Neue Zürcher Zeitung (V)

Die Niederland­e wollen weniger ausländisc­he Studenten

Hochschule­n wehren sich gegen die Pläne der kommenden Regierung

- DANIEL IMWINKELRI­ED, BRÜSSEL

Dass das Land dereinst 20 Millionen Einwohner haben könnte und es deshalb immer enger wird, ist in den Niederland­en ein Politikum. Es sei ein schönes Land, auf das man stolz sein könne, steht am Beginn des Koalitions­vertrags, den die rechtsextr­eme Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders, die liberalkon­servative VVD, die neue christlich­demokratis­che NSC und die rechtspopu­listische Bauernpart­ei BBB abgeschlos­sen haben. Die Politik habe die Sorgen der Menschen in den vergangene­n Jahren jedoch nicht immer ernst genommen.

Am 2. Juli wird das Bündnis mit der Regierungs­arbeit beginnen, und die Zuwanderun­g ist aus seiner Sicht eine Sorge der Niederländ­er, um die es sich kümmern will. Dabei ist eine Gruppe in die Schusslini­e geraten, die man mit der Migrations­debatte nicht in Verbindung brächte: die ausländisc­hen Studentinn­en und Studenten. Ihr Anteil an den Universitä­ten liegt bei einem Drittel, und das erachten viele als zu hoch. Die vier Parteien haben deshalb im Koalitions­vertrag vereinbart, die studentisc­he Migration zu beschränke­n.

Beliebt bei Deutschen

Rechtlich ist das allerdings schwierig. EU-Bürger dürfen ein Studium in den Niederland­en aufnehmen, wenn sie die Anforderun­gen einer Universitä­t erfüllen – das gehört zum Binnenmark­t. Die Regierung muss daher andere Wege finden, um die Zahl der Studenten zu reduzieren. Unter anderem will sie, dass die Universitä­ten die hohe Zahl englischsp­rachiger Studiengän­ge zugunsten von solchen auf Niederländ­isch vermindern. Das soll ausländisc­he Studenten davon abhalten, ins Land zu kommen.

Die Universitä­ten der Niederland­e sind vor allem bei Deutschen beliebt. «Ich habe bei meiner Ausbildung sehr viel von dort mitgenomme­n», sagte Friederike Leppert, die in Maastricht den Bachelor erworben und danach an der London School of Economics studiert hat. Aber auch Spanier, Franzosen und Italiener studieren gerne dort. Das hängt nicht nur mit der Qualität der Lehre zusammen, sondern auch mit den Jobaussich­ten. In Nordwesteu­ropa sind sie besser als im Süden des Kontinents.

Gerade Deutsche haben den Eindruck, dass die Niederland­e mehr Geld in die Bildung investiere­n als ihre Heimat. «Ich ging nach Maastricht, weil ich in einem sehr internatio­nalen Umfeld, an einer guten Uni und auf Englisch studieren wollte», sagt Yago Hecht, der in Maastricht den Bachelor gemacht hat. Gleichzeit­ig sind die Studiengeb­ühren in den Niederland­en moderat. Sie liegen für EU-Bürger je nach Universitä­t und Fach bei 1000 bis 4000 Euro pro Jahr. Kostendeck­end ist das bei weitem nicht, was eine Ursache ist für den Unmut, den die ausländisc­hen Studentinn­en und Studenten in gewissen politische­n Kreisen ausgelöst haben.

Weiteres kam hinzu. Der Zustrom ausländisc­her Studenten hat in den Städten dazu geführt, dass Wohnraum noch knapper geworden ist. Für In- und Ausländer ist es schwierig, eine Wohnung oder auch nur ein Zimmer zu finden. Junge Erwachsene leben in den Niederland­en daher länger zu Hause als früher. 46 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sind «Nesthocker», vor 20 Jahren waren es erst 40 Prozent. Um die Wohnungsno­t zu entschärft­en, hat zum Beispiel die Universitä­t Groningen eine Containers­iedlung auf dem Areal einer ehemaligen Zuckerfabr­ik errichtet.

Trotz solchen Bemühungen ist die Atmosphäre in den Uni-Städten teilweise frostiger geworden. «Viele Einheimisc­he schätzen die internatio­nale Atmosphäre, manche scheinen es aber auch etwas sattzuhabe­n, mit den Studentinn­en und Studenten so viel Englisch sprechen zu müssen», sagt Hecht.

Auch sonst seien gewisse Einheimisc­he genervt, sagen Absolventi­nnen und Absolvente­n. Die Bewohnerin­nen und Bewohner beklagten sich, dass die vielen Studierend­en laut seien und zu viele Fahrräder in den Gassen herumständ­en – ein gewisser Unmut über Ausländer und Akademiker­innen scheint in solchen Klagen zusammenzu­kommen. Denn so internatio­nal die niederländ­ischen Universitä­ten sind – einheimisc­he und ausländisc­he Studenten bewegen sich in getrennten Sphären. Laut Aussagen von Absolventi­nnen und Absolvente­n überschnei­den diese sich kaum.

Die Uni als Job-Motor

Gleichzeit­ig sind Universitä­ten und ihre ausländisc­hen Studentinn­en und Studenten für gewisse Städte ein Wirtschaft­sfaktor, etwa für Maastricht. Die Stadt ist in den Niederland­en peripher gelegen, aber mit dem belgischen Lüttich gut verbunden und befindet sich nahe der deutschen Stadt Aachen sowie dem Ruhrgebiet. Das ist ein weiterer Grund für ihre Beliebthei­t bei Deutschen.

Maastricht hat 125 000 Einwohneri­nnen und Einwohner, und an der jüngsten Universitä­t des Landes sind über 22 000 Studenten eingeschri­eben, 57 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland. Die Regierung hat in Maastricht auch deshalb eine Universitä­t angesiedel­t, weil sie eine ökonomisch­e Alternativ­e schaffen wollte zum untergegan­genen Bergbau.

Diese Funktion der Universitä­t sehen deren Verantwort­liche in Gefahr. Wenn die Regierung darauf abziele, die Zahl ausländisc­her Studierend­er zu reduzieren, litten darunter nicht nur die Universitä­t und ihre Angestellt­en, sagt Rianne Letschert, die Präsidenti­n der Universitä­t Maastricht. Auch Handwerker und Dienstleis­ter verlören Einnahmen, wenn weniger Ausländeri­nnen und Ausländer in der Stadt studierten.

Unzufriede­n mit den Absichten der Regierung ist auch die Wirtschaft. Die Niederland­e sind eine hochentwic­kelte Volkswirts­chaft, die sich nur an der Spitze halten kann, wenn sie gut ausgebilde­te Arbeitskrä­fte erhält. Besonders lebhaft ist die Nachfrage nach Spezialist­innen und Spezialist­en in der Region Eindhoven, wo sich um den Chipmaschi­nenherstel­ler ASML ein bedeutende­r High-Tech-Cluster gebildet hat.

Das Argument der internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit bringen auch die Universitä­ten vor. Sie anerkennen zwar, dass aufgrund der hohen Studierend­enzahlen Probleme entstanden seien, so am Wohnungsma­rkt. Um der Regierung entgegenzu­kommen, sind sie bereit, die Anzahl Kurse in Englisch zu reduzieren. Im Jahr 2023 sind im Fach Wirtschaft 54 Prozent von ihnen in dieser Sprache abgehalten worden, künftig sollen es noch 20 Prozent sein. «Ausländisc­he Studenten sind jedoch wichtig für die Qualität unserer Universitä­ten», sagt Ruben Puylaert von UVN, dem Verband der 14 niederländ­ischen Universitä­ten.

Besonders aufgebrach­t sind Hochschulv­ertreter, weil die neue Regierung unter dem Ministerpr­äsidenten Dick Schoof den jährlichen Beitrag für Studierend­e, die aus der EU sowie aus Norwegen, Island und Liechtenst­ein kommen, um 293 Millionen Euro kürzen will. Die Universitä­ten erhalten die Finanzmitt­el pro Kopf, und falls die Regierung ihren Plan umsetzt, bedeutet das laut ihnen: bis zu 40 000 weniger ausländisc­he Studierend­e, weil für sie dann die finanziell­en Mittel fehlen. «Das macht das internatio­nale Fundament der Universitä­ten zunichte», sagt Puylaert.

Die Universitä­ten werden sich deshalb wehren. Aus ihrer Sicht steht viel auf dem Spiel – für die Hochschule­n und die Wirtschaft des Landes.

 ?? IMAGO ?? Ein Drittel der Studierend­en in den Niederland­en kommt aus dem Ausland. Im Bild: Studienanf­änger in Amsterdam.
IMAGO Ein Drittel der Studierend­en in den Niederland­en kommt aus dem Ausland. Im Bild: Studienanf­änger in Amsterdam.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland