Neue Zürcher Zeitung (V)

Die Jungsozial­isten haben erreicht, was sie wollen

- CHRISTINA NEUHAUS

Die Jungpartei der Schweizer Sozialdemo­kraten hat sich verändert. Konnte es sich der damalige Máximo Líder, Cédric Wermuth, noch leisten, wie Che Guevara zu posieren, drehten sich die Vorzeichen danach auf weiblich und divers. Der kürzlich zurückgetr­etene Juso-Präsident Nicola Siegrist sagt: «Die meisten unserer aktiven Mitglieder sind queer.» An Sitzungen müssen sich alle Mitglieder mit ihrem Pronomen vorstellen, und an jeder Versammlun­g sollte es mindestens einen Schutzraum für alle geben, die sich aus irgendwelc­hen Gründen gerade unwohl fühlen.

Weniger empfindsam sind die Partei und ihre Mitglieder, wenn es darum geht, den politische­n Feind zu attackiere­n. Und die Feindeslin­ie beginnt in der Mitte der Sozialdemo­kratie und zieht sich bis an den politische­n rechten Rand der Schweiz. Von der neuen Juso-Präsidenti­n, Mirjam Hostetmann, stammt der Satz: «Es wird Zeit, dass steuerkrim­inelle Familiencl­ans wie der von Spuhler nach den Regeln des Gesetzes spielen müssen. Wir dürfen uns nicht in Geiselhaft nehmen lassen, unser Anliegen ist rechtens. Die Profiteur*innen der Klimakrise sollen bezahlen.»

Hintergrun­d war ein Interview des Unternehme­rs, in dem er vor den Folgen der jüngsten Erbschafts­initiative

der Jungsozial­isten warnte. Das Begehren fordert eine Erbschafts­steuer von 50 Prozent ab einem Vermögen von 50 Millionen Franken. Industriel­le wie Spuhler, die ihr ganzes Geld in die eigenen Unternehme­n investiert haben, müssten Firmen verkaufen, um die Steuern bezahlen zu können. Und weil die Initiative am Tag der Annahme in Kraft treten soll, drohen Betroffene bereits heute mit Wegzug. Das ist es, was die woke Jungpräsid­entin meint, wenn sie von Geiselhaft spricht und Peter Spuhlers Familie als kriminelle­n Clan bezeichnet. Und selbstvers­tändlich hat sie sich für diese Ungeheuerl­ichkeit nie entschuldi­gt.

Wieso auch? Die Juso haben alles erreicht, was sie wollten. Wieder einmal haben sie durch die Ankündigun­g einer radikalen Initiative so viel Angst und Schrecken verbreitet, dass sich früh eine bürgerlich­e Gegeniniti­ative formierte. Denn die Saat der aggressive­n Jungpartei geht langsam auf. Auch die vorhergehe­nde Initiative, die verlangte, dass Erbschafte­n ab 2 Millionen Franken zugunsten der AHV zu besteuern seien, hatte ihren Schatten voraus geworfen. Doch weil fast jeder Einfamilie­nhausbesit­zer betroffen gewesen wäre, wurde das Begehren 2015 mit 71 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

Umgekehrt heisst das, dass fast jeder Dritte der Initiative zustimmte. Und seither hat sich die Stimmung der Bevölkerun­g unter den Auswirkung­en der Inflation nochmals verändert. Ein Ja an der Urne ist nicht zuletzt dank dem Ständemehr unwahrsche­inlich, doch das Schweizer Stimmvolk ist etwas unberechen­bar geworden. Bereits das ist ein kleiner Sieg für die Juso. Denn der Partei geht es um den öffentlich­en Diskurs. Bereits rufen die Grünen nach einer Sondersteu­er für Luxusgüter, die SP bietet «Hand für eine Alternativ­e», und die Zeitungen von Tamedia kommentier­en: «Reiche stärker besteuern: Diese Diskussion müssen wir führen.» Im Safe-Space der Juso-Zentrale dürften die Champagner­korken geknallt haben.

Die Taktik des SP-Nachwuchse­s ist wieder einmal aufgegange­n. Nicht mehr die bürgerlich­en Parteien und die Verbände prägen die Debatte in der Wirtschaft­spolitik, sondern die radikale Linke. Die Kreise, die das Geld verdienen, das die Sozialiste­n dann ausgeben wollen, sollen zu Getriebene­n werden und nur noch reagieren können. Wie man diesen irren Kreislauf stoppen könnte, hat der Abwehrkamp­f gegen die Prämienent­lastungsin­itiative der SP gezeigt. Unter der Federführu­ng der FDP haben die Gegner den Bürgerinne­n und Bürgern vorgerechn­et, was die Krankenkas­sensubvent­ionen jeden Haushalt kosten würden, 1200 Franken im Jahr. Mit Fakten gegen Wunschdenk­en. Das Resultat dieser No-nonsense-Kampagne: ein solides Nein an der Urne.

Das Schweizer Stimmvolk ist etwas unberechen­bar geworden. Bereits das ist ein kleiner Sieg für die Juso.

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