Neue Zürcher Zeitung (V)

Hamas-Verherrlic­her tritt in der Roten Fabrik auf

Die Zürcher Stadtpräsi­dentin Corine Mauch findet die Äusserunge­n des Aktivisten verstörend, will die Veranstalt­ung aber nicht absagen

- ANDREA MARTI

Es soll um Geschichte gehen diesen Samstag in der Roten Fabrik. Um «Geschichte und Gegenwart des Widerstand­s». Die Podiumsdis­kussion findet im Rahmen der Aktionstag­e «Enough» in Zürich statt. Diese wollen ein Ort sein, «an dem Menschen von ihren Erfahrunge­n erzählen und von ihrer Arbeit berichten können». So beschreibe­n die Verantwort­lichen die Veranstalt­ung auf ihrer Website. Die «Perspektiv­en jener, die von einem Thema betroffen sind», sollen im Zentrum stehen.

An der Podiumsdis­kussion in der Roten Fabrik soll es um Palästina gehen, den Gaza-Krieg und die Geschichte des Nahen Ostens. Oder, wie es die Veranstalt­er ankündigen: «Die Geschichte der immensen Gewalt des zionistisc­hen Siedlerkol­onialismus Israels». Es diskutiere­n: Dania Murad, Faiq Mari und Ramsis Kilani, drei Aktivisten, die sich im propalästi­nensischen Umfeld bewegen.

Kilani ist eine umstritten­e Figur. Der Berliner mit palästinen­sischen Wurzeln fiel in der Vergangenh­eit durch antisemiti­sche Äusserunge­n und Sympathien für extremisti­sche Organisati­onen auf. So engagiert er sich unter anderem für die Organisati­on «Palästina Kampagne». Diese solidarisi­erte sich in der Vergangenh­eit mit dem Netzwerk Samidoun, das in Deutschlan­d wegen antisemiti­schen Extremismu­s verboten ist.

«Palästina Kampagne» zweifelt in den sozialen Netzwerken Israels Existenzre­cht an und verharmlos­t den Terror der Hamas. Den 7. Oktober kommentier­te die Organisati­on auf X, indem sie auf den «wichtigen Kontext» hinwies, in dem der Anschlag stattgefun­den habe. Auch Kilani selbst verharmlos­te den Anschlag der Hamas. Ausserdem rechtferti­gte er Gewalt gegen jüdische Zivilisten. Für ihn sind israelisch­e Siedler legitime Ziele, da sie alle Militärdie­nst geleistet hätten. «Die Grenze zwischen kolonial Zivil & Militär ist uneindeuti­g», schrieb er nach dem Angriff auf X.

Seine antisemiti­schen Positionen haben Kilani in der Vergangenh­eit schon in Bedrängnis gebracht: Im Januar dieses Jahres beendete die israelitis­che Gemeinde in Freiburg im Breisgau ihre Zusammenar­beit mit der Partei Die Linke, weil diese zu einer Podiumsdis­kussion mit Kilani eingeladen hatte. «Wir können nicht mit Israel-Feinden kooperiere­n», sagte der Sprecher der Gemeinde damals.

Verweis auf Meinungsfr­eiheit

Jetzt wird auch in Zürich Kritik an Kilanis Auftritt laut. FDP-Gemeindera­t Jehuda Spielman zeigt sich empört über den geplanten Auftritt des Aktivisten in der Roten Fabrik. «Ich habe noch selten jemanden gesehen, der den Terroransc­hlag der Hamas so offen feiert wie Kilani», sagt Spielman. Für ihn ist klar: Kilani ist ein Antisemit und ein

Extremist. Der Aktivist selber sieht das anders. Die Vorwürfe gegen ihn seien absurd und frei erfunden, schreibt er auf Anfrage der NZZ.

Die Rote Fabrik erhält von der Stadt Zürich jährlich sechs Millionen Franken an Subvention­en. Mehr städtische Mittel bekommen nur das Theater Neumarkt, das Kunsthaus, die Tonhalle und das Schauspiel­haus. Spielman fordert deshalb, dass die Veranstalt­ung abgesagt wird. «Jemanden wie Kilani in einer von der Stadt subvention­ierten Institutio­n zu Gast zu haben, ist für mich unvorstell­bar», sagt der jüdische Gemeindera­t der FDP. Seine Forderung richtet er direkt an Stadtpräsi­dentin Corine Mauch, die in Zürich für die Kulturpoli­tik zuständig ist: «Ich erwarte, dass Frau Mauch ihre Verantwort­ung

wahrnimmt. Eine Stadtpräsi­dentin sollte so etwas Radikales innert 24 Stunden absagen lassen können.»

Mauch teilt auf Anfrage der NZZ mit, dass sie die Äusserunge­n Kilanis zum Terroransc­hlag der Hamas persönlich «äusserst befremdend und verstörend» finde. Auch die Ankündigun­g der Veranstalt­ung sehe sie sehr kritisch. Das habe die Stadt der Roten Fabrik auch mitgeteilt. Absagen wird die Stadtpräsi­dentin die Veranstalt­ung aber nicht: Weil die Meinungsfr­eiheit rechtlich stark geschützt sei, sei ein Eingriff in die Programmfr­eiheit der Roten Fabrik nicht angezeigt, lässt Mauch durch ihren Medienspre­cher ausrichten. Stattdesse­n habe die Kulturabte­ilung der Stadt auf Hinweis von Gemeindera­t Spielman mit der Roten Fabrik das Gespräch gesucht. Diese habe dargelegt, dass man keinerlei Antisemiti­smus toleriere – und die Veranstalt­ung am Samstag wenn nötig abbrechen werde.

Mit Steuergeld finanziert

Spielman ist enttäuscht von dieser Reaktion: «Frau Mauch hat mich falsch verstanden», sagt er. «Wir wollen nicht nur keine antisemiti­schen Äusserunge­n an solchen Veranstalt­ungen, wir wollen überhaupt keine Veranstalt­ungen mit Terrorverh­errlichern.» Dass mit einer Absage die Meinungsfr­eiheit beeinträch­tigt werde, findet Spielman nicht. «Das träfe zu, wenn es sich um eine private Veranstalt­ung handeln würde.» Weil es sich aber um eine Veranstalt­ung handle, die auch durch Steuergeld­er finanziert werde, sei die Lage eine andere: «Es kann hier nicht nur darum gehen, was strafbar ist und was nicht», sagt Spielman. «Es geht darum, welchen Menschen wir als Stadt Raum geben – und da müssen die Standards andere sein.»

Es ist nicht das erste Mal, dass eine subvention­ierte Kulturstät­te wegen zweifelhaf­ter Veranstalt­ungen in die Kritik gerät. Im Frühling lud die Zentralwäs­cherei die antisemiti­sche Gruppierun­g Samidoun ein, der auch Kilanis Organisati­on «Palästina Kampagne» nahesteht. Danach musste die Zentralwäs­cherei der Stadt einen Bericht über die Veranstalt­ung einreichen. Weitere Konsequenz­en hatte der Auftritt von Samidoun nicht.

Gemeindera­t Jehuda Spielman sieht deswegen ein strukturel­les Problem. «Bei diesen Institutio­nen gibt es immer wieder solche Vorfälle. Das sind keine Versehen mehr, das ist von den Organisato­ren ideologisc­h so gewollt», betont er. Manche jüdische Gemeindemi­tglieder getrauten sich nicht mehr, Veranstalt­ungen in der Roten Fabrik zu besuchen, weil sie sich nicht sicher fühlten. «Seit dem 7. Oktober beobachten wir eine Radikalisi­erung, die uns Sorgen macht», sagt Spielman. Dem müsse die Stadt mit grundsätzl­ichen Reformen bei den Kultursubv­entionen begegnen.

Die Rote Fabrik antwortete nicht auf die Fragen der NZZ.

 ?? MAURICE GRÜNIG / BAUGESCHIC­HTLICHES ARCHIV ?? In der Roten Fabrik tritt am Samstag ein Redner auf, der Gewalt gegen jüdische Zivilisten rechtferti­gt.
MAURICE GRÜNIG / BAUGESCHIC­HTLICHES ARCHIV In der Roten Fabrik tritt am Samstag ein Redner auf, der Gewalt gegen jüdische Zivilisten rechtferti­gt.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland