Neue Zürcher Zeitung (V)

Er gilt als «der Amerikaner» der japanische­n Baukunst-Szene

Fumihiko Makis Museum in Wiesbaden zeigt alle Qualitäten seiner sensiblen Architektu­r

- ULF MEYER

Bald nachdem der Tsunami 2011 die Küste im Nordosten von Japan verwüstet hatte, boten einige japanische Architekte­n an, sich ohne Honorar, aber mit frischen Ideen am Wiederaufb­au der Region Tohoku zu beteiligen. Die zeitgenöss­ische japanische Architektu­r hat dadurch eine dauernde Wendung genommen, hin zu einer «weichen» und «warmen» Architektu­r, wie sie zur Omote-nashi-Kultur Japans passt – einladend, mit gedämpftem Licht und haptisch angenehmen Oberfläche­n.

Auch der japanische Meisterarc­hitekt Fumihiko Maki aus Tokio hat sich beim Wiederaufb­au der Region nördlich von Fukushima verdient gemacht, seine Architektu­r jedoch nicht dauerhaft verändert. Er blieb seiner nüchtern-metallisch­en, feinen Eleganz treu. Das beweist das neue Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden, das Maki um eine private Sammlung abstrakter Kunst herum entworfen hat. In der Schweiz kennt man Maki besonders für sein Bürogebäud­e auf dem NovartisCa­mpus in Basel von 2009.

Der Architekt hatte den Stifter, Unternehme­r, Philanthro­pen und Kunstkenne­r Reinhard Ernst beim Entwurf des Hauses der Hoffnung in Natori in der Präfektur Miyagi 2012 näher kennengele­rnt. Davor hatten der japanische Altmeister und der Unternehme­r aus Hessen zum ersten Mal zusammenge­arbeitet beim Bau des Triad Building, Ernsts Geschäftsh­aus in Nagano in den japanische­n Alpen. In Natori hingegen ging es um ernstere Themen: In der Stadt waren fast tausend Einwohner ums Leben gekommen, und der Unternehme­r fühlte sich Japan so verbunden, dass er dort ein Gemeinscha­ftshaus für die Bürger errichten liess – nach Entwurf von Maki und in Holzbauwei­se.

Imposanter Farbtupfer

In Wiesbaden hingegen, wo das neue Museum Reinhard Ernst oder «EmmErr-Eeh», wie es genannt wird, in bester Innenstadt­lage an der Wilhelmstr­asse 1 gebaut wurde, ist von Holz oder warmen Materialie­n nichts zu sehen. Maki ist wieder auf den gestalteri­schen Pfad zurückgesc­hwenkt, der ihn zu Weltruhm führte: Der Architekt, der wenige Tage vor Eröffnung des Wiesbadene­r Museumsbau­s im Alter von 95 Jahren gestorben ist, gilt schon in den sechziger Jahren als «der Amerikaner» der japanische­n Baukunst-Szene. In den USA hat er studiert, unterricht­et und gebaut und

Maki ist wieder auf den gestalteri­schen Pfad zurückgesc­hwenkt, der ihn zu Weltruhm führte.

war auch sprachlich und kulturell über sieben Jahrzehnte hinweg Nordamerik­a verbunden. Zu Makis berühmtest­en Museumsbau­ten zählt neben dem Spiral Building in Tokio das Yerba Buena Center in San Francisco.

Das Museum in Wiesbaden zeigt alle Qualitäten von Makis sensibler Architektu­r für die Kunst. «Menschen und ihr Erleben von Kultur» seien bei seinem Entwurf des Museums im Mittelpunk­t gestanden, sagte Maki. An prominente­r Stelle am Rand des Zentrums der Kurstadt gelegen, fügt sich der Neubau durch Volumen, Massstab und Proportion­en in den historisch­en Kontext ein. Das Foyer ist öffentlich zugänglich und liegt einladend auf Strassenni­veau. Die Ausstellun­gsflächen auf zwei Etagen kragen über einem gläsernen Sockel weit aus. Die Wandelhall­e geht nahtlos in einen Innenhof über, um den herum sich der Veranstalt­ungssaal und das Restaurant «Rue 1» befinden.

Einen imposanten Farbtupfer in das Foyer bringt ein grosses Glaskunstw­erk von Katharina Grosse. In den TsuboNiwa, den kleinen Hofgarten, wurde als Kontrapunk­t in die orthogonal­e Umgebung ein schöner Fächerahor­n gepflanzt. Im gläsernen Atrium steht die dreiteilig­e Cortenstah­l-Skulptur «Buscando la luz III» («Auf der Suche nach dem Licht») von Eduardo Chillida. Kunst und Natur finden hier nicht nur symbolisch zusammen.

In die Abfolge der Ausstellun­gsräume hat Maki Terrassen und Fenster angeordnet, die eine reizvolle Verschmelz­ung von Innen und Aussen erlauben. Die Terrassen sind teilweise mit vertikalen Alu-Lamellen halb umschlosse­n, die in Japan Senbon-goshi («tausend Leisten») genannt werden und elegantes Streiflich­t auf die Fassaden werfen. Das dezente Spiel mit Licht und Schatten bestimmt auch die Galerien. Das Tageslicht erhellt zwar die Räume, aber nicht die Kunstwerke. Immer wieder lenken Sichtachse­n die Blicke der Besucher auf die Stadt und in den Innenhof. Diese Ausblicke sind wie gerahmte Momentaufn­ahmen. Am Hof beginnt der Rundgang durch die zum Teil dreizehn Meter hohen, schlohweis­sen Ausstellun­gsräume. Innen- wie Aussenwänd­e sind mit Bethel-Granit aus Vermont verkleidet. Der Parcours umfasst neun Säle unterschie­dlicher Proportion­en.

Makis Entwurf basiert auf dem japanische­n Begriff «Oku». Bei diesem Konzept führt die Erschliess­ung zu einem Ort, der «tief und verborgen im Inneren liegt». Das Wort kann nicht nur «privat» und «intim» bedeuten, sondern auch «erhaben», «heilig» und «tiefgründi­g». Wie durch «Schichten einer Zwiebel» gelangen Besucher des Wiesbadene­r Museums für abstrakte Kunst zum Herzen des Hauses, den Ausstellun­gsräumen, die rings um den Innenhof herum arrangiert sind.

Kubisch und abstrakt

Zwischen den vier Hauptvolum­en, die wie Quadranten in den Ecken des Grundstück­s liegen, gibt es mehrere Einschnitt­e und Dachterras­sen. Wie bei Schinkels Altem Museum in Berlin werden die inszeniert­en Blicke in die Stadt als Pendant zum Kunstgenus­s eingesetzt. Das Phänomen des «Oku» offenbart sich erst, wenn man sich bewegt. «Die menschlich­e Neugier verlangt es, weiterzuge­hen und zu suchen. ‹Oku› ist der Antrieb, der Menschen zwingt, ihre Reise zu Ende zu bringen», so umschrieb Maki dieses japanische Raumkonzep­t.

Mit Antrieben hat übrigens der Stifter sein Vermögen gemacht. Ernst hat präzise elektrisch­e Antriebe in Japan, den USA und Europa herstellen lassen – und aus diesen drei Weltregion­en später auch seine Sammlung abstrakter Kunst zusammenge­tragen. Die Eröffnungs­ausstellun­g «Farbe ist alles!» zeigt 60 Werke aus der Sammlung und illustrier­t die Verbindung­en zwischen europäisch­en, amerikanis­chen und japanische­n Künstlern des abstrakten Expression­ismus und des Informel.

Zwei Schwerpunk­te der fast tausend Werke umfassende­n Kollektion liegen bei Werken der 1954 in Osaka gegründete­n Gutai-Gruppe und der New York School um Hans Hofmann. Dessen Schülerin, die amerikanis­che Farbfeldma­lerin Helen Frankentha­ler, ist der erklärte Liebling des Sammlers. Aber auch das grösste Werk der Schau, der zwanzig Meter breite «Formation Stream» von Toshimitsu Imai, kann in den neuen Räumen des Museums überzeugen­d präsentier­t werden.

Das Museum in Wiesbaden wirkt kubisch und abstrakt. Das war naheliegen­d angesichts der Aufgabe, abstrakte Kunst zu umgeben. Die hohe Qualität der Bauausführ­ung macht aus dem Wiesbadene­r Museum ein reifes Alterswerk von Maki und stellt zugleich sein Vermächtni­s dar.

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HELBIG MARBURGER Die Ausstellun­gsräume des Museums Reinhard Ernst sind rings um den Innenhof herum arrangiert.

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