Neue Zürcher Zeitung (V)

Diese üppige Lohnerhöhu­ng ist dreist

- ISABEL HEUSSER

Das Zürcher Stadtparla­ment meint es gut mit sich selbst. Es hat sich am Mittwoch eine üppige Lohnerhöhu­ng gegönnt. Künftig sollen die 125 Gemeinderä­tinnen und Gemeinderä­te statt 16 000 Franken rund 28 000 jährlich für ihren Aufwand erhalten – also fast doppelt so viel wie heute. Dies sei angemessen, befanden alle Parteien ausser der FDP und der SVP.

Der Grundtenor der Debatte lautete: Eine Gehaltsauf­besserung sei nötig, um der hohen Fluktuatio­n im Parlament entgegenzu­wirken. Ohne Pensumsred­uktion im Beruf könne das Amt kaum ausgeübt werden. Die politische Arbeit sei aufwendige­r und zeitintens­iver als früher.

Diese Lohnerhöhu­ng in eigener Sache ist dreist. Denn die Mehrarbeit, über die sich der Gemeindera­t beschwert, erzeugt er selbst. Gewiss gibt es grosse Brocken, über die das Parlament brütet. Das Budget, die Bau- und Zonenordnu­ng oder der Verkehrsri­chtplan sind komplexe Geschäfte, in die sich die zuständige­n Kommission­smitgliede­r einarbeite­n müssen. Dafür ist eine sorgfältig­e Vorbereitu­ng nötig.

Viel zu oft ist der Rat allerdings damit beschäftig­t, seine endlos lange Liste von – mehr oder weniger relevanten – Vorstössen abzuarbeit­en. Keine Idee zu klein, ein politische­s Anliegen zu sein. Debattiert wird über Gratis-Sonnencrèm­e für die Bevölkerun­g, «Freundscha­ftsbänke» gegen psychische Leiden oder die Pflanzung von Kastanienb­äumen.

Meistens sind die Meinungen längst gemacht, dafür gibt es die Vorbesprec­hung in den Kommission­en. Trotzdem ufern die Ratsdebatt­en regelmässi­g aus. Bestes Beispiel dafür war die Diskussion über die höhere Entschädig­ung selbst. Geschlagen­e eineinhalb Stunden diskutiert­en die Parlamenta­rier, einige meldeten sich mehrmals, um das bereits Gesagte zu wiederhole­n. Für andere Geschäfte blieb danach kaum mehr Zeit. Mit anderen Worten: Das Stadtparla­ment beschäftig­te sich ausgiebig mit sich selbst. Wie so oft.

Es ist im Gemeindera­t üblich, dass manche während der Sitzungen E-Mails schreiben, andere Computersp­iele spielen und wieder andere ein Schwätzche­n vor der Kaffeemasc­hine abhalten. Bis zu einem gewissen Grad ist dies erklärbar: Stadtparla­mentarier sind Spezialist­en. Sie konzentrie­ren sich auf einige wenige Geschäfte und folgen den übrigen eher passiv. Umso irritieren­der ist es da allerdings, dass die Kommission­s- und Ratssitzun­gen neu auf die Minute genau abgerechne­t werden sollen.

Gewiss soll die Milizarbei­t angemessen entschädig­t werden. Es spricht nichts gegen eine moderate Erhöhung, um die Teuerung auszugleic­hen. Letztmals grundlegen­d angepasst wurden die heutigen Beträge

Es ist stossend, dass die Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er für eine Gehaltsauf­besserung aufkommen müssen, die ihnen keinen Mehrwert bringt.

im Jahr 1998. Aber ein politische­s Amt ist nicht vergleichb­ar mit einer Erwerbsarb­eit. Es ist darum stossend, dass die Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er für eine Lohnerhöhu­ng aufkommen müssen, die ihnen keinen Mehrwert bringt.

Statt sich über die gestiegene Arbeitslas­t zu beschweren, sollten die Gemeinderä­tinnen und Gemeinderä­te besser darüber nachdenken, wie sie ihren Aufwand reduzieren können. Möglichkei­ten gibt es durchaus. Kommission­ssitzungen beispielsw­eise können wie während der Corona-Zeit virtuell stattfinde­n. Das ist effiziente­r. Vor allem aber sollten sich die Parlamenta­rier Gedanken machen, ob wirklich jede Idee, die Stadt zu verbessern, als Vorstoss in den Rat getragen werden muss. Die Antwort ist Nein.

Mit noch höheren Entschädig­ungen passiert das Gegenteil. Der Rat hat keinen Anreiz, sich zu mässigen. Die SVP hat angekündig­t, das Referendum zu ergreifen. Somit dürften die Stimmbürge­r das letzte Wort haben. Gut möglich, dass der SVP im rot-grünen Zürich mit dieser Abstimmung Sympathie entgegensc­hlägt. Mit der Initiative gegen «goldene Fallschirm­e» für abtretende Behördenmi­tglieder ist ihr im Frühling ein Coup gelungen.

Es ist nur folgericht­ig, wenn die Entschädig­ungsverord­nung vors Volk kommt. Schliessli­ch ist es der Chef, der über eine Lohnerhöhu­ng bestimmt.

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