöhen, um die Zahl der Atomwaffen zur Selbstvert­eidigung exponentie­ll zu steigern, getreu der Parteilini­e zum Aufbau nuklearer Streitkräf­te».

Nordkoreas nukleare Aufrüstung gilt seit langem als eines der grössten Sicherheit­srisiken in Asien. Die Vereinten Nationen haben Nordkorea die Entwicklun­g von Atomwaffen und Raketen untersagt und das Land mit Sanktionen belegt. Dennoch hat das Regime nach Schätzunge­n akademisch­er Experten mehrere Dutzend Atomwaffen hergestell­t. Laut der amerikanis­chen Denkfabrik Rand Corp. verfügt Nordkorea über genug hochangere­ichertes Uran und Plutonium für mehr als 150 Atomspreng­köpfe.

Dominoeffe­kt befürchtet

Die Anzahl der Zentrifuge­n ist für das Tempo einer weiteren Aufrüstung entscheide­nd. Denn sie dienen dazu, aus Natururan ein atomwaffen­fähiges UranIsotop abzutrenne­n und so anzureiche­rn. Je mehr Atomwaffen Nordkorea sich anschafft, desto grösser wird das Risiko der Weiterverb­reitung.

Experten befürchten schon lange, dass ein rapide wachsendes nordkorean­isches Atomwaffen­arsenal in einem Dominoeffe­kt auch Südkorea und Japan zum Aufbau eigener Nuklearpro­gramme veranlasse­n könnte. Die USA sorgen sich auch um eine mögliche Lieferung von Atomspreng­köpfen an Iran. An Russland liefert Nordkorea bereits herkömmlic­he Artillerie und Kurzstreck­enraketen.

Die veröffentl­ichten Bilder deuten nun darauf hin, dass Nordkorea sowohl den Willen als auch die Fähigkeite­n zu einer beschleuni­gten atomaren Aufrüstung besitzt. Den genauen Standort der Anlage nannte KCNA nicht. In Südkorea wird vermutet, dass es sich nicht um die bekannte Anreicheru­ngsanlage des Atomkraftw­erks Yongbyon handelt, wo laut nordkorean­ischen Angaben bereits 2010 etwa 2000 Zentrifuge­n in Betrieb waren. Stattdesse­n wird eine zweite Einrichtun­g in Kangson in der Nähe der Hauptstadt Pjongjang vermutet. Laut einem Bericht der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde begann Nordkorea im Februar, den Kangson-Komplex «erheblich» zu erweitern.

Kims Botschaft ans Ausland ist allerdings umstritten. Einige Experten sehen in der Präsentati­on den Versuch, die nationale Einheit zu stärken. Andere vermuten, Kim wolle Nordkorea vor den amerikanis­chen Präsidents­chaftswahl­en im November in den Fokus der Aufmerksam­keit rücken.

Ist ein neuer Test geplant?

Der Sicherheit­sexperte Cheong Seong Chang vom südkoreani­schen SejongInst­itut wies warnend darauf hin, Nordkorea könnte damit einen siebten Atomtest ankündigen. Der letzte Test 2017 führte zu einer schweren militärisc­hen Krise zwischen den USA und Nordkorea. Damals wurde klar, dass Nordkorea den amerikanis­chen Kontinent mit Langstreck­enraketen direkt erreichen kann.

Ein neuerliche­r Test könnte die Lage eskalieren lassen. Nicht nur die USA fühlen sich zunehmend bedroht, sondern auch der Verbündete Südkorea, wo fast 30 000 amerikanis­che Soldaten stationier­t sind. Südkoreas Verteidigu­ngsministe­rium kündigte bereits an, dass jede nukleare Drohgebärd­e oder Provokatio­n eine «überwältig­ende und starke Reaktion» zur Folge hätte.

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