Wieso dieses Tay-Tay-Tamtam?
Taylor Swift scheint für Progressive und Konservative anschlussfähig. Aber dem uneingeweihten Beobachter bleibt ihr Erfolg ein Rätsel
Kurz vor Taylor Swifts Konzerten in Zürich kommt eine Push-Nachricht aufs Handy: «Einschränkungen bei der Entsorgung», meldet der Alarm der Stadt Zürich. Die Kartonsammlung kommt womöglich nicht durch. Zürich im Ausnahmezustand. Die vergangenen Tage war für niemanden in der Stadt ein Vorbeikommen an Taylor Swift. Dem uneingeweihten Beobachter blieb es ein Mysterium: Wieso dieses Tay-Tay-Tamtam?
Nun ist der berufliche Erfolg von Taylor Swift, die von den Fans Tay Tay genannt wird, erwiesenermassen unvergleichlich: Grammys hat die 34-Jährige über ein Dutzend gewonnen, ihre Alben debütieren immer zuoberst in den einschlägigen Ranglisten, StreamingRekorde hält sie noch und nöcher. Die Songs von «The Tortured Poets Department» wurden allein in der ersten Woche 1,76 Milliarden Mal gestreamt. Und so weiter und so fort.
Kein Teenager-Phänomen
Also, wieso lieben alle Taylor Swift? Das ist die zweite Frage. Die erste: Wer genau sind «alle»? Vor allem Menschen in den späten Teenager-Jahren bis Mitte dreissig, vorwiegend Frauen. Die grösste Fangemeinde ist in den USA, je nach Umfrage bezeichnen sich bis zu 50 Prozent der Amerikaner als Swifties.
Reines Teenager-Phänomen ist das also keines. Laut «Forbes» ist der typische Fan ein weisser Millennial, tendenziell aus einem Vorort. Und eher den Demokraten zugeneigt. So wie Swift selbst, die allerdings etwas Bedenkzeit brauchte fürs politische Outing.
Gerade in Gliedstaaten wie Texas oder Tennessee vermeiden es Countrymusiker möglichst, sich politisch zu exponieren. Als es die von Swift verehrten Dixie Chicks doch wagten und sich bei einem Konzert kritisch über den damaligen US-Präsidenten George W. Bush äusserten, ernteten sie einen Shitstorm. Wurden als antiamerikanisch diffamiert. Swift schreckte entsprechend lange vor einer klaren Parteinahme zurück. Nach einer juristischen Auseinandersetzung mit einem Radio-DJ, der ihr an den Hintern gefasst hatte, begann sie, sich weitere misogyne Persönlichkeiten zu packen. Im Senatswahlkampf von Tennessee unterstützte sie 2018 die demokratische Kandidatin und bezeichnete deren republikanische Kontrahentin als «homophobe Rassistin». Es war die Geburt der politischen Taylor Swift.
Der damalige Präsident Trump mochte ihre Musik danach «um etwa 25 Prozent weniger», wie er sagte. Aber für Swift ging die Rechnung auf. Man wusste nun, woran man bei ihr war. Progressive Amerikaner konnten sich uneingeschränkt auf sie einigen. Gleichzeitig ist sie für moderate Konservative weiterhin anschlussfähig als All-American Girl.
Die Vermutung liegt nahe, dass auch die Schweizer Swifties (Swissties?) zu nicht geringen Teilen aus der Agglo stammen und eher SP als SVP wählen. Was sagt uns das? Zunächst einmal, dass es aufgeschlossene junge Erwachsene sind. Swift-Fans wissen, was sie tun. Der «Barbie»-Hype war deutlich unernster. Das macht die Sache mit den Swifties umso faszinierender. Die bedingungslose Bewunderung für ein Idol nährt naturgemäss Widersprüchlichkeiten.
So sind die Swifties sicher Leute, denen man etwa in der Schweiz eine kritische Grundhaltung gegenüber kommerziellen Auswüchsen amerikanischer Prägung attestieren würde. Aber das scheint nicht ausschlaggebend. Bei der Musikerin im Glitzerbody und den Cowboystiefeln lassen sich die Fans von keinen ideologischen Bedenken bremsen. Offensichtlich muss der in linken Kreisen weitverbreitete Antiamerikanismus hier hintanstehen.
Vieles ist verwirrend. Swift schwingt sich zur Kämpferin für die Selbstermächtigung auf, gleichzeitig folgen ihr die Fans fast bedingungslos. Und ordnen alles dem Glitzer-Eskapismus unter. Überall findet sich der kleine Widersinn. Während sie sich für Diversity einsetzt und Hymnen auf Queerness und Toleranz trällert, geht es in Songs und Videos vergleichsweise altmodisch um die (heterosexuelle) Liebe.
Aber daraus entsteht die Breitenwirksamkeit. Jüngere Fans verstehen die Sachen so, wie sie sie verstehen wollen. Für die älteren Semester schwingen Erinnerung an jugendlichen Herzschmerz mit. Taylor Swift hat sich ein Publikumssegment erarbeitet, das maximal breit ist. Gleichzeitig ist sie nicht der totalen Beliebigkeit anheimgefallen. Sie sagt, wofür sie steht, und schafft es dennoch, dass alle möglichen Publikumssegmente andocken können. Niemand wird vergällt. Darin muss der Erfolg begründet liegen.
Grösser als die Beatles
Swifties seien eine eigene Subkultur, erklärt Brian Donovan, ein Soziologieprofessor der Universität Kansas, in der «Süddeutschen Zeitung». Donovan unterrichtet ein Seminar über die Soziologie von Taylor Swift und führte für ein Buch über Swift Interviews mit mehr als sechzig Fans. Was er dabei vor allem feststellte: Die Fans «knüpfen soziale Beziehungen untereinander, schaffen verschiedene Gemeinschaften, alles unter dem weiten Dach von Taylor Swift». Der Hype um die Musikerin sei also nicht nur ein «Symptom unserer Celebrity-süchtigen Gesellschaft», sagt Donovan. Sondern es ist auch ein Phänomen von Solidarisierung.
Der Soziologe betont den LiveEffekt, die Aufregung sei ansteckend. «Man ist nicht nur aufgeregt, Taylor Swift zu sehen, sondern sie mit 70 000 anderen Fans zu sehen. Zu wissen, dass man dieselbe Sache sieht wie gerade das ganze Stadion.» Vergleichbar sei das höchstens mit der Beatlemania. Oder auch nicht. Die Swift-Ekstase stelle «die Beatlemania in den Schatten».
Grösser geht’s nicht. Aber die Kartonabfuhr kam dann doch.