Wann hört die Menschheit auf zu wachsen?
Die Uno legt einen neuen Bericht zur Weltbevölkerung vor
Bevölkerungspolitik ist en vogue, und das rund um den Globus: Deutschland will Fachkräfte aus Kenya rekrutieren. Taipeh, die Hauptstadt Taiwans, vergibt Baby-Bonusse von umgerechnet 500 Franken fürs erste Kind und bis zu 1400 Franken fürs dritte. Die Regierung in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, ermutigt Frauen und Männer, später zu heiraten – und einen grösseren Abstand zwischen den Schwangerschaften einzuhalten. Während manche Länder mit Überalterung und sinkenden Geburtenraten kämpfen, versuchen andere Regierungen, das Bildungsniveau von Frauen zu erhöhen und den Zugang zu Verhütung zu erleichtern.
Am Donnerstag hat die Uno in New York ihre jüngsten Prognosen zur Entwicklung der Weltbevölkerung vorgestellt. Diese Berechnungen macht die Uno alle paar Jahre. Interessant ist, wie sich frühere Vorhersagen verändert haben und wo sich die Uno selbst korrigiert hat. Das sind die wichtigsten Punkte.
■ Die Weltbevölkerung könnte bereits Anfang 2080 ihren Höchststand erreicht haben. Die Bevölkerung wird immer weiter wachsen, aber die Nahrungsmittel und Ressourcen der Welt sind begrenzt – von diesem Katastrophenszenario eines brutalen Verteilkampfes ging man lange aus. Bis heute ist es tief verankert und ruft Ängste hervor. Es ist auf den Ökonomen Thomas Robert Malthus und seinen einflussreichen Text «An Essay on the Principle of Population» von 1798 zurückzuführen. Diese Vorstellung ist schon lange überholt. Mittlerweile weiss man, dass die Bevölkerungskurve nicht einfach exponentiell ansteigt, sondern erst abflacht und dann zu sinken beginnt. Die Frage ist nur, wann.
Heute gibt es 8,2 Milliarden Menschen. Die Uno geht in ihrem neusten Bericht davon aus, dass der Peak – also die Höchstzahl von Menschen auf dem Planeten Erde – bereits 2084 mit etwa 10,3 Milliarden Menschen eintreten könnte; zwei Jahre früher, als sie noch in ihrem Bericht von 2022 geschätzt hatte. Bereits gegen Ende des Jahrhunderts könnte die Bevölkerung dann wieder auf 10,2 Milliarden Menschen geschrumpft sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Peak noch in diesem Jahrhundert erreicht wird, beträgt laut der Uno 80 Prozent.
Die Veränderung seit dem letzten Bericht ist verhältnismässig gering. Das heisst aber nicht, dass die Uno schon so genau weiss, wie sich die Weltbevölkerung entwickeln wird. Sie errechnet aus verschiedenen Szenarien einen Mittelwert. In den Extremszenarien wächst die Bevölkerung bis 2100 auf 14 Milliarden – oder sie erreicht schon 2053 mit knapp 9 Milliarden den Höchststand. Der Grund für die Kurskorrektur der Uno sind vor allem zwei Kontinente: Afrika und Asien. Dort sinken die Geburtenraten schneller als erwartet.
■ In Asien und Afrika steigt das Bevölkerungswachstum weniger als erwartet. Bevölkerungsprognosen enden jeweils mit dem Fazit, dass Afrika und Asien wachsen, während Europa und Nordamerika schrumpfen. Das ist nicht falsch. Im Jahr 2100 werden gemäss den neusten Uno-Prognosen acht von zehn Menschen entweder in Asien oder in Afrika leben. Im Vergleich zu früheren Prognosen hat die Uno die Zahlen des erwarteten Bevölkerungswachstums in Afrika und Asien deutlich nach unten korrigiert. Wie erklärt sich das?
Für Afrika rechnet die Uno mit einer tieferen Nettomigration – das bedeutet, dass mehr Menschen aus- statt zuwandern. Die Uno hat deshalb ihre Bevölkerungsprognose für Afrika für das Jahr 2100 um 109 Millionen Menschen nach unten korrigiert. In Nordamerika und auch in Europa hingegen wird eine höhere Nettomigration erwartet.
Die Uno hat ebenso berücksichtigt, dass die Geburtenrate in vielen Ländern in Asien weiter gesunken ist. So zum Beispiel in China: 2022 schätzte die Uno, dass die Fertilitätsrate, also die Anzahl Kinder pro Frau im Durchschnitt, in China bei 1,2 liegen würde. Nun ist es nur knapp ein Kind pro Frau. Das macht auf lange Sicht viel aus. Auch hier hat die Uno ihre Prognose nach unten angepasst. So dürfte es bis Ende des Jahrhunderts 133 Millionen weniger Chinesinnen und Chinesen geben als erwartet. Wichtig ist: Die Bevölkerung in Afrika wie in Asien wird in den nächsten Jahrzehnten weiterhin wachsen – nur nicht ganz so stark wie bisher erwartet. Besonders kinderreiche Länder wie Indien und Nigeria werden das Bevölkerungswachstum auf Jahrzehnte hinaus antreiben.
■ Frauen haben im globalen Schnitt ein Kind weniger als in den neunziger Jahren. Derzeit liegt die weltweite Fertilitätsrate bei 2,3 Geburten pro Frau. Im Jahr 1990 waren es noch 3,3 Geburten pro Frau. In mehr als der Hälfte aller Weltregionen liegt die Fruchtbarkeitsziffer inzwischen unter 2,1. Das ist bemerkenswert. 2,1 ist nämlich die Zahl, die nötig wäre, damit die Bevölkerung konstant bleibt. Ein Fünftel aller Länder weist gar eine Fertilitätsrate von unter 1,4 Geburten pro Frau auf, darunter China, Italien, Südkorea und Spanien.
Die Fertilität hat einen grossen Einfluss auf die Bevölkerungsprognosen. Aber ihre Wirkung entfaltet sich erst mit der Zeit. Es dauert rund 30 Jahre, bis die tiefe Geburtenrate dazu führt, dass die Bevölkerung zu schrumpfen beginnt. Bis dahin haben die vielen Kinder der wachstumsstarken Jahre selber Kinder und kompensieren die tiefere Geburtenrate.
■ Nach der Corona-Pandemie: Die globale Lebenserwartung steigt wieder an. Seit 1971 war die globale Lebenserwartung kontinuierlich angestiegen. Doch während der Pandemiejahre 2020 und 2021 war sie zum ersten Mal seit der Grossen Chinesischen Hungersnot (1959 bis 1962) gesunken, um insgesamt 1,8 Jahre.
Nun steigt sie wieder an und liegt damit auf dem langfristigen Trend. Ein Baby, das 2024 geboren wird, hat im globalen Durchschnitt eine Lebenserwartung von 73,3 Jahren. Damit wird es 8,4 Jahre länger leben als ein Baby, das 1995 auf die Welt kam. Bis 2054 rechnet die Uno mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 77,4 Jahren.
■ Russlands Bevölkerung schrumpft trotz dem Krieg weniger stark als gedacht. Auch in Bezug auf Russland hat die Uno ihre Prognosen korrigiert. Russland hatte seinen Peak bereits in den neunziger Jahren erreicht und wird also in den nächsten Jahrzehnten weiter schrumpfen – allerdings weniger stark als erwartet. Die prognostizierten Bevölkerungszahlen liegen für das Jahr 2100 um 14 Millionen höher als noch vor zwei Jahren vorhergesagt. Dann soll es noch 126 Millionen Russinnen und Russen geben. Zurzeit sind es 144 Millionen.
2022 ging die Uno davon aus, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine einen grossen Einfluss auf die russischen Migrationszahlen haben wird. Offizielle Daten liegen nicht vor, doch Schätzungen des exilrussischen Think-Tanks Re:Russia auf der Grundlage von Zahlen der Destinationsländer legen nahe, dass seit dem Krieg zwischen 820 000 und 920 000 Russinnen und Russen das Land verlassen haben. Mehr als zwei Jahre nach dem Krieg zeigt sich jedoch, dass der Krieg nur kurzzeitige Auswirkungen auf Migrationsbewegungen hatte. Russland bleibt ein beliebtes Destinationsland für Arbeiter aus dem Ausland, insbesondere aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Inzwischen geht die Uno davon aus, dass sich die Migrationsstatistiken Russlands in Zukunft nicht merklich von den Jahren 2003 bis 2021 unterscheiden werden.