Führungslogik der Bundesverwaltung
In letzter Zeit äusserte sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter wenig euphorisch bezüglich des Zustandes der Bundesfinanzen. Das strukturelle Defizit betrage derzeit 3 bis 4 Milliarden Franken. «Strukturelles Defizit» bedeutet dabei, dass es sich um einen systemischen und nicht konjunkturell bedingten Fehlbetrag handelt. Dieser muss ausgeglichen werden, will man die Schuldenbremse respektieren und damit auch die Verfassung einhalten. Das Problem: In Zeiten, in denen der Wandel zur Konstante wird, arbeitet die Bundesverwaltung ohne griffige, politisch strategische Steuerung mit den Strukturen von gestern an den Problemen von morgen – und dies bei kontinuierlichem Personalwachstum.
Glaubt man an die Logik, dass mit Steuergeldern abgegoltene Leistungen immer mit einem Ziel und einer federführenden Verwaltungseinheit verknüpft werden sollten, dann wird jeder Versuch, das strukturelle Defizit in den Griff zu bekommen, eine Anpassung der Führungslogik der Bundesverwaltung nach sich ziehen müssen. Zwei Hebel sind zu berücksichtigen:
Erstens sollte der Bundesrat eine Grundsatzdiskussion darüber führen, ob die Bundesverwaltung gewillt ist, die heute sehr schwammige Legislaturplanung in eine langfristige, politisch-strategische Steuerung der Amtsgeschäfte überzuführen. Es braucht klare Verantwortlichkeiten für die Departemente und die einzelnen Ämter. Der derzeit gelebte Zustand, in welchem zwar offiziell eine strategisch-politische Steuerung gewollt ist, in der Praxis jedoch sehr facettenreich interpretiert werden kann, führt zu einer Scheinsicherheit und kann nicht zu einer Priorisierung von Finanzmitteln verwendet werden. Der Bundesrat sollte zweitens über eine optimierte organisatorische Ausrichtung der Bundesverwaltung reflektieren. Heute fehlt für wichtige gesellschaftliche Schlüsselthemen eine integrale Problemlösungs-Verantwortung. So funktioniert die Bundesverwaltung heute einzelgeschäftsbezogen, sozusagen als fragmentierte Expertengemeinschaft. Knapp 40 000 Angestellte sind grundsätzlich sektoriell ausgerichtet und werden mehrheitlich als Fachspezialisten zur Lösung von Partialfragestellungen eingesetzt.
Konkretisiert am Beispiel der ungebremsten Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, bedürfte es gemäss unserer Argumentationslogik eines Bundesamtes, das sich ausschliesslich um die finanziellen Spielregeln und deren Durchsetzung kümmert. Die zugeteilte, historisch gewachsene Doppelrolle des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) – zwischen Übernahme der Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung einerseits und dem Kostenmanagement andererseits – ist mit einem qualvollen Spagat vergleichbar, der keinen wirkungsvollen Fokus auf Kosteneindämmung ermöglicht. Zur Optimierung der organisatorischen Ausrichtung der Bundesverwaltung müssten auch Amtsstrukturen abgebaut werden. Brauchen wir auf Amtsebene ein «Bundesamt für Wohnungswesen (BWO)», oder liesse sich eine integrale Raumentwicklung über ein rekonfiguriertes «Bundesamt für Raumentwicklung (ARE)» steuern? Könnte vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung ein rekonfiguriertes «Bundesamt für Informatik und Technologie (BIT)» nicht auch die Aufgabenstellung des Bundesarchivs (BAR) übernehmen?
Das Grundübel für das gegenwärtige finanzielle Ungleichgewicht liegt darin begründet, dass die Bundesverwaltung nicht gewillt oder nicht befähigt ist, aus dieser sektoriell und am Einzelfall orientierten Entscheidungslogik auszubrechen. Bewusst in Kauf genommen wird damit die Überforderung im Umgang mit der Ausdehnung bzw. Einengung des eigenen Aktionskreises. Die Kombination von Starrheit und Unverbindlichkeit der Organisationsstrukturen der Bundesverwaltung führt dazu, dass für neue Aufgaben instinktiv zusätzliches Personal beantragt wird. Zugleich wird jeder Versuch, Aktivitäten und Ressourcen zu reduzieren, zur Daseinsberechtigung aller Beteiligten und zum Politikum emporstilisiert. Eine erfolgreiche Reduktion des strukturellen Defizits führt dementsprechend nur über den Weg, die Führungslogik der Bundesverwaltung grundsätzlich anzupassen.