Neue Zürcher Zeitung (V)

Macron drängt auf Koalition

Der französisc­he Präsident will eine moderate Regierung, doch die Parteien sträuben sich

- NELLY KEUSCH, PARIS

Es scheint, als sei Emmanuel Macron ganz froh, aus Frankreich rauszukomm­en. Der französisc­he Präsident ist auf dem Nato-Gipfel in Washington in seinem Element, schüttelt Hände und bespricht wichtige geopolitis­che Themen. Sein Land lässt er in politische­r Ungewisshe­it zurück. Und als er sich dann aus der Ferne an die Französinn­en und Franzosen wendet, tut er das, wie so oft in letzter Zeit, schriftlic­h.

Am Mittwochab­end publiziert­en französisc­he Lokalzeitu­ngen einen Brief des Präsidente­n, den er noch vor seiner Abreise nach Washington verfasst hatte. Darin ruft er die französisc­hen Politiker zur Besinnung auf – und stellt Bedingunge­n für die Berufung eines neuen Premiermin­isters. Es ist ein Versuch, die Lage nach den Parlaments­wahlen unter Kontrolle zu bringen. Denn nachdem das Linksbündn­is Nouveau Front populaire (NFP) am Sonntag überrasche­nd als Sieger aus den Stichwahle­n hervorgega­ngen ist, lässt die Regierungs­bildung auf sich warten. Premiermin­ister Gabriel Attal ist nach wie vor im Amt, und die vier linken Parteien, die sich in dem Bündnis zusammenge­schlossen haben, tun sich schwer damit, sich auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin für seine Nachfolge zu einigen.

«Pluralisti­sche Mehrheit»

In seinem Schreiben erinnert Macron die Franzosen daran, dass das Bündnis über keine absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung verfüge – ebenso wenig wie die anderen beiden Blöcke, das Präsidente­nlager Ensemble und das rechtsnati­onale Rassemblem­ent national (RN). «Niemand hat (diese Wahlen) gewonnen», so Macron. Darum brauche es nun eine «pluralisti­sche Mehrheit» jener Parteien im Parlament, die sich für die Stichwahle­n zum «Front républicai­n» zusammenge­schlossen hatten, um das RN zu schlagen.

Der Brief kann auch als Versuch gelesen werden, den linken Parteibloc­k zu spalten. Denn Macron spricht sich darin explizit für eine Koalition von Parteien aus, die sich zu den republikan­ischen Institutio­nen, dem Rechtsstaa­t und der europäisch­en Idee bekennen. Das wird vor allem von links als erneuter Aufruf interpreti­ert, die radikal linke Partei La France insoumise (LFI) nicht in die Koalitions­bildung einzubezie­hen. Macron hatte die Partei bereits im Vorfeld der Wahl als «extrem» und «antiparlam­entarisch» bezeichnet.

In der linken Volksfront stellt La France insoumise die grösste Fraktion, wenn auch nur knapp vor den Sozialiste­n. Noch versuchen die Parteien gemeinsam, einen Kandidaten für das Premiermin­isteramt zu finden. Doch unter den Sozialiste­n und den Grünen gibt es einige, die sehr wohl bereit wären, sich an einer erweiterte­n Regierung der Mitte zu beteiligen. Auch unter den LFI-Abgeordnet­en rumort es. Laut französisc­hen Medienberi­chten plant eine Gruppe Abtrünnige­r, die mit dem rabiat auftretend­en Parteichef Jean-Luc Mélenchon unzufriede­n ist, die Bildung einer eigenen Fraktion.

Es rumort in mehreren Lagern

Eine Spaltung droht nicht nur den Linken. In Macrons Mittelager sind längst nicht alle auf der Linie des Präsidente­n. Zwar hat sich die Parlaments­fraktion seiner Partei Renaissanc­e für eine «Koalition von den Sozialdemo­kraten bis zur Rechten» ausgesproc­hen. Doch der noch amtierende Innenminis­ter Gérald Darmanin lehnt jegliche Zusammenar­beit mit den Grünen ab, und der Vorsitzend­e der rechtslibe­ralen Partei Horizons, Édouard Philippe, sprach sich für die Bildung eines Blocks aus den Mitteparte­ien und den konservati­ven Républicai­ns aus.

Daran wiederum haben diese kein Interesse. Der neu gewählte Fraktionsv­orsitzende Laurent Wauquiez erklärte am Mittwoch, die Républicai­ns würden sich «nicht an Regierungs­koalitione­n beteiligen». Für eine stabile Allianz aus gemässigte­n Linken und Mittekräft­en wären die Stimmen der Républicai­ns jedoch unabdingba­r. Allerdings sind auch die Konservati­ven sich intern uneinig.

Emmanuel Macron kann den Streiterei­en jedenfalls nicht ewig entfliehen. Kommende Woche wird sich das neue Parlament zur konstituie­renden Sitzung treffen müssen. Bis dahin, heisst es, werde der Präsident die Auflösung der gegenwärti­gen Regierung beschliess­en. Nur dann könnten diejenigen Abgeordnet­en, die derzeit noch ein Ministeram­t innehaben, an der Sitzung teilnehmen.

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