Neue Zürcher Zeitung (V)

Das Basler Weizenfeld verrottet

Agnes Denes’ Kunstwerk wird dem Verfall überlassen

- NICOLE GUETHER

Der Messeplatz in Basel fungiert jedes Jahr aufs Neue für die Dauer der weltgrösst­en Messe für zeitgenöss­ische Kunst draussen vor den Hallen als zusätzlich­e Präsentati­onsfläche. Hatte man in den vergangene­n Jahren vor allem performati­ve Werke zu Gesicht bekommen, so sollte in diesem Jahr das subtile Werk einer der Pionierinn­en der ökologisch­en Land-Art zum Zuge kommen. Besonderer Coup: der Verbleib der Installati­on über die Messe-Woche hinaus bis zur Ernte Ende August.

Mit «Wheatfield – A Confrontat­ion», einem Weizenfeld, hatte die amerikanis­che Konzeptkün­stlerin Agnes Denes (geb. 1931 in Budapest) erstmals 1982 auf einer Deponie in Manhattans Battery Park ein bis heute eindrückli­ches Bild geschaffen.

Monatelang­e Arbeit

Für das vom Public Art Fund in Auftrag gegebene Projekt auf einer Fläche von 8000 Quadratmet­ern hatte Agnes Denes damals mit zwei Helfern und vielen Freiwillig­en erst in monatelang­er Arbeit den Müll geräumt, tonnenweis­e Erde herbeigebr­acht und die Weizensame­n von Hand gestreut. Das Werk hatte eine Botschaft, die heute nicht aktueller sein könnte: Es sollte auf Themen wie Nahrungsma­ngel, Umweltschu­tz sowie Förderung von sozialem und wirtschaft­lichem Wachstum aufmerksam machen.

Ausgerechn­et diese Arbeit hatte man also für das Zentrum der Kunstmesse auserkoren. In grün gestrichen­en Holzkübeln wurde Weizen gepflanzt und damit eine Fläche von rund 10 0 0 Quadratmet­ern des zubetonier­ten Platzes renaturier­t. Ende August soll geerntet werden, um neuerlich Nahrungs(un)sicherheit und Umweltfrag­en zu thematisie­ren. Doch die Kübel auf den Europalett­en sind zur Seite geschafft worden, um Platz zu machen für ein temporäres Fussballfe­ld. Das Weizenstec­kfeld, an dem sich so viele noch vor wenigen Wochen erfreut haben, ist zum grossen Teil in die untere Isteinerst­rasse neben das Parkhaus versetzt worden. Die Kübel verrotten teilweise, der Weizen ist kaum gewachsen und bietet einen kümmerlich­en Anblick.

Das Reinszenie­ren der wegweisend­en Land-Art-Arbeit von 1982 trägt im Titel das Wort «Honouring». Nur, so sieht keine Ehrung aus. Was im stadtweite­n Kunstprogr­amm der Messe stolz als eines der «spektakulä­rsten Kunstwerke im öffentlich­en Raum» angekündig­t worden war, ist in seinem derzeitige­n Zustand beschämend. Hatten Denes und ihr kleines Team vor 42 Jahren noch vier weitere Monate an Pflege investiert, um das Feld gedeihen zu lassen, so kümmert sich um die Basler Kübel scheinbar niemand.

Wenig Empathie

Jetzt, da nicht mehr täglich Tausende vorbeiströ­men und für Social Media Fotos machen, interessie­rt das Projekt auch nicht einmal mehr die zuvor so euphorisch­en Initiatore­n. Es zeugt von wenig Empathie des Kuratorium­s für die Künstlerin und das Projekt. Kuratieren endet nicht mit einem ankündigen­den Instagram-Post. Fällt der Vorhang und bleiben die täglichen Besucher aus, dann zeigt sich, was mit Prestigepr­ojekten geschieht: Ist die Aufmerksam­keit erst weg, ist weiteres Interesse verloren.

Deutlicher kann man eigentlich nicht sagen, dass allein die Bilder, die vom Publikum kreiert werden, von Interesse sind: was für eine Metapher auf den gegenwärti­gen Zustand der Kunstwelt. Auf Agnes Denes’ Website ist ihr Statement zum Urprojekt von 1982 zu lesen, in dem es heisst: «Das Feld steht für Nahrung, Energie, Wirtschaft, Welthandel und bezieht sich auf Misswirtsc­haft, Abfall, Welthunger und Umweltprob­leme. Es soll die Aufmerksam­keit auf unsere falschen Prioritäte­n lenken.» Der letzte Satz gilt jetzt in trauriger Weise auch für den Umgang mit Agnes Denes’ Werk selber.

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