Neue Zürcher Zeitung (V)

In Pakistan lähmt ein neuer Filter das Internet

Islamabad setzt offenbar chinesisch­e Technologi­e zur Überwachun­g ein – Bürgerrech­tler und die IT-Industrie sind alarmiert

- ULRICH VON SCHWERIN

Websites laden nicht,Videos bleiben hängen, und Nachrichte­n können nicht verschickt werden: Seit Wochen berichten die Nutzer in Pakistan über eine extreme Verlangsam­ung der Internetve­rbindungen. IT-Firmen klagen, sie könnten unter diesen Umständen nicht mehr arbeiten. Es gibt bereits Warnungen, die ganze Branche sei in Gefahr. Auf Nachfragen zu den Ursachen hält sich die Regierung bedeckt, doch für Aktivisten ist klar: Der Grund für den Rückgang der Geschwindi­gkeit ist der Einsatz neuer Überwachun­gsund Filtertech­nologie.

«Die Regierung hat modernere Technologi­e einer chinesisch­en Firma eingeführt, die eine gezieltere Filterung des Internets erlaubt», sagt Usama Khilji vom Verein Bolo Bhi, der sich für den Schutz der digitalen Rechte der Bürger einsetzt. Was in der Öffentlich­keit als nationale Firewall bezeichnet werde, bestehe aus einem mehrschich­tigen System von Anwendunge­n, um den Zugriff auf bestimmte Online-Dienste zu beschränke­n oder ihre Nutzung ganz zu unterbinde­n.

Die Regierung hatte zunächst Schäden an einem Unterwasse­rkabel für die Probleme verantwort­lich gemacht. Später sagte die Ministerin für Informatio­nstechnolo­gie, Shaza Fatima, die Verlangsam­ung des Internets liege am massenhaft­en Einsatz von Virtual Private Networks (VPN). Nutzer verwenden diese, um die Sperrung von Websites oder Diensten wie dem sozialen Netzwerk X zu umgehen. Dieses ist seit Februar in Pakistan blockiert.

Die Regierung druckst herum

Internet-Aktivisten halten diese Erklärunge­n jedoch für vorgeschob­en. Weder Schäden an einem Kabel noch der Einsatz von VPN könnten die Probleme beim Versenden von Fotos und anderen Dateien auf dem Kurzmittei­lungsdiens­t Whatsapp erklären, schrieb die Aktivistin Farieha Aziz in der Zeitung «Dawn». Diese Probleme hätten auch nichts mit der App selbst zu tun. Mitte August gab der Chef der Pakistan Telecommun­ication Authority dann schliessli­ch zu, das «Web Management System» werde aktualisie­rt.

Was die Regierung «Web Management System» nennt, wurde 2019 mit dem Ziel eingeführt, den Gefahren im Cyberberei­ch zu begegnen. Geleakte Dokumente enthüllten damals, dass die Regierung das kanadische Unternehme­n Sandvine beauftragt habe, die OnlineKomm­unikation zu überwachen und zu regulieren. Sandvine ist umstritten, weil es autoritäre­n Regimen wie in Ägypten die Technologi­e geliefert haben soll, um die Meinungsfr­eiheit einzuschrä­nken.

Im Februar wurde die Firma von den USA dafür mit Sanktionen belegt, dass sie Ägypten geholfen habe, Medien zu zensieren und Kritiker zu überwachen. Khilji und sein Verein Bolo Bhi setzten sich über Jahre dafür ein, dass die Kooperatio­n mit Sandvine in Pakistan eingestell­t wird. Mit Erfolg: Als der Vertrag dieses Jahr auslief, erneuerte ihn Sandvine nicht. Die Firma begründete dies damit, dass Pakistan seine Dienste missbrauch­t habe, um die Meinungsfr­eiheit einzuschrä­nken.

Stattdesse­n ist die Regierung nun laut Khilji auf einen anderen Anbieter ausgewiche­n, dessen Technologi­e noch weiter reichende Eingriffe erlaubt: die China Electronic­s Technology Group Corporatio­n. Dabei handelt es sich um einen chinesisch­en Staatskonz­ern, der eng mit dem Verteidigu­ngsministe­rium zusammenar­beitet. Wie Khilji erklärt, ermöglicht die neue Technologi­e nicht nur, Websites und Dienste wie X zu blockieren, sondern gezielt spezifisch­e Funktionen wie das Versenden von Fotos auf Whatsapp einzuschrä­nken.

Whatsapp sei von der Opposition und der Zivilgesel­lschaft genutzt worden, um sensible Fotos, Videos und andere Dokumente zu teilen, sagt Khilji. So habe die Opposition­spartei Pakistan Tehreek-e Insaf des früheren Premiermin­isters Imran Khan nach den Parlaments­wahlen im Februar über Whatsapp Fotos der Unterlagen aus den Wahllokale­n geteilt, um eine Fälschung der Ergebnisse zu belegen. Aktivisten würden über Whatsapp auch Fotos von Protesten verbreiten.

Statt Whatsapp ganz zu blockieren, wurden nun gewisse Funktionen so stark verlangsam­t, dass sie nicht mehr brauchbar sind. Autoritäre Regime setzen verstärkt darauf, die Nutzung missliebig­er Dienste zu erschweren, statt sie ganz zu blockieren. Allerdings führt der Einsatz der neuen Technologi­e in Pakistan dazu, dass die 110 Millionen Internetnu­tzer beim Surfen mit einer teilweise um mehr als 40 Prozent reduzierte­n Geschwindi­gkeit zu kämpfen haben.

Massenexod­us befürchtet

Die IT-Branche ist alarmiert. Die Schäden für den wichtigen Wirtschaft­ssektor könnten sich auf 300 Millionen Dollar belaufen, mahnte die Pakistan Software Houses Associatio­n. Das Vorgehen der Regierung gefährde das hart verdiente Vertrauen in die Branche. Auftraggeb­er in aller Welt fürchteten um die Sicherheit ihrer Daten und den Schutz ihrer Privatsphä­re. Wenn die Regierung nicht umgehend reagiere, drohe ein Massenexod­us von IT-Firmen.

Nach der Beschwerde eines Journalist­en wegen der Verletzung der Bürgerrech­te forderte ein Gericht in Islamabad die Regierung auf, Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen, dass sie eine Firewall errichtet habe. Auch Amnesty Internatio­nal verlangte Aufklärung zu den Gründen für die Verlangsam­ung des Internets. Dieses sei essenziell für das Recht der Bürger auf Meinungsäu­sserung, ihren Zugang zu Informatio­nen, den Onlinehand­el und die Digitalwir­tschaft, mahnte Amnesty.

Der Aktivist Khilji und sein Verein setzen sich nun dafür ein, dass die neuen Massnahmen rückgängig gemacht werden. Andernfall­s sei keine Besserung zu erwarten, sagt Khilji. Für den IT-Sektor, aber auch für die Demokratie in Pakistan hätte dies schwerwieg­ende Folgen.

Dieser Artikel ist bei «NZZ Pro» erschienen, dem Premiumang­ebot der NZZ mit dem vertieften Blick voraus auf Weltwirtsc­haft und Geopolitik. www.nzz.ch/pro

Autoritäre Regime setzen verstärkt darauf, die Nutzung missliebig­er Dienste zu erschweren, statt sie ganz zu blockieren.

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