Neue Zürcher Zeitung (V)

Aushilfsle­hrer mussten wochenlang auf ihren Lohn warten

Nach einem Software-Ausfall ging beim Zürcher Volksschul­amt nichts mehr – die Amtsleiter­in gibt den Schulen eine Mitschuld

- OLIVER CAMENZIND

Dem Kanton Zürich fehlt es an Lehrkräfte­n. Deshalb sind die Volksschul­en auf Vikarinnen und Vikare angewiesen. Dabei handelt es sich um voll ausgebilde­te Lehrerinne­n und Lehrer oder um Studenten, die das Basisjahr abgeschlos­sen haben. Sie sind zur Stelle, wenn es sie braucht. Sie unterricht­en Schulklass­en zum Beispiel dann, wenn ein Lehrer ins Militär muss oder wenn eine Lehrerin in den Mutterscha­ftsurlaub geht. Diese Vikariate dauern manchmal nur ein paar Tage, manchmal auch einige Wochen oder sogar mehrere Monate.

Ohne die Vikarinnen und Vikare wäre ein geregelter Schulbetri­eb im Kanton Zürich nur schwerlich möglich. Im vergangene­n Schuljahr zählte das Volksschul­amt des Kantons insgesamt 24 800 solcher Vertretung­en. Vor sieben Jahren waren es noch gut 15 000. Das entspricht einer Zunahme um 62 Prozent. Viel Wertschätz­ung für ihre Arbeit wird den Aushilfsle­hrern im Augenblick allerdings nicht zuteil. Im Gegenteil: Hunderte von ihnen warten nun schon seit dem Sommer auf ihren Lohn. Was ist da schiefgela­ufen?

iPhone-Nutzer im Pech

Seit einiger Zeit müssen die Zürcher Schulen alle Einsätze ihrer Aushilfsle­hrer in eine digitale Datenbank eintragen. Jeweils im Folgemonat sollte eine Software die entspreche­nden Gehälter berechnen. Diese muss die Schulleitu­ng genehmigen, dann wird die Summe an die Vikarinnen und Vikare ausgezahlt. Doch das funktionie­rt im Moment nicht. Zumindest dann nicht, wenn man das entspreche­nde Programm mit einem iPhone zu benutzen versucht.

Der Zürcher SVP-Gemeindera­t Stefan Urech arbeitet hauptberuf­lich als Sekundarle­hrer. Er kennt das Problem aus seinem Alltag sehr gut. Er sagt, dass das Programm schon vor den Sommerferi­en abgestürzt sei – und bei ihm seither nicht mehr funktionie­re: «Es ist enorm frustriere­nd. Wenn es so weitergeht, wünsche ich mir bald die alten Formulare auf Papier zurück.»

Noch grösser als bei Urech dürfte der Frust indes bei den Aushilfsle­hrern sein, die seit dem Ausfall der Software auf den Lohn für ihre Arbeit warten. Wie viele Personen von den gegenwärti­gen Problemen betroffen sind, weiss das zuständige Volksschul­amt (VSA) nicht. Genaue Zahlen «liegen nicht vor», schreibt die Amtsleiter­in Myriam Ziegler auf Anfrage der NZZ. Man habe die Situation aber dem Amt für Informatik geschilder­t. Das technische Versagen erklärt Myriam Ziegler so: Für die Erfassung der Vikariate wird eine Software auf SAP-Basis verwendet. Um sich in diese Software einzulogge­n, brauchen die Benutzer eine App namens «SAP Authentifi­cator». Für diese App sei vor den Sommerferi­en ein Update erschienen. Doch nach dem Update ging nichts mehr.

Yasmine Bourgeois ist Schulleite­rin und FDP-Gemeinderä­tin in der Stadt Zürich. Sie hätte vor den Ferien die Honorare für etliche Lektionen bewilligen sollen. Doch das war nicht möglich. Bourgeois schrieb eine E-Mail an das VSA. Dort hiess es: Ein weiteres Update habe den «SAP Authentifi­cator» für Nutzer mit Android-Handys wieder brauchbar gemacht. Dumm nur, dass Bourgeois das Programm mit einem iPhone benutzen wollte. Sie sagt: «Ich habe mehrere Male neue AnmeldeDat­en angeforder­t, aber das nützte nichts. Am Ende hat man mir die Unterlagen eingescann­t.»

Erst Anfang September stellte SAP schliessli­ch ein drittes Update zur Verfügung, das den «Authentifi­cator» auch für iPhone-Benutzer wieder zugänglich machte. Seither hätten die fehlerhaft­en Updates auch beim VSA «zu einem grossen Mehraufwan­d» geführt, so Ziegler. Man habe gut 1500 Personen neue Log-in-Daten zustellen müssen, damit diese wieder auf die Software zugreifen konnten, sagt Myriam Ziegler.

«Keine Verbesseru­ng»

Stefan Urech ärgert sich über diesen Mehraufwan­d an den Schulen. «Die Vikariate sind ein perfektes Beispiel dafür, wie man Digitalisi­erung nicht machen sollte.» Ausserdem sieht er in dem Chaos um die Löhne der Vikare ein Indiz dafür, dass der Lehrerberu­f immer bürokratis­cher werde. Die neue Software sei so unübersich­tlich, dass er damit schon vor dem Update kaum habe arbeiten können – obwohl er an seiner Schule IT-Beauftragt­er sei und sich stets an die 15 Seiten umfassende Anleitung gehalten habe. Und Yasmine Bourgeois ergänzt: «Für die Schulen ist das neue System noch komplizier­ter als früher. Es stellt überhaupt keine Verbesseru­ng dar.» Der administra­tive Aufwand an den Schulen wird also trotz Digitalisi­erung immer grösser.

Dabei hat die Zürcher Bildungsdi­rektorin Silvia Steiner (Mitte) vor anderthalb Jahren einen Plan präsentier­t, der genau das Gegenteil von Bürokratis­ierung versprach. Darin versuchte sie aufzuzeige­n, wie sie den Lehrerberu­f wieder attraktive­r machen will, um dem anhaltende­n Personalma­ngel zu begegnen. Eines der wichtigste­n Verspreche­n damals: Der Alltag der Lehrerinne­n und Lehrer an Zürcher Volksschul­en sollte weniger bürokratis­ch werden. Im Juli dieses Jahres bekräftigt­e Bildungsdi­rektorin Steiner ihr Verspreche­n, die Schulen administra­tiv zu entlasten. So soll zum Beispiel die obligatori­sche Zeiterfass­ung für Lehrkräfte entfallen.

Im Stich gelassen

Stefan Urech fühlt sich von der Bildungsdi­rektion im Stich gelassen. Er sagt: «Das Volksschul­amt ist in den vergangene­n Jahren stetig gewachsen. Und trotzdem bleibt so viel administra­tive Arbeit am Schulperso­nal hängen. Das darf doch nicht sein.» Schon vor zwei Jahren gab es eine grössere Panne bei der Lohnbuchha­ltung der Vikarinnen und Vikare. Damals wurden die Aushilfsle­ktionen noch analog erfasst. Dass die Arbeit auch bezahlt wurde, musste mit einer Reihe von Formularen sichergest­ellt werden. Doch dieses analoge System brachte die Schulverwa­ltung

Trotz der Digitalisi­erung wird der administra­tive Aufwand an den Schulen immer grösser.

an den Rand einer Krise. Weil die Zahl der Vikariate vorübergeh­end auf über 28000 angestiege­n war, geriet das System an den Anschlag. In der Folge mussten Hunderte Aushilfsle­hrer mehrere Monate lang auf ihr Gehalt warten.

Derlei Schwierigk­eiten hätte das neue, digitale System eigentlich verhindern sollen – doch es kam anders. Myriam Ziegler und das VSA geben den Schulen eine Mitschuld: Die Verzögerun­gen bei den Lohnzahlun­gen seien «nicht ausschlies­slich auf die Software-Problemati­k» zurückzufü­hren. Es fehle den Schulen gelegentli­ch auch an Disziplin. «Immer wieder» würden Vikariate dem VSA zu spät oder nur unvollstän­dig gemeldet.

Für allfällige Verspätung­en hat Yasmine Bourgeois derzeit eine besonders gute Begründung: «Ich warte immer noch auf meine neuen Log-in-Daten.» Und Stefan Urech sagt: «Bei mir geht die App immer noch nicht.»

 ?? KARIN HOFER / NZZ ?? Zürcher Lehrer beklagen sich über die zunehmende Bürokratie in ihrem Arbeitsall­tag.
KARIN HOFER / NZZ Zürcher Lehrer beklagen sich über die zunehmende Bürokratie in ihrem Arbeitsall­tag.

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