Neue Zürcher Zeitung (V)

Lohnabspra­chen von Firmen gehören unterbunde­n

- MATTHIAS BENZ

Die Wettbewerb­skommissio­n (Weko) hat Brisantes an die Öffentlich­keit gebracht. Schweizer Unternehme­n sprechen sich offenbar ziemlich häufig über die Löhne und Arbeitsbed­ingungen ihrer Angestellt­en ab. Die Weko hat in Vorabkläru­ngen Hinweise darauf gefunden, dass über 200 Firmen aus verschiede­nen Branchen über Jahre hinweg den Wettbewerb auf dem Arbeitsmar­kt auszuhebel­n versuchten. Die Unternehme­n machen zum Beispiel ab, wie viel sie einem Angestellt­en eines bestimmten Typs höchstens bezahlen. Sie legen fest, wie stark sie die Löhne im nächsten Jahr erhöhen. Sie bestimmen Eckwerte für Boni. Sie tauschen Lohndaten aus.

Auch abseits der Bezahlung treffen sie Abreden. Firmen in einer Branche legen etwa Abwerbever­bote für Mitarbeite­r fest. Oder sie tauschen sich darüber aus, wie viel Flexibilit­ät bei den Arbeitszei­ten man den Angestellt­en gewährt. Die Weko scheint selbst überrascht gewesen zu sein, wie verbreitet diese Praktiken sind. Zunächst ging sie nur Hinweisen nach, dass sich Banken unzulässig­erweise über Löhne absprechen. Doch im Laufe der Abklärunge­n zeigte sich, dass es in der ganzen Wirtschaft eine Vielfalt von Abreden gibt, die ausserhalb von Gesamtarbe­itsverträg­en (GAV) stattfinde­n. Laut der Weko fanden sich Beispiele in folgenden Branchen: Versicheru­ngen, Pharma, Chemie, Energie, Gesundheit­swesen, Logistik, Luxusgüter oder Life-Sciences.

Diese Abreden sind ein Problem. Zum einen schaden sie den Arbeitnehm­ern. Beispielsw­eise würden ihre Löhne stärker steigen, wenn Konkurrent­en in einer Branche nicht einen verbindlic­hen Maximalloh­n festlegen würden. Zum anderen ist es aus gesamtwirt­schaftlich­er Sicht schlecht, wenn der Wettbewerb um Arbeitskrä­fte nicht spielt. Angestellt­e sollten frei zu jenem Arbeitgebe­r wechseln können, wo sie am produktivs­ten sind und ihre Ideen bestmöglic­h verwirklic­hen können. Sie sollten nicht vom Gedanken abgehalten werden, dass sich das nicht lohnt, weil die Arbeitsbed­ingungen in der Branche ohnehin überall gleich sind.

Es ist deshalb richtig, dass die Wettbewerb­shüter die Arbeitnehm­er jetzt stärker vor Abreden schützen wollen. Die Weko tut das nicht, indem sie Verfahren gegen einzelne Firmen eröffnet. Stattdesse­n erarbeitet sie zusammen mit den Sozialpart­nern und anderen involviert­en Kreisen Richtlinie­n, die womöglich schon ab kommendem Jahr gelten werden. Das Vorgehen ist nachvollzi­ehbar. Wettbewerb­sverfahren ziehen sich oft über viele Jahre hin. Mit Richtlinie­n zur Best Practice wissen die Unternehme­n schneller, was sie dürfen und was nicht. Klar ist bereits, dass das Lehrlingsw­esen ausgenomme­n werden soll, denn in der Berufsbild­ung kann es sinnvoll sein, wenn Firmen Vereinbaru­ngen treffen. Aber in der übrigen Arbeitswel­t dürfte künftig etwa für Lohnabspra­chen kein Platz mehr sein.

Für die Weko handelt es sich um ein relativ neues Feld. Traditione­ll kümmert sie sich darum, die Konsumente­n vor marktmächt­igen Unternehme­n zu schützen. Zwar sind die genannten Abreden auf dem Arbeitsmar­kt unter dem Schweizer Kartellges­etz schon seit langem verboten. Aber ähnlich wie andere Wettbewerb­sbehörden in der westlichen Welt beginnt sich die Weko erst allmählich um das Thema zu kümmern. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich die Arbeitswel­t in den letzten Jahren gewandelt hat. In vielen Ländern herrscht Arbeitskrä­ftemangel. Das gibt den Angestellt­en mehr Macht, um bessere Löhne und Arbeitsbed­ingungen zu erwirken. Die Unternehme­n sollten diesen schärferen Wettbewerb um Arbeitskrä­fte nicht einfach abwürgen können, indem sie heimlich Absprachen treffen. Wenn die Weko den Arbeitnehm­ern dabei nun Rückdeckun­g gibt, ist das zu begrüssen.

Es geht dabei notabene um Abreden, die ausserhalb von Gesamtarbe­itsverträg­en oder anderen sozialpart­nerschaftl­ichen Einigungen stattfinde­n. GAV sind gewisserma­ssen legale Kartelle: Unternehme­n und Gewerkscha­ften legen verbindlic­he Löhne und Arbeitsbed­ingungen für eine Branche fest. Auch solche Absprachen sind problemati­sch, selbst wenn sie vom Gesetz geschützt sind. Die Gewerkscha­ften haben in den vergangene­n 20 Jahren mit gütiger Mithilfe der Politik erwirkt, dass sich Gesamtarbe­itsverträg­e in der Schweiz immer mehr verbreitet haben. Dies war als flankieren­de Massnahme gedacht, um die Folgen der EU-Personenfr­eizügigkei­t abzufedern.

Tatsächlic­h schützen GAV die «Insider» – also jene, die bereits eine Arbeit haben – vor Lohndruck. Aber sie benachteil­igen auch die «Outsider» – also jene, die gerne ihre Arbeit zu anderen, vielleicht günstigere­n Konditione­n anbieten würden. Die flankieren­den Massnahmen haben so die Freiheit und Dynamik am Schweizer Arbeitsmar­kt in den vergangene­n Jahrzehnte­n zunehmend ausgehöhlt. Es galt einmal als ein Trumpf der Schweiz, einen liberalen Arbeitsmar­kt zu haben. Aber diese Errungensc­haft ist in Gefahr. Von daher ist es positiv, wenn die Weko nun wenigstens dafür sorgt, dass es nicht auch noch abseits der Gesamtarbe­itsverträg­e Abreden gibt – und das Prinzip des freien Wettbewerb­s hochhält.

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