Neue Zürcher Zeitung (V)

Rot-Grün unterstütz­t umstritten­es Hilfswerk in Gaza

Zürichs Stadtparla­ment spricht «substanzie­llen Beitrag» für UNRWA

- FRANCESCA PRADER

Das Uno-Hilfswerk für palästinen­sische Flüchtling­e (UNRWA) ist höchst umstritten. Kritiker sagen, es sei von Terroriste­n unterwande­rt. Nach dem Massaker vom 7. Oktober haben verschiede­ne Länder ihre Spendenzah­lungen eingestell­t oder reduziert. Wie die Schweiz – bis anhin eine der wichtigste­n Geldgeberi­nnen der UNRWA – in der Angelegenh­eit verfahren wird, ist noch nicht entschiede­n. Der Bund will seinen Beitrag für die Hilfsorgan­isation von 20 Millionen Franken um die Hälfte reduzieren. Sämtliche Gelder zu streichen, hält die Regierung in Bern nicht für zielführen­d, es würde die Region nur zusätzlich destabilis­ieren. Die zuständige­n Kommission­en im National- und im Ständerat stehen hinter dem Vorschlag. Das Geld dürfe aber nur in Gaza und ausschlies­slich für dringlichs­te Bedürfniss­e eingesetzt werden.

Für die linken Parteien des Zürcher Stadtparla­ments ist klar: Wenn der Bund nur 10 Millionen Franken zur Verfügung stellt, muss die Limmatstad­t einspringe­n. In einem Vorstoss fordern die Gemeindera­tsmitglied­er Severin Meier (SP), Selina Walgis (Grüne) und Tanja Maag Sturzenegg­er (AL), der Stadtrat müsse angesichts der humanitäre­n Lage in Gaza und der drohenden Hungersnot einen «substanzie­llen Beitrag» an das Uno-Hilfswerk prüfen. Das Stadtparla­ment hat den Vorstoss am Mittwoch mit 58 Ja zu 47 Nein-Stimmen an den Stadtrat überwiesen. 5 Parlamenta­rier enthielten sich. «Es geht um humanitäre Hilfe, nicht um den Nahen Osten», sagte Meier, bevor er die Terrorangr­iffe der Hamas und «die Verletzung­en des humanitäre­n Völkerrech­ts seither durch Israel» verurteilt­e. Die Stadt Zürich könne zwar weder den Terror der Hamas beenden noch die Einhaltung des Völkerrech­ts im Kriegsgebi­et sicherstel­len, ist im Postulat zu lesen. Sie könne aber einen Beitrag leisten, um die humanitäre Not zu lindern.

«Das ist keine Parteinahm­e»

Es sei verheerend, dass die Schweiz voraussich­tlich nur einen Teil des ursprüngli­ch versproche­nen Geldes an die UNRWA ausbezahle­n werde. Insbesonde­re in Gaza sei das Hilfswerk unersetzli­ch. Dies habe die Genfer Stadtregie­rung bereits erkannt, und sie habe vom Parlament einen Beitrag von 500 000 Franken für die UNRWA bewilligt erhalten. Alternativ könne die Stadt auch andere internatio­nale Organisati­onen mit den notwendige­n Kapazitäte­n berücksich­tigen, sagte Meier. Allerdings sei das Uno-Hilfswerk das einzige, welches über diese Kapazitäte­n in Gaza verfüge.

Stadtpräsi­dentin Corine Mauch (SP) hielt am Mittwochab­end im Stadtparla­ment fest, Zürich habe im Januar bereits je 100 000 Franken zur Unterstütz­ung der israelisch­en und der palästinen­sischen Bevölkerun­g gespendet. In Gaza herrsche ein unbeschrei­bliches Elend. «Das ist eine Feststellu­ng, keine Parteinahm­e.» Es gelte, Antisemiti­smus und Islamophob­ie entschiede­n entgegenzu­treten.

Stefan Urech (SVP) störte sich an «dieser moralische­n Gleichstel­lung» von Antisemiti­smus und Islamophob­ie. Er bezweifle zudem, dass in Zürich antiislami­sche Tendenzen in gleicher Weise zugenommen hätten wie antijüdisc­he. In Zürich wimmle es von antiisrael­ischen und antizionis­tischen Sprayereie­n.

Die Autoren des Vorstosses würden Medienarbe­it für die Hamas leisten, sagte Urech. So stamme die Zahl bereits verhungert­er Kinder in Gaza nämlich vom palästinen­sischen Gesundheit­sministeri­um, also der Hamas. «Wenn eine Informatio­n ins Weltbild passen muss, dann ist egal, woher sie kommt.»

Andere Organisati­on begünstige­n

Vor allem aber der Fokus der Linken auf das umstritten­e Uno-Hilfswerk in Gaza sorgte bei den Bürgerlich­en für Empörung. Die UNRWA sei nicht Teil der Lösung in Gaza, sondern Teil des Problems, sagte Ronny Siev (GLP). Wenn, dann solle die Stadt eine andere Organisati­on begünstige­n, etwa das World Food Programme. «Mitarbeite­nde der Organisati­on haben die Massaker der Hamas gefeiert, die grosse Mehrheit der Hamas-Terroriste­n sind in UNRWA-Schulen ausgebilde­t worden», sagte Siev. Dass die jüdische Bevölkerun­g der Stadt Zürich diese nun mit ihren Steuergeld­ern unterstütz­en solle, sei «der Gipfel der Perversion».

Bereits vor den Massakern der Hamas am 7. Oktober 2023 gab es Kritik an der UNRWA. Wegen des Vorwurfs, UNRWA-Mitarbeite­nde seien an der Gewalt beteiligt gewesen oder seien Mitglieder der Terrororga­nisation, hat die Uno einen unabhängig­en Expertenbe­richt erstellen lassen. Dieser hat das Hilfswerk zwar mangels Beweisen entlastet. Alle Zweifel vermochte der Bericht allerdings nicht zu zerstreuen. So stellten die Experten beispielsw­eise fest, dass der Jihad in Schulbüche­rn der UNRWA glorifizie­rt dargestell­t werde und Israel auf den Landkarten fehle. Dominik Waser (Grüne) gestand ein, dass das Palästinen­serhilfswe­rk der Uno «nicht perfekt ist». Das sei aber kein Grund, der Organisati­on kein Geld zu spenden. Denn ohne Geld gehe in Gaza derzeit nicht viel.

Der FDP-Fraktionsp­räsident Michael Schmid nannte die ursprüngli­che Formulieru­ng der Linken eine Machtanmas­sung. Mitnichten gehe es der Linken um humanitäre Hilfe, sondern um Aussenpoli­tik, sagte er. Es gehe nicht an, dass die Stadt Zürich die Schweizer Aussenpoli­tik übersteuer­n wolle. Durch den Verweis auf die auf Bundeseben­e geführte Debatte um die UNRWA-Beiträge versuche Rot-Grün aber genau das.

Bildungssy­stem, das Hass schürt

Die GLP schlug denn auch vor, die UNRWA aus dem Vorstoss zu streichen. Die Stadt solle den Bund in Sachen Entwicklun­gshilfe nämlich nicht ersetzen, sondern sich ihm anschliess­en. Der Antrag blieb chancenlos. Die FDP und die Mitte/EVP-Fraktion wären mit dieser Anpassung zu einer Zustimmung zum Postulat zu bewegen gewesen. Ohne Anpassung wäre es «ein Affront gegen die jüdische Bevölkerun­g Zürichs», sagte Marita Verbali (FDP). Es gehe nicht an, Steuergeld­er für ein Bildungssy­stem aufzuwende­n, das Hass schüre.

Israel als liberalen, demokratis­chen Staat darzustell­en, sei angesichts der «Apartheid» in den palästinen­sischen Gebieten und der «rechtsradi­kalen Regierung» in Jerusalem mehr als fraglich, hielt Moritz Bögli (AL) den Bürgerlich­en entgegen. Es gehe bei dem Vorstoss aber nicht um Schuldzuwe­isung, sondern darum, ein absolutes Minimum an Solidaritä­t zu leisten und ein Zeichen der Menschlich­keit zu setzen. Zürich müsse zeigen, «dass uns das Elend und der Hunger in Gaza nicht egal sind».

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