Macron drängt auf Koalition
Der französische Präsident will eine moderate Regierung, doch die Parteien sträuben sich
Es scheint, als sei Emmanuel Macron ganz froh, aus Frankreich rauszukommen. Der französische Präsident ist auf dem Nato-Gipfel in Washington in seinem Element, schüttelt Hände und bespricht wichtige geopolitische Themen. Sein Land lässt er in politischer Ungewissheit zurück. Und als er sich dann aus der Ferne an die Französinnen und Franzosen wendet, tut er das, wie so oft in letzter Zeit, schriftlich.
Am Mittwochabend publizierten französische Lokalzeitungen einen Brief des Präsidenten, den er noch vor seiner Abreise nach Washington verfasst hatte. Darin ruft er die französischen Politiker zur Besinnung auf – und stellt Bedingungen für die Berufung eines neuen Premierministers. Es ist ein Versuch, die Lage nach den Parlamentswahlen unter Kontrolle zu bringen. Denn nachdem das Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP) am Sonntag überraschend als Sieger aus den Stichwahlen hervorgegangen ist, lässt die Regierungsbildung auf sich warten. Premierminister Gabriel Attal ist nach wie vor im Amt, und die vier linken Parteien, die sich in dem Bündnis zusammengeschlossen haben, tun sich schwer damit, sich auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin für seine Nachfolge zu einigen.
«Pluralistische Mehrheit»
In seinem Schreiben erinnert Macron die Franzosen daran, dass das Bündnis über keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verfüge – ebenso wenig wie die anderen beiden Blöcke, das Präsidentenlager Ensemble und das rechtsnationale Rassemblement national (RN). «Niemand hat (diese Wahlen) gewonnen», so Macron. Darum brauche es nun eine «pluralistische Mehrheit» jener Parteien im Parlament, die sich für die Stichwahlen zum «Front républicain» zusammengeschlossen hatten, um das RN zu schlagen.
Der Brief kann auch als Versuch gelesen werden, den linken Parteiblock zu spalten. Denn Macron spricht sich darin explizit für eine Koalition von Parteien aus, die sich zu den republikanischen Institutionen, dem Rechtsstaat und der europäischen Idee bekennen. Das wird vor allem von links als erneuter Aufruf interpretiert, die radikal linke Partei La France insoumise (LFI) nicht in die Koalitionsbildung einzubeziehen. Macron hatte die Partei bereits im Vorfeld der Wahl als «extrem» und «antiparlamentarisch» bezeichnet.
In der linken Volksfront stellt La France insoumise die grösste Fraktion, wenn auch nur knapp vor den Sozialisten. Noch versuchen die Parteien gemeinsam, einen Kandidaten für das Premierministeramt zu finden. Doch unter den Sozialisten und den Grünen gibt es einige, die sehr wohl bereit wären, sich an einer erweiterten Regierung der Mitte zu beteiligen. Auch unter den LFI-Abgeordneten rumort es. Laut französischen Medienberichten plant eine Gruppe Abtrünniger, die mit dem rabiat auftretenden Parteichef Jean-Luc Mélenchon unzufrieden ist, die Bildung einer eigenen Fraktion.
Es rumort in mehreren Lagern
Eine Spaltung droht nicht nur den Linken. In Macrons Mittelager sind längst nicht alle auf der Linie des Präsidenten. Zwar hat sich die Parlamentsfraktion seiner Partei Renaissance für eine «Koalition von den Sozialdemokraten bis zur Rechten» ausgesprochen. Doch der noch amtierende Innenminister Gérald Darmanin lehnt jegliche Zusammenarbeit mit den Grünen ab, und der Vorsitzende der rechtsliberalen Partei Horizons, Édouard Philippe, sprach sich für die Bildung eines Blocks aus den Mitteparteien und den konservativen Républicains aus.
Daran wiederum haben diese kein Interesse. Der neu gewählte Fraktionsvorsitzende Laurent Wauquiez erklärte am Mittwoch, die Républicains würden sich «nicht an Regierungskoalitionen beteiligen». Für eine stabile Allianz aus gemässigten Linken und Mittekräften wären die Stimmen der Républicains jedoch unabdingbar. Allerdings sind auch die Konservativen sich intern uneinig.
Emmanuel Macron kann den Streitereien jedenfalls nicht ewig entfliehen. Kommende Woche wird sich das neue Parlament zur konstituierenden Sitzung treffen müssen. Bis dahin, heisst es, werde der Präsident die Auflösung der gegenwärtigen Regierung beschliessen. Nur dann könnten diejenigen Abgeordneten, die derzeit noch ein Ministeramt innehaben, an der Sitzung teilnehmen.