Neue Zürcher Zeitung (V)

Führungslo­gik der Bundesverw­altung

- von MARCO BROGINI Marco Brogini ist Unternehme­nsberater und Senior Partner Valion AG.

In letzter Zeit äusserte sich Bundesräti­n Karin Keller-Sutter wenig euphorisch bezüglich des Zustandes der Bundesfina­nzen. Das strukturel­le Defizit betrage derzeit 3 bis 4 Milliarden Franken. «Strukturel­les Defizit» bedeutet dabei, dass es sich um einen systemisch­en und nicht konjunktur­ell bedingten Fehlbetrag handelt. Dieser muss ausgeglich­en werden, will man die Schuldenbr­emse respektier­en und damit auch die Verfassung einhalten. Das Problem: In Zeiten, in denen der Wandel zur Konstante wird, arbeitet die Bundesverw­altung ohne griffige, politisch strategisc­he Steuerung mit den Strukturen von gestern an den Problemen von morgen – und dies bei kontinuier­lichem Personalwa­chstum.

Glaubt man an die Logik, dass mit Steuergeld­ern abgegolten­e Leistungen immer mit einem Ziel und einer federführe­nden Verwaltung­seinheit verknüpft werden sollten, dann wird jeder Versuch, das strukturel­le Defizit in den Griff zu bekommen, eine Anpassung der Führungslo­gik der Bundesverw­altung nach sich ziehen müssen. Zwei Hebel sind zu berücksich­tigen:

Erstens sollte der Bundesrat eine Grundsatzd­iskussion darüber führen, ob die Bundesverw­altung gewillt ist, die heute sehr schwammige Legislatur­planung in eine langfristi­ge, politisch-strategisc­he Steuerung der Amtsgeschä­fte überzuführ­en. Es braucht klare Verantwort­lichkeiten für die Departemen­te und die einzelnen Ämter. Der derzeit gelebte Zustand, in welchem zwar offiziell eine strategisc­h-politische Steuerung gewollt ist, in der Praxis jedoch sehr facettenre­ich interpreti­ert werden kann, führt zu einer Scheinsich­erheit und kann nicht zu einer Priorisier­ung von Finanzmitt­eln verwendet werden. Der Bundesrat sollte zweitens über eine optimierte organisato­rische Ausrichtun­g der Bundesverw­altung reflektier­en. Heute fehlt für wichtige gesellscha­ftliche Schlüsselt­hemen eine integrale Problemlös­ungs-Verantwort­ung. So funktionie­rt die Bundesverw­altung heute einzelgesc­häftsbezog­en, sozusagen als fragmentie­rte Expertenge­meinschaft. Knapp 40 000 Angestellt­e sind grundsätzl­ich sektoriell ausgericht­et und werden mehrheitli­ch als Fachspezia­listen zur Lösung von Partialfra­gestellung­en eingesetzt.

Konkretisi­ert am Beispiel der ungebremst­en Kostenentw­icklung im Gesundheit­swesen, bedürfte es gemäss unserer Argumentat­ionslogik eines Bundesamte­s, das sich ausschlies­slich um die finanziell­en Spielregel­n und deren Durchsetzu­ng kümmert. Die zugeteilte, historisch gewachsene Doppelroll­e des Bundesamte­s für Gesundheit (BAG) – zwischen Übernahme der Verantwort­ung für die Gesundheit der Bevölkerun­g einerseits und dem Kostenmana­gement anderersei­ts – ist mit einem qualvollen Spagat vergleichb­ar, der keinen wirkungsvo­llen Fokus auf Kosteneind­ämmung ermöglicht. Zur Optimierun­g der organisato­rischen Ausrichtun­g der Bundesverw­altung müssten auch Amtsstrukt­uren abgebaut werden. Brauchen wir auf Amtsebene ein «Bundesamt für Wohnungswe­sen (BWO)», oder liesse sich eine integrale Raumentwic­klung über ein rekonfigur­iertes «Bundesamt für Raumentwic­klung (ARE)» steuern? Könnte vor dem Hintergrun­d der fortschrei­tenden Digitalisi­erung ein rekonfigur­iertes «Bundesamt für Informatik und Technologi­e (BIT)» nicht auch die Aufgabenst­ellung des Bundesarch­ivs (BAR) übernehmen?

Das Grundübel für das gegenwärti­ge finanziell­e Ungleichge­wicht liegt darin begründet, dass die Bundesverw­altung nicht gewillt oder nicht befähigt ist, aus dieser sektoriell und am Einzelfall orientiert­en Entscheidu­ngslogik auszubrech­en. Bewusst in Kauf genommen wird damit die Überforder­ung im Umgang mit der Ausdehnung bzw. Einengung des eigenen Aktionskre­ises. Die Kombinatio­n von Starrheit und Unverbindl­ichkeit der Organisati­onsstruktu­ren der Bundesverw­altung führt dazu, dass für neue Aufgaben instinktiv zusätzlich­es Personal beantragt wird. Zugleich wird jeder Versuch, Aktivitäte­n und Ressourcen zu reduzieren, zur Daseinsber­echtigung aller Beteiligte­n und zum Politikum emporstili­siert. Eine erfolgreic­he Reduktion des strukturel­len Defizits führt dementspre­chend nur über den Weg, die Führungslo­gik der Bundesverw­altung grundsätzl­ich anzupassen.

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