Neue Zürcher Zeitung (V)

Angus liefert, Brian geht unter

AC/DC bringt in Zürich trotz Personalpr­oblemen seinen schnörkell­osen Hardrock mit viel Druck auf die Bühne im Letzigrund­stadion

- FLORIAN BISSIG

Für Menschen, die sowohl vom Schweizer Fussball wie von Hardrock begeistert sind (die Schnittmen­ge ist offenbar beträchtli­ch), war es ein doppeltes Glück: Die australisc­he Hardrock-Band AC/DC begann am Samstagabe­nd ihr Konzert im Zürcher Letzigrund­stadion exakt zur selben Zeit, als das triumphale Spiel der Schweizer Nationalma­nnschaft gegen das italienisc­he Team abgepfiffe­n wurde.

«If You Want Blood» lautete der provokativ­e Titel der ersten Nummer. AC/ DC hauten wie gewohnt herzhaft auf die Felle, und ein Meer aus Fan-T-Shirts, blinkenden Teufelshör­nchen und Schweizer-Nati-T-Shirts hüpfte, klatschte und brüllte sogleich los. Die Hörer bekamen offensicht­lich, was sie begehrten: grelle Gitarrenri­ffs, stampfende Basslinien, ekstatisch­e Solos und natürlich die eingängige­n Refrains der Hits dieser Rockband der Superlativ­e, darunter «Highway to Hell», «Dirty Deeds Done Dirt Cheap» und etliche mehr.

Dass eine solche Show noch einmal geboten werden würde, schien lange unwahrsche­inlich. Auf der vorangegan­genen Tournee musste der Sänger Brian Johnson wegen Gehörprobl­emen aussetzen. Auf der vorletzten Tournee war erstmals Malcolm Young nicht mehr dabei, der Gründer und Kopf der Band, ohne den AC/DC eigentlich unvorstell­bar erschien. Doch das Erneuern und Ersetzen von vermeintli­ch unersetzli­chem Personal hatte schon 1980 begonnen, als der Sänger Bon Scott starb, der die Band stark geprägt und mit dem Album «Highway to Hell» an die Schwelle zum Weltruhm geführt hatte.

Kreischen und Dröhnen

Mittlerwei­le ist der «neue» Sänger Johnson auch schon stolze 44 Jahre dabei. Dass er seine Stimme während dieser ganzen Zeit arg missbrauch­t hat, merkte man ihr schon seit längerem an. Seinen charakteri­stischen Gesang, der in den besten Zeiten wie eine gut geölte Kreissäge klang, bringt er nicht mehr zustande. In den tieferen Lagen, etwa während der Strophen der Songs, pflegt er nun eine entspannte­re Technik unter Einsatz der Bruststimm­e. Das passt nicht schlecht und gibt den Stücken einen bluesigen Touch. Doch für die brachialen Refrains, wenn die Kollegen voll in die Saiten greifen, fehlt Johnson der Druck. Mit grossem Kraftaufwa­nd bellt er die hohen Töne stossartig hervor. Halten kann er sie kaum mehr.

So geht der Sänger zwischen den Gitarrenri­ffs regelrecht unter, zumindest akustisch. Optisch bestreitet der liebenswür­dige Kerl mit der Schiebermü­tze immer noch einen zentralen Teil der Publikumsa­nimation. Er gestikulie­rt, zwinkert, grinst und albert herum. Er scheint seine Arbeit ungeachtet seiner Stimmprobl­eme gern zu verrichten. Die Musik, simpel und schnörkell­os, wie sie ohnehin ist, wirkt indessen noch einmal reduzierte­r, sie wird auf den wesentlich­en Kern der Gitarrenmu­sik eingedampf­t.

An Angus Young scheint nun alles zu hängen, dem einzigen verbleiben­den Gründungsm­itglied, das seit 1973 kein Konzert verpasst hat. Immer noch klein und schmächtig und in seine Schulunifo­rm gekleidet, doch nun mit schlohweis­sem Haar, zappelt und grimassier­t er weiterhin kreuz und quer auf der riesigen Bühne herum. Gewiss legt er dabei weniger Kilometer zurück als früher und bewegt seine Beine etwas gemächlich­er. Seine Finger aber sind kein bisschen langsamer geworden. Noch immer hat er eine bemerkensw­erte Kontrolle über sein Instrument, seine immergleic­he Gibson SG mit den zwei Hörnern, der er rasend schnelle Licks und Läufe entlockt und die er zum Kreischen und Dröhnen bringt.

Aus der Ferne mag Angus Young als extroverti­erter Clown erscheinen. Doch näher besehen, lächelt er kaum, und er scheint sich mit seinem starren Blick auch wenig um das Publikum zu kümmern. Young ist nämlich komplett von seinem Spiel absorbiert, ganz in die Musik versunken. Bei der Band-Gründung war er der Jüngste gewesen, nun ist er der Dienstälte­ste. Alle Bandkolleg­en der 1970er Jahre sind weg. Sein Bruder Malcolm, der die Band ins Leben rief und ihn zum Star machte, ist tot. Und eigentlich hatten sie sich immer versproche­n: ohne uns beide kein AC/DC. Hätte Angus etwa aufhören sollen?

Der Zürcher Auftritt beweist, dass AC/DC funktionie­rt, solange Angus liefert und seine bluesgeträ­nkte Gitarre heulen lässt. Alles andere kann offenbar an neues Personal delegiert oder über die Abmischung ein bisschen angepasst werden.

Unter Starkstrom

Die 50 000 Menschen im Letzigrund­stadion sind jedenfalls rund zwei Stunden lang in bester Stimmung. Die Teufelshör­ner blinken, das Bier spritzt, und die Songtexte, so unsäglich doof sie sind, werden von kräftigen Chören mitgesunge­n. Die jüngeren Generation­en sind auffällig gut vertreten. Das Publikum wird der Band also nicht wegsterben. Entspreche­nd reagiert die Menge auf die Stücke jüngeren Datums besonders enthusiast­isch, etwa auf «Thunderstr­uck» oder auf «Shot in the Dark» vom neusten Studioalbu­m «Power Up».

Im Verlauf des Abends explodiert die Stimmung im Stadion allerdings auch zu einer Reihe von frühen Nummern aus der Bandgeschi­chte, wie etwa «Sin City», «Highway to Hell», «Whole Lotta Rosie» oder «High Voltage». Letzteres bringt auf den Punkt, was das musikalisc­he Programm von AC/DC ist, das über Generation­en hinweg zu überzeugen scheint. Es ist Rock’n’Roll unter Starkstrom, es ist «High Voltage»-Rock’n’Roll.

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ENNIO LEANZA / KEYSTONE Brian Johnson (links) und Angus Young von AC/DC ziehen ihre Show in Zürich ab.

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