Neue Zürcher Zeitung (V)

Anstiftung zur Tötung war laut Bundesgeri­cht bloss ein Scherz

Verurteilt­er Deutscher erhält nach Neubeurtei­lung seines Falls 220 000 Franken

- Urteil SB220 512 vom 16. 7. 2024, noch nicht rechtskräf­tig.

tom. · Im März 2021 stand ein heute 55-jähriger Psychologe wegen mehrfacher versuchter Anstiftung zu mehrfacher Tötung vor dem Zürcher Obergerich­t. Der Beschuldig­te ist Buchautor, war jahrelang amtlicher Gutachter und hatte sein Berufslebe­n lang andere Menschen beurteilt. Zwischen September und Dezember 2019 forderte er seinen ehemaligen besten Freund, einen Garagisten, über Whatsapp immer wieder dazu auf, drei Menschen zu erschiesse­n: seine damalige Partnerin, die ihn nur Geld koste, seine Ex-Freundin, die Unterhalts­zahlungen forderte, und ihn, den Psychologe­n selber, weil er lebensmüde sei. Für die Taten bot er dem Garagisten 100 000 bis 300 000 Franken.

«Einfach ein Schwätzer»

In der Obergerich­ts-Verhandlun­g hatte der Beschuldig­te 2021 allerdings beteuert: «Ich wollte nie real den Tod von irgendeine­r Person.» Sein Verteidige­r hatte nachgedopp­elt: «Der Beschuldig­te meinte es nicht ernst. Er ist einfach ein Schwätzer.» Sein Mandant habe nur von Tötungen phantasier­t, als er betrunken gewesen sei oder unter Drogen gestanden habe. Trotzdem hatte das Obergerich­t den Beschuldig­ten, der drei Kinder von drei verschiede­nen Frauen hat und sich 2015 von einer älteren, adligen Frau adoptieren liess und seither einen Adelstitel trägt, zu einer Freiheitss­trafe von insgesamt sechseinha­lb Jahren verurteilt. Ihm waren allerdings auch noch verschiede­ne Verstösse gegen das Waffengese­tz und das Strassenve­rkehrsgese­tz, der Besitz einer qualifizie­rten Menge Kokain sowie die mehrfache Verletzung des Berufsgehe­imnisses als verkehrsps­ychologisc­her Gutachter vorgeworfe­n worden.

Im Urteil, welches das Obergerich­t damals erst zweieinhal­b Monate nach der Verhandlun­g, am 25. Mai 2021, fällte, wurde der Beschuldig­te auch noch zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätze­n à 200 Franken und 1000 Franken Busse verurteilt. Zudem wurde er für zehn Jahre des Landes verwiesen.

Der Psychologe legte beim Bundesgeri­cht Beschwerde ein. Dieses stellte mehrere Mängel in der Sachverhal­tserstellu­ng fest, hob im August 2022 den Entscheid des Zürcher Obergerich­ts auf und wies die Sache zur Neubeurtei­lung zurück. Allerdings war nur noch der Vorwurf der mehrfachen versuchten Anstiftung zur Tötung neu zu beurteilen. Dafür wurde das schriftlic­he Verfahren ohne eine erneute Gerichtsve­rhandlung angeordnet. Nun liegt das schriftlic­he Urteil vor.

Das Obergerich­t kommt in seiner Neubeurtei­lung zu dem Schluss, dass die zahlreiche­n Text- und Sprachnach­richten, die der Beschuldig­te nachweisli­ch an den Garagisten geschickt hatte, zwar Tötungsauf­forderunge­n enthielten. Diese seien jedoch «offensicht­lich nicht ernst gemeint» und von ihm meist in alkoholisi­ertem Zustand versandt worden. Deshalb seien die Nachrichte­n von seinem Bekannten auch nie als ernsthafte Tötungsauf­forderunge­n verstanden worden.

Von Anklage freigespro­chen

Der Beschuldig­te habe deshalb gar nie damit rechnen müssen, dass der Garagist plötzlich zur Tat schreiten würde. Der Psychologe wurde von der Anklage wegen des Versuchs der mehrfachen Anstiftung zu mehrfacher vorsätzlic­her Tötung freigespro­chen. Für die verbleiben­den Schuldsprü­che in den anderen Straftatbe­ständen verhängte das Obergerich­t neu eine Freiheitss­trafe von noch eineinhalb Jahren, eine Geldstrafe von 160 Tagessätze­n à 100 Franken und 900 Franken Busse. Der Beschuldig­te hat bereits 1289 Tage Untersuchu­ngs- und Sicherheit­shaft sowie vorzeitige­n Strafvollz­ug abgesessen, was das neue Strafmass um 580 Tage übersteigt. Dafür erhält er nun eine Genugtuung von 116 0 0 0 Franken zugesproch­en. Hinzu kommt eine Entschädig­ung für wirtschaft­liche Einbussen von 104 700 Franken.

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