Bundesgericht heisst Verbot von Plakatwerbung gut
Die Genfer Gemeinde Vernier schreitet mit einem neuen Gesetz voran – die Stadt Bern könnte es ihr gleichtun
Werbung ist ein emotionales Thema. Ob ein Verbot von sexistischer Werbung wie etwa in den Kantonen Waadt und Basel-Stadt, ein Verbot von digitalen Werbescreens in der Stadt Zürich oder ein Verbot von Werbung für ungesunde Produkte, wie es der Bund fordert: Die Wogen gehen jedes Mal hoch. So auch im Kanton Genf. Der Gemeinderat der Stadt Vernier hatte 2022 gleich ein komplettes Verbot von Plakatwerbung verabschiedet. Es umfasst kommerzielle Plakatwerbung, die von öffentlichem Grund aus sichtbar ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Werbung auf öffentlichem oder privatem Grund befindet. Zwar wurden Unterschriften gegen das Reglement gesammelt, doch das Referendum kam nicht zustande. Deshalb haben Unternehmen und Privatpersonen beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht. Sie kritisieren unter anderem einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie.
Das Bundesgericht kam nun aber zum Schluss, das Verbot kommerzieller Plakatwerbung sei «grundrechtskonform». Das Reglement der Stadt Vernier stelle keine verbotene wirtschaftspolitische Massnahme dar; es verfolge auch keine wirtschaftspolitischen Ziele und bezwecke keine Einflussnahme auf den freien Wettbewerb.
Vielmehr gehe es darum, das Ortsbild zu schützen, die Bewegungsfreiheit der Menschen im öffentlichen Raum zu verbessern, «visuelle Verschmutzung» zu bekämpfen und der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich unerwünschter Werbung zu entziehen, wie das Bundesgericht schreibt. Mit diesem Urteil stellt das oberste Gericht der Schweiz umwelt- und sozialpolitische Zielsetzungen an erste Stelle.
Sportplakate weiterhin erlaubt
Markus Ehrle, Präsident des Verbandes Aussenwerbung Schweiz (AWS), ist enttäuscht. Plakate hätten eine zentrale Funktion für die Wirtschaft- und Meinungsfreiheit. Auch würden sie zur wirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen. Nicht nur in Form von Arbeitsplätzen, sondern auch in Form von Einnahmen für die Gemeinde: Von jedem Franken Umsatz in der Aussenwerbeindustrie fliessen in der Schweiz rund 60 Rappen an die öffentliche Hand, wie eine von AWS in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2022 zeigt. «Nun wandert diese Werbung ins Internet ab, und das Geld geht in die Hände grosser Firmen wie Google,Tiktok und Meta», so Ehrle.
Der Gemeindepräsident von Vernier, Martin Staub (SP), relativiert: Schon lange finde ein Grossteil der Werbung im Internet statt, und für die Stadt Vernier bedeute diese neue Regelung lediglich einen Ertragsausfall von 100 000 Franken. «Das macht nicht einmal ein Tausendstel unseres Budgets aus, das ist gut verkraftbar.» Staub ist zufrieden, dass das Bundesgericht den Entscheid des Gemeinderats bestätigt: «Unser Ziel war es, einzig die kommerzielle Werbung zu verbieten, die unsere Strassen seit geraumer Zeit überwuchert», sagt Staub.
Plakate für kulturelle und sportliche Veranstaltungen sind vom Verbot ausgenommen. Doch im Kulturbereich sind es nicht nur Laientheater und Breitensportvereine, die Plakate drucken, es gibt auch kommerzielle Mega-Events. So gehen Schätzungen davon aus, dass die laufende Tour der amerikanischen Musikerin Taylor Swift ihr über 500 Millionen Dollar einbringen wird. Dass Werbung für kulturelle Veranstaltungen – ob gewinnbringend oder nicht – erlaubt bleibt, während kommerzielle Plakate verboten sind, findet Ehrle störend: «Die Definition, was unter Kommerz und was unter Kultur fällt, ist unehrlich.» Insbesondere die ideologische Begründung ärgert ihn. «Wo zieht man die Grenze?»
Natürlich müsse man irgendwo eine Schranke setzen, sagt Gemeindepräsident Staub. «Aber ich glaube, man sieht das zu eng. Bei 95 Prozent der kulturellen Plakate in Vernier handelt es sich um nicht gewinnbringende Veranstaltungen. Wir haben ein klares Interesse daran, ihre Durchführung und Verbreitung zu fördern.» Ein allgemeines Verbot hätte vor allem die kleinen Produktionen benachteiligt. «Plakate für Konzerte von Taylor Swift hatten wir in Vernier zwar noch nie, sie wären somit aber erlaubt», so Staub. Vom Verbot ebenfalls nicht betroffen sind politische Plakate, etwa für Wahlen oder Abstimmungen, da diese durch das kantonale Gesetz und nicht über das Gemeindegesetz von Vernier geregelt sind.
Auch Privatgrund gültig
Für viel Diskussionen sorgte auch der Miteinbezug von Werbeplakaten auf privatem Grund, sofern diese von öffentlichem Grund aus einsehbar sind. «Privatgrundbesitzer werden damit ‹enteignet›. Dass dies im Ermessen der Behörden liegt, ist enttäuschend», sagt Markus Ehrle. Dass dies einen stärkeren Grundrechtseingriff bedeutet, anerkennt auch das Bundesgericht in seinem Urteil. Doch diese Einschränkung sei verhältnismässig: «Ohne Ausweitung auf Privatgrundstücke könnte das Verbot kommerzieller Plakatwerbung auf öffentlichem Grund umgangen und könnten die von der Gemeinde angestrebten Ziele nicht erreicht werden», argumentiert das Gericht. Gemeindepräsident Staub sieht das auch so. Und fügt an: «Dieser Punkt wird als revolutionär angesehen, dabei ist Werbung auf Privateigentum entlang der Schweizer Autobahnen ja auch nicht mehr erlaubt – vermissen tut dies niemand.»
Unerwartet kommt das Urteil nicht. Das Bundesgericht hatte sich kürzlich bereits mit einer entsprechenden Vorlage der Stadt Genf auseinandergesetzt. Die Richter anerkannten, dass eine Gemeindeordnung die Wirtschaftsfreiheit einschränken kann. In Genf kam es aufgrund eines Referendums allerdings zu einer Volksabstimmung. Im März letzten Jahres sagten 51,9 Prozent der Genfer Nein zum Plakatwerbeverbot.Vernier ist somit derzeit die einzige Gemeinde, die ein entsprechendes Verbot kennt. Derzeit in Ausarbeitung ist aber eine Vorlage in der Stadt Bern: Im Februar hatte der Stadtrat mit 30 gegen 29 Stimmen bei 11 Enthaltungen eine Motion der Alternativen Linken gutgeheissen, die kommerzielle Werbung im Aussenraum verbieten will. Nun muss die Stadtregierung einen Vorschlag ausarbeiten, wie der Vorstoss umgesetzt werden könnte.