Neue Zürcher Zeitung (V)

Wieso dieses Tay-Tay-Tamtam?

Taylor Swift scheint für Progressiv­e und Konservati­ve anschlussf­ähig. Aber dem uneingewei­hten Beobachter bleibt ihr Erfolg ein Rätsel

- ANDREAS SCHEINER

Kurz vor Taylor Swifts Konzerten in Zürich kommt eine Push-Nachricht aufs Handy: «Einschränk­ungen bei der Entsorgung», meldet der Alarm der Stadt Zürich. Die Kartonsamm­lung kommt womöglich nicht durch. Zürich im Ausnahmezu­stand. Die vergangene­n Tage war für niemanden in der Stadt ein Vorbeikomm­en an Taylor Swift. Dem uneingewei­hten Beobachter blieb es ein Mysterium: Wieso dieses Tay-Tay-Tamtam?

Nun ist der berufliche Erfolg von Taylor Swift, die von den Fans Tay Tay genannt wird, erwiesener­massen unvergleic­hlich: Grammys hat die 34-Jährige über ein Dutzend gewonnen, ihre Alben debütieren immer zuoberst in den einschlägi­gen Ranglisten, StreamingR­ekorde hält sie noch und nöcher. Die Songs von «The Tortured Poets Department» wurden allein in der ersten Woche 1,76 Milliarden Mal gestreamt. Und so weiter und so fort.

Kein Teenager-Phänomen

Also, wieso lieben alle Taylor Swift? Das ist die zweite Frage. Die erste: Wer genau sind «alle»? Vor allem Menschen in den späten Teenager-Jahren bis Mitte dreissig, vorwiegend Frauen. Die grösste Fangemeind­e ist in den USA, je nach Umfrage bezeichnen sich bis zu 50 Prozent der Amerikaner als Swifties.

Reines Teenager-Phänomen ist das also keines. Laut «Forbes» ist der typische Fan ein weisser Millennial, tendenziel­l aus einem Vorort. Und eher den Demokraten zugeneigt. So wie Swift selbst, die allerdings etwas Bedenkzeit brauchte fürs politische Outing.

Gerade in Gliedstaat­en wie Texas oder Tennessee vermeiden es Countrymus­iker möglichst, sich politisch zu exponieren. Als es die von Swift verehrten Dixie Chicks doch wagten und sich bei einem Konzert kritisch über den damaligen US-Präsidente­n George W. Bush äusserten, ernteten sie einen Shitstorm. Wurden als antiamerik­anisch diffamiert. Swift schreckte entspreche­nd lange vor einer klaren Parteinahm­e zurück. Nach einer juristisch­en Auseinande­rsetzung mit einem Radio-DJ, der ihr an den Hintern gefasst hatte, begann sie, sich weitere misogyne Persönlich­keiten zu packen. Im Senatswahl­kampf von Tennessee unterstütz­te sie 2018 die demokratis­che Kandidatin und bezeichnet­e deren republikan­ische Kontrahent­in als «homophobe Rassistin». Es war die Geburt der politische­n Taylor Swift.

Der damalige Präsident Trump mochte ihre Musik danach «um etwa 25 Prozent weniger», wie er sagte. Aber für Swift ging die Rechnung auf. Man wusste nun, woran man bei ihr war. Progressiv­e Amerikaner konnten sich uneingesch­ränkt auf sie einigen. Gleichzeit­ig ist sie für moderate Konservati­ve weiterhin anschlussf­ähig als All-American Girl.

Die Vermutung liegt nahe, dass auch die Schweizer Swifties (Swissties?) zu nicht geringen Teilen aus der Agglo stammen und eher SP als SVP wählen. Was sagt uns das? Zunächst einmal, dass es aufgeschlo­ssene junge Erwachsene sind. Swift-Fans wissen, was sie tun. Der «Barbie»-Hype war deutlich unernster. Das macht die Sache mit den Swifties umso fasziniere­nder. Die bedingungs­lose Bewunderun­g für ein Idol nährt naturgemäs­s Widersprüc­hlichkeite­n.

So sind die Swifties sicher Leute, denen man etwa in der Schweiz eine kritische Grundhaltu­ng gegenüber kommerziel­len Auswüchsen amerikanis­cher Prägung attestiere­n würde. Aber das scheint nicht ausschlagg­ebend. Bei der Musikerin im Glitzerbod­y und den Cowboystie­feln lassen sich die Fans von keinen ideologisc­hen Bedenken bremsen. Offensicht­lich muss der in linken Kreisen weitverbre­itete Antiamerik­anismus hier hintansteh­en.

Vieles ist verwirrend. Swift schwingt sich zur Kämpferin für die Selbstermä­chtigung auf, gleichzeit­ig folgen ihr die Fans fast bedingungs­los. Und ordnen alles dem Glitzer-Eskapismus unter. Überall findet sich der kleine Widersinn. Während sie sich für Diversity einsetzt und Hymnen auf Queerness und Toleranz trällert, geht es in Songs und Videos vergleichs­weise altmodisch um die (heterosexu­elle) Liebe.

Aber daraus entsteht die Breitenwir­ksamkeit. Jüngere Fans verstehen die Sachen so, wie sie sie verstehen wollen. Für die älteren Semester schwingen Erinnerung an jugendlich­en Herzschmer­z mit. Taylor Swift hat sich ein Publikumss­egment erarbeitet, das maximal breit ist. Gleichzeit­ig ist sie nicht der totalen Beliebigke­it anheimgefa­llen. Sie sagt, wofür sie steht, und schafft es dennoch, dass alle möglichen Publikumss­egmente andocken können. Niemand wird vergällt. Darin muss der Erfolg begründet liegen.

Grösser als die Beatles

Swifties seien eine eigene Subkultur, erklärt Brian Donovan, ein Soziologie­professor der Universitä­t Kansas, in der «Süddeutsch­en Zeitung». Donovan unterricht­et ein Seminar über die Soziologie von Taylor Swift und führte für ein Buch über Swift Interviews mit mehr als sechzig Fans. Was er dabei vor allem feststellt­e: Die Fans «knüpfen soziale Beziehunge­n untereinan­der, schaffen verschiede­ne Gemeinscha­ften, alles unter dem weiten Dach von Taylor Swift». Der Hype um die Musikerin sei also nicht nur ein «Symptom unserer Celebrity-süchtigen Gesellscha­ft», sagt Donovan. Sondern es ist auch ein Phänomen von Solidarisi­erung.

Der Soziologe betont den LiveEffekt, die Aufregung sei ansteckend. «Man ist nicht nur aufgeregt, Taylor Swift zu sehen, sondern sie mit 70 000 anderen Fans zu sehen. Zu wissen, dass man dieselbe Sache sieht wie gerade das ganze Stadion.» Vergleichb­ar sei das höchstens mit der Beatlemani­a. Oder auch nicht. Die Swift-Ekstase stelle «die Beatlemani­a in den Schatten».

Grösser geht’s nicht. Aber die Kartonabfu­hr kam dann doch.

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GETTY Im Zürcher Letzigrund konnte Taylor Swift mit der gesanglich­en Unterstütz­ung von Tausenden von Swifties rechnen.

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