«Oranje» ist bereit für die Zukunft
Die Niederländer hadern nach dem EM-Aus gegen England mit dem Schiedsrichter
An Joey Veerman lag es nicht, dass die Niederlande den EM-Final verpasst haben. Der Mittelfeldspieler von der PSV Eindhoven erwies sich im Halbfinal gegen England als stabilisierender Faktor, nachdem er schon in der 35. Spielminute für den verletzten Angreifer Memphis Depay eingewechselt worden war. Der anfangs von den Briten bestimmte Halbfinal war fortan ausgeglichen und wurde erst durch einen Lucky Punch in der letzten Minute entschieden. Inmitten des niederländischen Pechs gab es für Veerman insofern wenigstens noch eine Art persönliches Happy End.
Der 25-Jährige war zum Ende der Gruppenphase im Zentrum eines Fiaskos gestanden, das die gesamte Kampagne der Niederländer zu stören drohte. Gegen Österreich hatte ihn der Trainer Ronald Koeman wegen einer fehlerhaften Darbietung in exakt derselben 35. Minute bereits vom Platz genommen. Veerman, in Tränen aufgelöst, wurde zum Bildnis einer als peinlich empfundenen 2:3-Niederlage.
In typisch niederländischer Manier, also mit scharfzüngigen Worten, fiel nicht nur die mediale Expertenriege über Veerman her, die ihm teilweise gar ein Ende der Karriere im Nationaltrikot prophezeite – sondern auch Koeman selbst. «Nachdem ich ihn eine halbe Stunde hatte spielen sehen, musste ich einschreiten», sagte der Bondscoach.
Doch die Kollegen und letztlich auch der Trainer standen Veerman zur Seite. Der wiederum erteilte sich zum Selbstschutz vorsorglich ein Internetverbot, und in diversen teaminternen Aussprachen vor der K.-o.-Runde wurden auch alle sonstigen Unstimmigkeiten ausgeräumt. Das Losglück tat das Übrige. In der Gruppe wurden die Niederländer zwar nur Dritte, dafür durften sie im Achtelfinal gegen Rumänien spielen, im Viertelfinal gegen die Türkei – und im Halbfinal gegen England.
«Kann man geben»
Die Equipe von Gareth Southgate konnte als vergleichsweise einfacher Gegner gelten, wenn man ihre bescheidene Kreativität mit dem Ball betrachtet. Ihr Repertoire, um trotzdem irgendwie Wege zum Sieg zu finden, ist jedoch unerschöpflich. Die Schweizer können ein Lied davon singen. Nun haben die Three Lions auch die Niederländer aus dem Turnier geworfen. Es sei «echt scheisse», sagte der Captain Virgil van Dijk, das entscheidende 1:2 in einer Schlussphase kassiert zu haben, in der sich seine Mannschaft eigentlich im Vorteil sah. Zum für die Niederländer Unvorteilhaften zählte der Abwehrchef auch den deutschen Unparteiischen Felix Zwayer.
Von den englischen Medien war Zwayer im Vorfeld heftig unter Druck gesetzt worden. Es ging dabei um seine Vergangenheit, zu der seine Verwicklung in den Manipulationsskandal um den früheren Referee Robert Hoyzer im Jahr 2004 sowie konkret eine Auseinandersetzung mit Englands Starspieler Jude Bellingham während dessen Zeit bei Borussia Dortmund zählen.
Nun konnten sich manche Beobachter des Eindrucks nicht erwehren, dass die Entscheidungen von Zwayers Team
Joey Veerman
in dubio pro England ausfielen. Das galt besonders für eine Videobeweis-Entscheidung, bei der dem Captain Harry Kane nach einem Zweikampf mit Denzel Dumfries der Elfmeter zum Ausgleich zugesprochen wurde.
«Kann man geben», sagte der Übeltäter Dumfries. «Es gibt den Kontakt mit Kane, also weiss man auch, dass der Schiedsrichter den Penalty geben kann. Dafür übernehme ich die Verantwortung. Man tut alles, um ein Tor zu verhindern, aber dann passiert so etwas.» Sein Trainer Ronald Koeman sagte derweil: «Solche Entscheidungen machen das Spiel kaputt.»
Koeman verspricht Erfolge
Sein Standing hat Koeman durch das Turnier dennoch gefestigt. Musste er sich nach dem Österreich-Spiel noch Fragen über seine Zukunft anhören, konnte er nach dem Halbfinaleinzug selbstbewusst auf seinen Vertrag bis 2026 pochen. «Jetzt können sie mich nicht mehr rausschmeissen», frohlockte er mit seinem sarkastischen Humor in den Tagen vor dem England-Match.
«Natürlich gab es Höhen und Tiefen, und bestimmte Dinge müssen sich verbessern», sagte Koeman nach dem Ausscheiden Aber das Turnier habe einen guten Grundstein gelegt. «Diese Mannschaft ist in der Lage, mehr zu erreichen.»
Die Perspektiven für die niederländische Auswahl sind im Hinblick auf die WM 2026 hoffnungsvoll. Veteranen wie der 32-jährige Captain Virgil van Dijk sollten noch ein gutes Turnier vor sich haben, Youngster wie der Offensivallrounder Xavi Simons, 21, der Torschütze gegen England, dann noch präsenter sein. Und der Spielmacher Frenkie de Jong könnte 2026 im Zenit seiner Karriere stehen. Die EM verpasste der 27-Jährige wegen einer Knöchelverletzung. Auch dieser Umstand lässt die niederländische Expedition unter dem Strich eher als Erfolg aussehen, denn de Jong fehlte bis zuletzt an allen Ecken und Enden.
Das resümierte der Bondscoach Koeman auch nach dem England-Spiel. «Wir hatten Schwierigkeiten im Mittelfeld, wir haben das Spiel nicht kontrolliert.» Diese Aussage hätte er über jeden niederländischen EM-Match machen können. Mit dem Barcelona-Star de Jong und dem in Deutschland ebenfalls unpässlichen Teun Koopmeiners dürfte die Balance im Mittelfeld in Zukunft wieder besser werden. Und auch Joey Veerman ist für die gemeinsame Sache wieder gewonnen.