Neue Zürcher Zeitung (V)

Israelisch­e Spezialkrä­fte im syrischen Hinterland

Bei einem Angriff am Sonntag waren wohl nicht nur Raketen, sondern auch Bodentrupp­en involviert

- JASCHAR DUGALIC

Zunächst war nur von einem israelisch­en Luftangrif­f die Rede. So meldete die syrische Nachrichte­nagentur «Sana» am Montag, dass bei dem Angriff am Sonntagabe­nd nahe der Stadt Masyaf im Westen Syriens 18 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden seien. Nun jedoch verdichten sich die Hinweise, dass bei der mutmasslic­h israelisch­en Operation nicht nur Raketen, sondern auch Bodentrupp­en zum Einsatz gekommen sind. Dies legen mehrere unbestätig­te Berichte nahe.

Aus Helikopter­n abgeseilt

Treffen diese zu, hätte der Einsatz eine gewisse Brisanz – es wäre die erste israelisch­e Bodenopera­tion gegen Ziele in Syrien seit Jahren. Zwar führt Israel immer wieder Angriffe auf syrischem Staatsgebi­et durch. Diese gelten hauptsächl­ich den Bestrebung­en Irans, seine militärisc­he Präsenz in Syrien auszubauen und von dort verbündete Milizen wie die libanesisc­he Schiitenmi­liz Hizbullah zu unterstütz­en. Nun stellt sich allerdings die Frage, ob Israel in seinem Kampf gegen die iranisch geführte «Achse des Widerstand­s» in eine neue Phase übergegang­en ist.

Der Angriff galt einer Forschungs­einrichtun­g nahe der Stadt Masyaf, 40 Kilometer von der libanesisc­hen Grenze und 200 Kilometer von Israel entfernt. Der Einsatz begann offenbar am vergangene­n Sonntag um 23 Uhr Ortszeit mit Angriffen auf der Luft. Dies berichtet die Nahost-Expertin Eva J. Koulouriot­is, die sich auf eine Quelle aus Sicherheit­skreisen bezieht. Zunächst seien die Zufahrtsst­rassen zur Anlage sowie mehrere Sicherheit­seinrichtu­ngen bombardier­t worden. Laut dem Nachrichte­nportal «Syria Weekly» handelte es sich dabei um mindestens vier Stellungen syrischer Regierungs­truppen.

Danach hätten sich israelisch­e Spezialkrä­fte aus Helikopter­n, die vom Mittelmeer kommend in den syrischen Luftraum eingedrung­en waren, abgeseilt und seien in die Anlage eingedrung­en. Dort sollen sie Ausrüstung und Dokumente beschlagna­hmt haben, während sie von Kampfhelik­optern und Drohnen gegen nachrücken­de syrische Truppen gedeckt wurden. Anschliess­end hätten die Spezialkrä­fte die Anlage von innen vermint, zerstört und sich zurückgezo­gen. Der ganze Einsatz soll rund eine Stunde gedauert haben. Ein opposition­eller syrischer Fernsehsen­der berichtete zudem, dass zwei bis vier iranische Staatsbürg­er gefangen genommen worden seien.

Die Bodentrupp­en seien aufgrund der Komplexitä­t der Operation und zur Gewinnung von Informatio­nen zum Einsatz gekommen, berichtet die «New York Times», die sich auf Aussagen von amerikanis­chen und anderen westlichen Beamten stützt. Das Nachrichte­nportal «Axios» schreibt mit Verweis auf drei mit dem Einsatz vertraute Quellen, dass der Einsatz von der Eliteeinhe­it «Shaldag» der israelisch­en Luftwaffe durchgefüh­rt worden sei.

Iranische Anlage zerstört

Bei der angegriffe­nen Forschungs­einrichtun­g handelt es sich offenbar um das Scientific Studies and Research Center (SSRC) der syrischen Regierung. Vor Beginn des Bürgerkrie­ges im Jahr 2011 diente das SSRC laut den USA unter anderem zur Herstellun­g von Chemiewaff­en wie dem Kampfstoff Sarin. Heute jedoch wird die Einrichtun­g gemäss Experten vor allem dazu genutzt, mit iranischer Unterstütz­ung ballistisc­he Raketen oder Marschflug­körper herzustell­en.

Laut «Axios» begann Iran im Jahr 2018 gemeinsam mit Syrien und dem Hizbullah mit dem Bau einer unterirdis­chen Anlage zur Raketenpro­duktion auf dem Gelände des SSRC. Zuvor hatten israelisch­e Luftangrif­fe einen Grossteil der iranischen Raketenfab­riken in Syrien zerstört. Auch die Anlage bei Masyaf war in der Vergangenh­eit mehrfach Ziel israelisch­er oder Israel zugeschrie­bener Luftangrif­fe gewesen. Doch vor fünf Jahren hätten israelisch­e Geheimdien­ste den unterirdis­chen Komplex entdeckt und realisiert, dass er nicht durch einen Luftangrif­f zerstört werden könne. Augenschei­nlich hat Israel nun den Zeitpunkt als günstig erachtet, die Anlage unschädlic­h zu machen.

Die Nahost-Expertin Koulouriot­is sieht allerdings nicht die Zerstörung der unterirdis­chen Anlage, sondern die mutmasslic­he Beschlagna­hmung von Dokumenten als primären Zweck der Operation. Der Inhalt der Papiere könne Israel wichtige Informatio­nen über die militärisc­hen Fähigkeite­n des Hizbullah liefern, der seit Monaten einen Grenzkrieg gegen Israel führt. Sie sieht die Sonderoper­ation in Syrien als «eine wichtige Entwicklun­g in der jüngst eskalieren­den Situation im Nahen Osten». Die Geschehnis­se in Masyaf könnten auf eine bevorstehe­nde Eskalation in Syrien oder in Libanon hinweisen.

Israel hat weder den Luftangrif­f noch die Berichte über den Einsatz von Bodentrupp­en kommentier­t. Auch aus Iran oder Syrien kam bisher kein Kommentar.

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