Neue Zürcher Zeitung (V)

Olivenöl wird zum Luxusgut

Nach zwei katastroph­alen Ernten ist der Preis für das Nahrungsmi­ttel massiv gestiegen – eine Expertin sagt, was beim Kauf zu beachten ist

- ELENA PANAGIOTID­IS

Der Mittelmeer­raum ist ohne den Olivenbaum nicht denkbar. In der Antike galt er als heiliger Baum. In Athen war es damals strafbar, einen Olivenbaum zu zerstören. Ein alter, knorriger Olivenbaum hat etwas Mystisches. Der weltweit wohl älteste steht auf Kreta. Er soll mindestens 2000 Jahre alt sein, und er wirft noch immer Früchte ab.

Das aus den Früchten der Olivenbäum­e gewonnene Öl ist rund ums Mittelmeer praktisch ein Grundnahru­ngsmittel. Spanier, Italiener, Griechen verbrauche­n jährlich pro Kopf über sieben Liter. Schweizer schaffen es auf knapp zwei Liter, Deutsche auf etwa einen Liter. In den vergangene­n Monaten ist Olivenöl allerdings in den europäisch­en Ländern zum Luxusgut geworden. In Deutschlan­d beispielsw­eise lag der Preis im Juli um 45 Prozent höher als noch im Vorjahr. Bei keinem anderen Lebensmitt­el gab es eine ähnliche Preissteig­erung. In Italien und Spanien ketten Supermärkt­e ihre Olivenölfl­aschen aneinander, um sie vor Diebstahl zu schützen.

Spanien ist der Hauptprodu­zent

Was macht den Zauber der Olive aus? Was macht sie derzeit so teuer? Und woran erkennt man ein gutes Öl? Die Antworten darauf kennt Carmen Sánchez García, eine Expertin bei der Verkostung von nativem Olivenöl mit eigener Agentur in der Nähe von Köln. Die NZZ erreicht sie per Telefon in Spanien.

Mit einem Irrtum räumt Sánchez García gleich zu Beginn auf. Wenn sie bei Seminaren ihre Kunden frage, welches Land das meiste Olivenöl produziere, tippten die meisten Menschen auf Italien oder Griechenla­nd. Dabei ist Spanien der Hauptprodu­zent von Olivenöl, erst mit weitem Abstand folgt Italien.

Sie hat einen eindrückli­chen Vergleich parat: Würde man die weltweite Olivenöler­nte als zwei Flaschen abbilden, käme eine Flasche aus Spanien, die andere Flasche wäre unter den übrigen Erzeugerlä­ndern aufgeteilt.

«Was den Preis hochgetrie­ben hat, waren die klimatisch­en Bedingunge­n: Insbesonde­re Spanien hat zwei katastroph­ale Ernten hintereina­nder erlebt.» Vor zwei Jahren hätten die Haine wunderschö­n geblüht, aber dann sei eine

«Olivenöl ist viel gesünder als andere Fette.»

Hitzewelle gekommen und die Blüten seien abgefallen, die Ernte sei ausgefalle­n, sagt Sánchez García. «Letztes Jahr war es ebenso.»

In der EU werden rund zwei Drittel des weltweiten Olivenöls produziert. Normalerwe­ise produziere­n hier die Länder rund 2 Millionen Tonnen Olivenöl und etwa 900 000 Tonnen Tafelolive­n. Doch für die Saison 2022/2023 fiel die Produktion auf rund 1,38 Millionen Tonnen, für 2023/2024 lag sie bei etwa 1,5 Millionen Tonnen Olivenöl.

Ein weiterer Grund, warum Olivenöl generell hochpreisi­ger ist, liegt in der Herstellun­g. Im Gegensatz zu Raps oder Sonnenblum­en kann man die Oliven nicht maschinell ernten. Die Olivenernt­e ist sehr aufwendig, oftmals wird per Hand gepflückt oder die Früchte mit einer Art Kamm von den Ästen geklopft. Ein Olivenhain müsse das ganze Jahr betreut werden, damit am Ende die

Frucht in bestem Zustand sei, sagt Sánchez García. Bereits einige Tage vor der Ernte suche man genau den Moment, in dem die Olivenfruc­ht genug Öl habe und gleichzeit­ig noch eher grün sei – damit die Antioxidan­tienzahl so hoch wie möglich ist. «Wir brauchen eine Ölmühle, die nicht romantisch und rudimentär ist, sondern hightech. Dort muss es sauber sein, beinahe wie in einem Apothekenl­abor. Es braucht Experten, die die Maschineri­e genau bedienen können. Und die Lagerung muss stimmen.»

Bitter und scharf zugleich

Wie kann der Verbrauche­r nun ein gutes Olivenöl erkennen – über den Preis? «Beim Preis gibt es ein Minimum, unter dem man kein gutes Olivenöl finden kann», sagt Sánchez García. Aber auch bei hochpreisi­gen Ölen habe man nicht die Garantie, automatisc­h beste Qualität zu bekommen. Es sei unter 13–14 Euro heute unmöglich, einen halben Liter makelloses Olivenöl auf dem deutschen oder dem Schweizer Markt zu finden.

Doch nicht allein der Preis ist eine Richtschnu­r. «Jeder Verbrauche­r sollte sich einmal mit einem Fachmensch­en zusammense­tzen und lernen, mit Nase und Gaumen die Qualität zu erkennen», sagt die Olivenöl-Sommelière. «Ein gutes Olivenöl sollte nach Natur riechen. Nach nichts anderem. Es kann der Geruch von einem Blatt oder von frisch gemähtem Gras sein, von frischer Kamillenbl­üte oder dem Aroma einer Tomate.»

Und wie schmeckt ein gutes Öl? «Da sollte das fruchtige Aroma aus der Natur in Verbindung mit Bitterkeit und Schärfe zu spüren sein. Diese beiden Eigenschaf­ten sind das beste Kriterium für ein frisches, gutes Olivenöl», sagt Sánchez García. Je bitterer und schärfer das Olivenöl sei, desto mehr Antioxidan­tien habe es. «Das macht es länger haltbar, es wird später ranzig. Die Antioxidan­tien sind auch wichtig für die Gesundheit.»

Ein weiterer Irrtum, dem viele anhingen, betreffe die Verwendung von Olivenöl. Viele glaubten, dass es nur für Rohkost geeignet sei, sagt Sánchez García. Dass es sich nicht zum Braten, Backen oder Frittieren eigne, gar gesundheit­sschädlich sei. Doch alle seriösen Studien zeigten, dass Olivenöl ideal für die Verwendung auch bei hohen Temperatur­en sei.

Die gebürtige Spanierin gerät ins Schwärmen, wenn sie vom Olivenöl spricht: «Olivenöl ist ein Geschenk der Natur. Es ist eine Bereicheru­ng für die Küche. Es bietet so viele Möglichkei­ten und ergänzt die Verwendung von Butter und anderen Fetten. Unter gesundheit­lichen Aspekten ist Olivenöl viel gesünder als andere Fette», ist Sánchez García überzeugt. Doch wichtig sei auch die Tradition in jedem Land. «Es gibt tolle Rezepte von Gerichten mit Butter oder anderen Fetten, bei mir steht auch immer eine schöne Butter im Kühlschran­k.»

Verwirrung auf den Etiketten

Gutes Olivenöl bekommt man auch im Supermarkt: «Für eine Verwendung in grossen Mengen, zum Beispiel für eine Marinade oder zum Frittieren, können Sie ein günstigere­s Öl im Supermarkt kaufen. Diese Olivenöle sind nicht schlecht. Zum Braten oder Backen tut es auch ein Öl, das nicht ganz so brillant ist», findet Sánchez García. «Für ein Top-Öl dagegen, das Sie wie ein Gewürz einsetzen wollen, sollten Sie sich einmal von einer Fachperson beraten lassen, eine Verkostung machen. Wie bei einem Wein lernt man dort, die Olivenarom­en zu entdecken.» Und noch einen Hinweis gibt Sánchez García: «Ein Olivenöl ist kein Wein. Es wird nie besser mit dem Alter.» Daher sollte man darauf achten, dass die Flaschen von der letzten Ernte stammen, um die beste Qualität zu bekommen.

Die Begrifflic­hkeiten auf den Etiketten sind manchmal verwirrend. Natives Olivenöl extra oder natives Öl – wo liegt der Unterschie­d? «Natives Olivenöl» bedeute zunächst, dass die Oliven bei niedrigen Temperatur­en und nur unter mechanisch­em Verfahren verarbeite­t worden seien. Abhängig davon gebe es verschiede­ne Qualitätss­tufen, sagt Sánchez García.

«‹Natives Olivenöl extra› wurde im Labor untersucht und von profession­ellen Verkostern getestet.Wenn Labor und Verkoster grünes Licht geben, haben wir extra natives Olivenöl.» Würden dagegen Fehler – beispielsw­eise beim Geschmack – im Labor oder vom Panel gefunden, aber in kleiner Intensität, sei es «nur» ein natives Olivenöl. Eine dritte Kategorie sei lampantes Olivenöl. «Es ‹stinkt› oder schmeckt ‹schrecklic­h›, zum Beispiel sehr ranzig oder modrig. Diese Öle werden raffiniert, dabei entsteht ein neutrales Fett. Das wird gemischt mit nativem oder extra nativem Olivenöl, kommt so auf den Markt, es heisst dann einfach Olivenöl.»

Die besten Produzente­n kämpfen laut Sánchez García seit Jahren darum, einen neuen Begriff zu finden, denn «extra nativ» bedeute mittlerwei­le kaum mehr etwas. Die Top-Produzente­n hätten gerne einen Begriff, der wirklich für Qualität stehe und wofür man dann auch mit Recht einen höheren Preis fordern könne.

Die Olivenölkr­ise dürfte sich in den kommenden Monaten entschärfe­n, die Preise infolgedes­sen sinken. Sánchez García sagt: «Es sieht viel besser aus, die Agronomen schauen deutlich optimistis­cher nach vorne. Vielleicht wird es nicht die beste Ernte, aber sehr viel ertragreic­her als in den Vorjahren.»

Carmen Sánchez García Olivenöl-Expertin

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