Neue Zürcher Zeitung (V)

Aktienkauf düpiert Berlin

Die italienisc­he Unicredit greift nach der deutschen Commerzban­k

- MICHAEL RASCH, FRANKFURT

Bei der Commerzban­k ist die Ruhe der vergangene­n Monate plötzlich in einen Sturm übergegang­en. Am Mittwoch teilte die Unicredit Group völlig überrasche­nd mit, einen Anteil von 9 Prozent an Deutschlan­ds zweitgröss­ter Geschäftsb­ank aufgebaut zu haben. Den Italienern wird schon seit Jahren ein Interesse an der Commerzban­k nachgesagt, nun hat die Unicredit damit begonnen, nach der Bank zu greifen.

Begünstigt wurde die Entwicklun­g dadurch, dass der Bund seinen Anteil an der Commerzban­k reduzieren will und damit am Dienstag begonnen hat. Der deutsche Staat war der Commerzban­k in der Finanzkris­e zu Hilfe geeilt und hatte sie teilversta­atlicht. Der Anteil von bisher 16,49 Prozent wird vom Finanzmark­tstabilisi­erungsfond­s (FMS) im Auftrag des Bundes verwaltet. Wie zuvor angekündig­t, verkaufte der FMS am Dienstagab­end einen Anteil von 4,49 Prozent über ein sogenannte­s beschleuni­gtes Bookbuildi­ng-Verfahren.

702 Millionen für den Bund

Dabei erhielt die Unicredit den Zuschlag für das gesamte Paket, da sie nach Angaben des FMS andere Bewerber deutlich überboten hat. Der Zuteilungs­preis habe 13.20 Euro pro Aktie betragen. Damit lag der Kaufpreis allerdings nur knapp 5 Prozent über dem Tagesschlu­sskurs von 12.60 Euro, was aus Sicht von Unicredit nur ein sehr kleiner Aufschlag gewesen sein dürfte. Der Bund erzielte insgesamt einen Veräusseru­ngserlös von 702 Millionen Euro. Die Italiener erwarben zugleich weitere 4,5 Prozent der Commerzban­k-Aktien über den normalen Börsenhand­el und sind nun der zweitgröss­te Aktionär.

Sowohl der Bund als auch die Commerzban­k scheinen von der Aktion düpiert worden zu sein. Eine Sprecherin des Finanzmini­steriums sagte am Mittwoch, es habe kein konkretes Angebot der Unicredit gegeben, das Verkaufsve­rfahren sei für alle Investoren offen gewesen. Der Bund werde jetzt erst einmal die neue Situation analysiere­n.

Die Commerzban­k gab in einer Stellungna­hme an, die Mitteilung der Unicredit zur Beteiligun­g an der Commerzban­k zur Kenntnis genommen zu haben. Sie sei auch ein Beleg für den Stellenwer­t der Commerzban­k und die Fortschrit­te, die sie erzielt habe. Dem Vernehmen nach ist der Aufsichtsr­at der Bank am späten Mittwochna­chmittag zu einer ausserorde­ntlichen Sitzung zusammenge­kommen.

Die Unicredit ist gemessen an der Bilanzsumm­e nach Intesa Sanpaolo Italiens zweitgröss­te Bank und über ihre Tochterges­ellschaft HypoVerein­sbank bereits ein bedeutende­r Spieler auf dem deutschen Markt. Die Mailänder Bank um ihren in der Schweiz gut bekannten Konzernche­f Andrea Orcel hatte am Mittwoch mitgeteilt, nach dem Aktienerwe­rb mit der Commerzban­k in Verbindung treten zu wollen, um wertschaff­ende Gelegenhei­ten für sämtliche Stakeholde­r der beiden Banken auszuloten. Der gebürtige Römer Orcel arbeitete in den 2010er Jahren für die UBS, unter anderem als Chef der Investment­bank.

Der Entscheid über einen zusätzlich­en Beteiligun­gsaufbau werde davon abhängen, ob die Investitio­nen den finanziell­en Zielen der Unicredit gerecht würden, hiess es weiter aus Mailand. Um flexibel zu bleiben, will Unicredit allerdings bei den Aufsichtsb­ehörden beantragen, gegebenenf­alls einen Anteil von über 9,9 Prozent aufbauen zu dürfen.

Verdi ruft zum Kampf auf

Während in Deutschlan­d mehrere Ökonomen eine mögliche grenzübers­chreitende Konsolidie­rung im europäisch­en Bankensekt­or begrüssten, weil diese zu einer Vertiefung der Banken- und Kapitalmar­ktunion beitragen könnte, kündigten Gewerkscha­fter massiven Widerstand an. Die Vereinte Dienstleis­tungsgewer­kschaft (Verdi) forderte die Bundesregi­erung auf, den Verkauf weiterer Anteile an der Commerzban­k sofort zu unterbinde­n und sich der drohenden Übernahme der Commerzban­k durch die Unicredit entgegenzu­stellen.

Bei Verdi befürchtet man einen massiven Stellenabb­au und erinnert an einen ähnlichen Vorgang nach der Übernahme der HypoVerein­sbank durch die Unicredit. Die Italiener hatten das Institut 2005 erworben.

Erst am Abend zuvor war bekanntgew­orden, dass der Vorstandsv­orsitzende der Commerzban­k, Manfred Knof, seinen Vertrag bis Ende 2025 zwar erfüllen, aber nicht verlängern will. Bisher war man in Frankfurte­r Finanzkrei­sen davon ausgegange­n, dass Knof die Bank nach der erfolgreic­hen Sanierung noch in eine Wachstumsp­hase führen will. Zugleich galt die Finanzchef­in und stellvertr­etende Vorstandsv­orsitzende Bettina Orlopp als mittelfris­tige Kandidatin für den Vorstandsv­orsitz. Die Befürchtun­g war jedoch, dass Orlopp die Bank verlassen könnte, wenn Knof eine weitere Amtszeit erhielte.

Laut einer Mitteilung der Commerzban­k hat sich Knof in der Sommerpaus­e im Kreis seiner Familie den Schritt reiflich überlegt. Der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Jens Weidmann, der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank, hat die Entscheidu­ng laut einer Pressemitt­eilung mit grossem Bedauern zur Kenntnis genommen. Knof hatte die jahrelang kriselnde Bank saniert, dabei rund zehntausen­d Stellen abgebaut und etwa die Hälfte der Filialen geschlosse­n. Im vergangene­n Jahr trugen die Massnahmen Früchte, denn die Commerzban­k erzielte mit 2,2 Milliarden Euro das beste Ergebnis seit mehr als fünfzehn Jahren.

Der Aufsichtsr­at will nun einen geordneten Prozess für die Suche eines Nachfolger­s einleiten. Für diese Position dürfte Bettina Orlopp in der PolePositi­on sein, wenngleich der Aufsichtsr­at offenbar auch andere Bewerber anschauen will. Jetzt ist jedoch die Wahrschein­lichkeit gestiegen, dass die Commerzban­k doch übernommen werden könnte, was die Position des Vorstandsc­hefs weniger attraktiv machen dürfte.

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MICHAEL WEBER / KEYSTONE Der Hauptsitz der Commerzban­k in Frankfurt am Main.

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