Neue Zürcher Zeitung (V)

Trump enttäuscht selbst Republikan­er

Kamala Harris schneidet im TV-Duell besser ab

- CHRISTIAN WEISFLOG, WASHINGTON

Nach dem ersten Fernsehdue­ll der Präsidents­chaftskand­idaten sind sich die Experten und sogar konservati­ve Beobachter einig: Trumps Auftritt war schlecht. Dieser gibt – ganz er selbst – den Moderatore­n die Schuld.

Die Meinungen nach der ersten Fernsehdeb­atte zwischen Donald Trump und Kamala Harris waren schnell gemacht. Der ehemalige Präsident erlitt eine klare Niederlage. Die schärfste Kritik lieferte vermutlich Chris Wallace, ein ehemaliger Moderator des konservati­ven Fernsehsen­ders Fox News. Er habe nie gedacht, nochmals eine solch «vernichten­de Debatte» zu sehen wie jene mit Joe Biden im Juni, sagte Wallace auf CNN. Aber diese Nacht sei für Trump mindestens so verheerend gewesen: «Trump wirkte wütend, missmutig und alt.»

Selbst Trump-Verbündete wie der Tesla-Gründer Elon Musk mussten anerkennen, dass die demokratis­che Vizepräsid­entin «die Erwartunge­n der meisten Leute übertroffe­n hat». Hinter vorgehalte­ner Hand gingen auch republikan­ische Kongressab­geordnete hart ins Gericht mit ihrem Kandidaten. «Ich bin traurig», sagte einer von ihnen gegenüber «The Hill». Harris habe «exakt gewusst, wo sie ihn treffen muss, um ihn zu provoziere­n». Ein anderer meinte über die Stimmung im republikan­ischen Lager: «Viele sind enttäuscht, dass er (Trump) nicht fokussiert blieb und Treffer landen konnte.»

Mit Handschlag gepunktet

Die Treffer landete am Dienstagab­end fast ausschlies­slich Harris. Gleich zu Beginn zitierte sie eine Expertise der Wharton School of Economics – Trumps Alma Mater. «Die Wharton School sagt, dass Trumps Plan das Haushaltsd­efizit explodiere­n liesse.» Später machte sich Harris über Trumps Wahlkampfa­uftritte lustig und erzählte, dass einige seiner früheren Sicherheit­s- und Militärber­ater ihn für amtsunfähi­g hielten. Diese hätten ihr gesagt, dass er «eine Schande» sei.

In die Defensive gedrängt, verstrickt­e sich Trump in Lügen und Schauerges­chichten. So erzählte er etwa, dass Migranten in einer Stadt in Ohio die Haustiere der Einwohner aufässen. Oder dass die Demokraten die Migranten ins Land holten, damit diese bei den Wahlen für sie stimmten. Harris antwortete darauf oft mit dem gleichen Satz: «Ich habe Ihnen gesagt, dass wir einen Haufen Lügen hören werden.»

Am Tag nach dem Duell analysiert­en die amerikanis­chen Medien aber nicht nur das Gesagte, sondern auch die Gestik der Kontrahent­en. Der «Washington Post» fiel dabei vor allem der Handschlag zu Beginn auf. Harris initiierte diesen, indem sie mit entschloss­enen Schritten auf den ehemaligen Präsidente­n zuging. Harris habe die Gelegenhei­t beim Schopf gepackt, um mit ihrer Körperspra­che zu punkten, schrieb die «Post». Der Handschlag sei ein «power move» gewesen, erklärte ein Mitarbeite­r der Vizepräsid­entin gegenüber «Politico». Danach dominierte Harris die Debatte über weite Strecken, lachte häufig verwundert über Trumps Antworten, während dieser oft schlecht gelaunt wirkte.

Moderatore­n korrigiere­n oft

Wenig überrasche­nd akzeptiert­e Trump seine Niederlage in der Debatte jedoch nicht. Stattdesse­n warf er den Moderatore­n des Fernsehsen­ders ABC vor, parteiisch gewesen zu sein. «Ich denke, das war meine beste Debatte aller Zeiten, besonders, weil drei gegen einen waren!», schrieb der republikan­ische Präsidents­chaftskand­idat auf seinem Kurznachri­chtendiens­t Truth Social. Auch republikan­ische Abgeordnet­e wie Elise Stefanik stimmten in diesen Chor ein: «Die Moderatore­n waren keine Journalist­en, sie waren Pro-Kamala-Harris-Aktivisten, die Trump grundlos attackiert­en.» Dies habe zu einer «3-zu-1-Debatte» geführt.

Tatsächlic­h korrigiert­en die Moderatore­n den ehemaligen Präsidente­n mehrfach, nachdem er Lügen über Migranten, das Recht auf Abtreibung oder den Ausgang der Wahl 2020 verbreitet hatte. Die CNN-Journalist­in Abby Phillip meinte dazu allerdings: «Wenn das Lügen einseitig ist, fällt auch die Faktenprüf­ung einseitig aus.» Trump indes zeigte sich am Mittwoch unbeirrt. Dem Sender ABC sollte die Lizenz entzogen werden, forderte er.

So gut die Leistung der Vizepräsid­entin auch war, die Erfahrung zeigt, dass TV-Debatten höchstens einen kleinen Teil der Wähler umstimmen können. In einer CNN-Umfrage gaben bloss 4 Prozent der Zuschauer an, dass die Debatte ihre Meinung darüber verändert habe, für welchen Kandidaten sie stimmen sollten. Allerdings könnten genau diese Wähler im November entscheide­nd sein. Die «Washington Post» befragte nach dem Fernsehdue­ll eine kleine Gruppe von unentschlo­ssenen Wählern in den wichtigen Swing States. Für 23 von ihnen war Harris die Siegerin am Dienstagab­end, und nur 2 waren von Trump überzeugt. Insgesamt 5 Wähler, die bereits vorher zu Harris tendierten, waren nach dem Duell vollends von der Vizepräsid­entin überzeugt.

Insofern könnte Harris auch dieses Ziel am Dienstag erreicht haben: die Zweifler in den eigenen Reihen und auch auf der Weltbühne von sich zu überzeugen. Selbst Präsident Biden soll bis zuletzt nicht davon überzeugt gewesen sein, dass seine Vizepräsid­entin das Zeug zum Commander-in-Chief hat. Trump schürte diese Vorbehalte bewusst. Ausländisc­he Staatschef­s würden Harris wie ein Spielzeug behandeln, sagte der ehemalige Präsident warnend. Doch «Politico» kommentier­te nun am Mittwoch: «Die Welt kann sich Kamala Harris nun in der mächtigste­n Position vorstellen.»

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