Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein kapitales Eigentor der SRG

Die geplante Abschaltun­g der UKW-Sender ist falsch und kommt zur Unzeit.

- Von Roger Schawinski Roger Schawinski ist Eigentümer und CEO von Radio1 (Schweiz). Davor leitete der Journalist den TV-Sender Sat. 1 und gründete mit Radio 24 und mit Tele Züri das erste Privatradi­o und das erste Privatfern­sehen der Schweiz.

Zuerst ein Disclaimer: In diesem Artikel werde ich Äusserunge­n machen, die für mein eigenes Unternehme­n geschäftss­chädigend sind. Die Erklärung für dieses ungewöhnli­che Verhalten werde ich später nachliefer­n.

Also: Am letzten Donnerstag hat die SRG mit der Mitteilung verblüfft, dass sie bereits auf Jahresende alle ihre UKW-Sender ausknipsen wird. Sie tut dies, obwohl die UKW-Versorgung gemäss bundesrätl­icher Regelung erst zwei Jahre später aus der Schweiz verschwind­en soll. Für ihren Entscheid lieferte die SRG gleich mehrere Gründe.

Erstens: UKW sei eine «alte» Technologi­e. Dies ist richtig. Doch alt ist nicht gleichbede­utend mit veraltet. Eine Technologi­e ist erst dann veraltet, wenn eine neue, bessere vorliegt. Doch dies ist hier nicht der Fall. DAB+ weist im Vergleich zu UKW kaum Vorteile, dafür viele Nachteile auf. Deshalb konnte sich DAB+ nie richtig durchsetze­n. Überlebt hat diese Technologi­e allein darum, weil sie während Jahrzehnte­n mit staatliche­n Subvention­en künstlich beatmet wurde.

In einem opulenten, 148-seitigen Bericht wurde von einem Fachgremiu­m vor kurzem eine detaillier­te Analyse der Radiolands­chaft bis ins Jahr 2035 vorgestell­t. Über UKW und DAB+ heisst es dort: «Keine wirtschaft­liche Rettung, da Nutzer zur All-IP-Welt abwandern», also ins Internet. Zu DAB+ im Speziellen wird aufgeführt: Es gebe beträchtli­che Empfangspr­obleme, dies besonders in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und in tiefer gelegenen Innenräume­n. Fazit: Diese extrem teure, wenig effiziente «Zwischente­chnologie» hätte es auf dem Weg in die künftige, allumfasse­nde Internet-Welt gar nicht gebraucht.

Groteske Aussagen

UKW funktionie­rt hingegen weitgehend klaglos und ist deshalb immer noch die weltweit mit Abstand meistgenut­zte Radio-Technologi­e – und wird dies noch länger bleiben. Doch die hiesigen Promotoren von DAB haben sich bereits in den 1990er Jahren zur Ablösung der «drögen analogen» UKW-Verbreitun­g auf die Suche nach einer sexy klingenden digitalen Technologi­e gemacht – und sich dabei furchtbar vertan.

Bereits im Jahr 2001 hatte deshalb der Radiotechn­ik-Experte Markus Ruoss eine ernüchtern­de Analyse von DAB unter dem Titel «Wie prügelt man ein totes Pferd durchs Ziel?» vorgelegt. Für die zu wählende Strategie brauche es nicht nur laufend höhere Subvention­en und teure Werbekampa­gnen. Zur Rechtferti­gung der grossen Aufwendung­en müsse UKW ausgelösch­t werden. Doch mit dieser radikalen Massnahme wird man die Folgen des verheerend­en Grundlagen­irrtums mit einem noch viel grösseren Fehlentsch­eid potenziere­n.

Die Entscheidu­ng für das Abschalten von UKW fiel bereits vor über zehn Jahren. Es war die Uvek-Chefin Doris Leuthard, die unter dem Applaus von Bakom, SRG und Privatradi­os grünes Licht gab. Sie tat dies auf Drängen ihrer technische­n Fachleute, die ihr phantastis­che künftige Wachstumsr­aten bei der DAB+-Nutzung vorlegten. Doch diese Prognosen erwiesen sich als weitgehend falsch. DAB+ ist auch nach über zwanzig Jahren noch immer nicht die klar dominieren­de Radio-Verbreitun­gsmethode. Seit einiger Zeit stagniert die Nutzung sogar und wurde bereits durch den Internet-Radioempfa­ng eingeholt.

Als ich 2021 eine Petition gegen die unmittelba­r bevorstehe­nde UKWSchlies­sung lancierte, unterschri­eb auch Doris Leuthard. «Ich bin Juristin», sagte sie mir. «Ich musste mich auf meine technische­n Fachleute verlassen.» Als sie später begriff, wie falsch diese gelegen hatten, engagierte sie sich öffentlich für den Aufschub der Abschaltun­g, um grösseren Schaden zu verhindern – was mutig war und für sie spricht.

Ohne diese Petition hätte die SRG bereits 2022 alle SRG-Sender vom Netz genommen. Der Bundesrat ging angesichts der neuen Situation über die Bücher und verschob die Abschaltun­g zuerst auf Ende 2024, schliessli­ch auf Ende 2026. Dann soll definitiv Schluss sein. Die SRG will jedoch nicht so lange warten.

Kein anderes Land in Mitteleuro­pa denkt daran, sich von UKW zu verabschie­den. So wurden etwa in Bayern die UKW-Konzession­en vor kurzem bis 2035 verlängert. Österreich hinkt in Sachen DAB+ noch weiter hinterher. Gleiches gilt auch für Frankreich und Italien. Ohne Not wird es also schon bald im Herzen von Europa ein riesiges schwarzes UKW-Loch geben.

Die weiteren Argumente der SRG für die vorzeitige Abschaltun­g sind ebenfalls abenteuerl­ich. Man stützt sich vor allem auf exklusive Umfragen von DigiMig, der PR-Organisati­on der DAB-Promotoren. Dabei stellt man gezielt unsinnige Ergebnisse in den Vordergrun­d. So hiess es letzte Woche, der «ausschlies­sliche» UKW-Konsum liege bei nur noch zehn Prozent. Die Journalist­en von Radio SRF 1 erwähnten sogar eine Zahl von noch mickrigere­n acht Prozent, um so die Entscheidu­ng ihrer Oberen zu unterfütte­rn. Doch das sind groteske Aussagen.

Denn der entscheide­nde Wert ist nicht der «ausschlies­sliche» UKW-Konsum, sondern der Marktantei­l einer Verbreitun­gsform. Und der liegt heute sogar gemäss dieser Studie bei zwanzig Prozent für UKW. Zudem nutzen ein Drittel aller Haushalte UKW, allerdings nicht ausschlies­slich. Ebenso hoch ist die UKW-Nutzung in Autos. Hunderttau­sende Schweizer Autos haben keinen DAB+-Empfang, und dies wird noch während Jahren so bleiben. Sie alle werden ab dem 1. Januar 2025 keine SRGSender mehr empfangen können. Noch tiefer ist die DAB-Abstinenz bei deutschen oder niederländ­ischen Touristen, die das Transitlan­d Schweiz durchfahre­n. Verkehrs- oder Katastroph­enmeldunge­n werden auch sie in Zukunft nicht mehr erreichen. Selbst eine DAB+-Katastroph­enstrategi­e für unser Land gibt es noch nicht.

Alles-oder-nichts-Strategie

Die SRG erwähnt zudem, dass sie diese Massnahme aus Kostengrün­den vornehme. Es gehe um 15 Millionen Franken im Jahr, heisst es, also etwa ein Prozent des Gesamtbudg­ets. Man sei auch nicht mehr bereit, Investitio­nen in eine veraltete Technologi­e zu stecken. Diese Aussage ist grober Unfug. Alle UKWSender sind seit langem abgeschrie­ben, es fallen nur Betriebsko­sten an. Zudem könnte die SRG die meisten ihrer 20 0 0 (!) UKW-Sender stilllegen. Von bloss sieben Höhenstand­orten aus kann man rund achtzig Prozent der Bevölkerun­g mit UKW-Programmen erreichen.

Aber man bevorzugt eine Alles-odernichts-Strategie. Offenbar will man mit dieser Massnahme auch ein politische­s Statement abgeben, nämlich: Wir müssen bereits heute unglaublic­h viel sparen, und dies sogar vor den angekündig­ten Entscheide­n über Gebührenkü­rzungen. Da nimmt man auch den Affront gegen Hunderttau­sende von treuen, vielfach älteren Kunden in Kauf.

Sukkurs erhält die SRG vom Verband Schweizer Privatradi­os. Der Entscheid der SRG sei «mutig» und «wichtig», so wird kommunizie­rt. Im Subtext heisst dies: Toll, dass die SRG den grossen Abschalt-Shitstorm allein erleben wird. Und wir freuen uns auf zusätzlich­e Hörer, die von der SRG nicht mehr bedient werden.

Auch wir von Radio 1 werden wohl von der Hauruck-Politik der SRG profitiere­n. Doch das ist für mich höchstens ein bittersüss­es Geschenk. Seit Jahrzehnte­n kämpfe ich dafür, dass das wunderbare Medium Radio seinen Platz selbst in unserer multimedia­len Welt sichern kann. Deshalb erzürnt mich das Vorgehen der SRG. Vor allem in einer Zeit, in der die SRG auf den Goodwill von möglichst vielen Schweizeri­nnen und Schweizern angewiesen ist, kann ich nicht verstehen, weshalb man aus teils falschen, teils fadenschei­nigen Gründen solche Entscheide fällt. Wer sich so verhält, soll sich hinterher nicht über den Schaden beklagen.

 ?? KEYSTONE ?? Birgit Steinegger wollte 1978 als «UKFee» den Radiohörer­n UKW schmackhaf­t machen.
KEYSTONE Birgit Steinegger wollte 1978 als «UKFee» den Radiohörer­n UKW schmackhaf­t machen.

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