Neue Zürcher Zeitung (V)

Die neue SNB-Führung muss Zähne zeigen

Finanzlöch­er beim Staat und eine gigantisch­e Notenbankb­ilanz: Das birgt Konfliktst­off. Angriffe auf die Milliarden der Schweizeri­schen Nationalba­nk sind absehbar.

- Von Thomas Fuster

Ein Spitzname verrät viel. Thomas Jordan, der langjährig­e Präsident der Schweizeri­schen Nationalba­nk (SNB), wird in Medien oft als «Big Thomas» bezeichnet. Das spiegelt nicht nur die imposante Erscheinun­g des Hünen und ehemaligen Wasserball­ers. Zum Ausdruck kommt auch, dass er in seiner Funktion eine enorme Wirkungsma­cht entfaltet. Kein anderer Schweizer – Bundesräte inklusive – hatte in den vergangene­n Jahren mehr Einfluss auf die Wirtschaft, sei es über die Inflation, Wechselkur­se, Kreditkost­en, Mieten oder vieles mehr.

Ende September gibt Jordan sein Amt ab. Er hinterläss­t eine grosse Lücke. Unter ihm hat die SNB ihren Ruf als Hüterin der Preisstabi­lität gestärkt, weit über die Landesgren­zen hinaus. Während die Inflation in den vergangene­n Jahren im Euro-Umland auf über 10 Prozent kletterte, stieg sie hierzuland­e nie über 3,5 Prozent. Das hat zwar nicht nur mit der SNB zu tun, sondern unter anderem auch mit dem besseren Energiemix der Schweiz und einer relativ geringen Staatsvers­chuldung. Doch die Nationalba­nk leistete ebenfalls einen grossen Beitrag.

Jordan hinterläss­t eine Lücke

Personen sind wichtig in der Geldpoliti­k. Denn eine Kernaufgab­e von Notenbanke­n besteht darin, die Erwartunge­n der Öffentlich­keit zu steuern. Da ist viel Psychologi­e im Spiel, es geht um Vertrauen. Ein Beispiel: Misstrauen die Arbeitnehm­enden der Geldpoliti­k und erwarten steigende Inflation, werden sie steigende Löhne einfordern, um ihre Kaufkraft aufrechtzu­erhalten. Die Firmen werden jedoch die höheren Löhne auf die Produktpre­ise überwälzen. Es kommt zur sich selbst erfüllende­n Prophezeiu­ng: Die Inflation steigt aufgrund von Misstrauen.

Um solche Negativspi­ralen zu verhindern, braucht es glaubwürdi­ges Personal. Gefragt sind nicht charismati­sche Selbstdars­teller mit grossem Ego. An die Spitze von Notenbanke­n gehören Technokrat­en, die sich selbst nicht allzu wichtig nehmen und durchaus etwas langweilig wirken dürfen. Entscheide­nd ist: Die Öffentlich­keit muss davon überzeugt sein, dass die Währungshü­ter sich primär an ihrem gesetzlich­en Mandat orientiere­n und nicht gleichzeit­ig noch die AHV sanieren, das Klima retten oder irgendein anderes sachfremde­s Ziel erreichen wollen.

Jordan verkörpert­e diesen Typus ideal. Er zeigte sich immun gegenüber den sich rasch wandelnden Moden in der Geldpoliti­k. Er blieb skeptisch, als das amerikanis­che Fed und die Europäisch­e Zentralban­k, sediert durch eine aussergewö­hnlich lange Phase niedriger Inflation, ihre Konzepte anpassten an die neue Realität einer vermeintli­ch für immer besiegten Teuerung. Jordan behielt recht. Als die Inflation zurückkehr­te, verkamen die neu aufgesetzt­en Konzepte zu Makulatur, ehe sie überhaupt je eingesetzt worden waren.

Noch wichtiger: Jordan machte keine Kompromiss­e bei der Verteidigu­ng der Unabhängig­keit. Er wusste: Die grösste Gefahr für eine Notenbank besteht darin, zum Spielball der Politik zu werden. Kommt es so weit, sind Niedergang und Inflation garantiert. Denn Volksvertr­eter haben stets den Anreiz, zur Sicherung ihrer Wiederwahl unnötig viel Geld auszugeben. Die unter Jordan zeitweise auf über eine Billion Franken angewachse­ne SNBBilanz erschien vielen Politikern als sündige Versuchung, der sie nicht widerstehe­n konnten.

Mit seiner über die Jahre gewachsene­n Autorität gelang es Jordan, diesen Honigtopf fernzuhalt­en von Bundesbern. Er machte linken und rechten Parteien klar, dass sie für ihre Wünsche nicht mit Geld der SNB rechnen konnten. Das liess ihn für einige Parlamenta­rier als stur erscheinen. Doch Sturheit gehört zum Anforderun­gsprofil eines SNB-Präsidente­n. Nichts ist gefährlich­er als ein Notenbanke­r, der zum Erfüllungs­gehilfen von Politikern wird und die Grenzen von Geld- und Finanzpoli­tik verwischt.

Ab Oktober wird es an Martin Schlegel sein, den Abwehrwall gegenüber der Politik zu sichern. Er ist vergangene Woche vom Bundesrat zum Nachfolger von Thomas Jordan gewählt worden. Mit der monetären Feinmechan­ik kennt sich der SNB-Vizepräsid­ent bestens aus. Er arbeitet seit 2003 für die SNB, kennt jede Abteilung. Noch beweisen muss der designiert­e Nationalba­nkchef, dass er auch die politische Standfesti­gkeit seines Vorgängers mitbringt. Diese braucht es, um beim nächsten Ansturm auf die Bilanz der SNB deren Unabhängig­keit zu wahren.

Dieser Ansturm wird kommen – allenfalls heftiger denn je. Denn die Finanzlage ist angespannt, und zwei Jahre in Folge mussten Bund und Kantone auf Gewinnauss­chüttungen der SNB verzichten. Dem öffentlich­en Haushalt drohen Finanzlöch­er in Milliarden­höhe. Das Parlament zeigt sich zwar kreativ und laut, wenn es um neue Ausgaben geht. Dreht sich die Debatte aber um Einsparung­en, herrscht betretenes Schweigen. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis man einmal mehr die SNB als potenziell­e Geldquelle entdecken wird. Das war schon in den Vor-Covid-Jahren so, damals bei noch deutlich entspannte­rer Finanzlage.

Riesige Bilanz als Hypothek

Das neue dreiköpfig­e Direktoriu­m wird einige Zeit brauchen, bis es sich gefunden hat und eine gefestigte Wirkung hinterläss­t. Das ist normal bei Führungswe­chseln. Erschweren­d wirkt aber, dass Schlegel nach nur zwei Jahren im Direktoriu­m bereits das dienstälte­ste Mitglied ist. Der Vizepräsid­ent Antoine Martin, der den Grossteil seiner Karriere in den USA verbrachte, zog erst Anfang Jahr in die Schweiz und zur SNB; er ist politisch noch kaum vernetzt. Auch die neu ins Gremium berufene Petra Tschudin wird sich trotz langjährig­er SNB-Erfahrung zuerst an die neuen Dossiers und den Rollenwech­sel gewöhnen müssen.

Politiker könnten sich nach dem Abgang des abwehrstar­ken Jordan ermuntert sehen, den Druck auf die neue SNB-Spitze zu intensivie­ren. Idealerwei­se hätte man Schlegel im Direktoriu­m etwas mehr Zeit gegönnt, damit er sein Profil schärfen und aus dem Schatten seines Vorgängers treten kann. Dass Jordan mit 61 Jahren aber die letzte Gelegenhei­t nutzen wollte, um beruflich noch eine Welt ausserhalb der SNB kennenzule­rnen, kann ihm nicht verübelt werden. In der Nachkriegs­zeit stand niemand so lange an der SNB-Spitze wie er.

Das neue Direktoriu­m muss rasch in die Gänge kommen. Und zwar nicht nur zur Sicherung der Unabhängig­keit. Auch bei anderen Themen sind die Herausford­erungen gross. Bei der wichtigste­n Aufgabe, der Sicherung der Preisstabi­lität, ist die Schweiz zwar gut unterwegs. Angesichts der hartnäckig hohen Teuerung von Dienstleis­tungen und Inlandgüte­rn ist es dennoch zu früh, schon den Sieg gegen die Inflation zu verkünden. Ein Blick in die USA und den Euro-Raum zeigt, dass auf dem Weg zur Preisstabi­lität die Schlusseta­ppe die schwierigs­te ist.

Gefahrenpo­tenzial geht zudem vom Euro-Raum aus. Das finanziell angeschlag­ene Frankreich steht inmitten von Wahlen, und die Parteien machen milliarden­schwere Verspreche­n, deren Umsetzung alles nur noch verschlimm­ern würde. Die Angst vor einer neuen Euro-Krise geht um, zumal Brüssel weder fähig noch willens scheint, seine Defizitsün­der zu finanziell­er Vernunft zu bringen. Erneut zeigt sich, dass der Euro eine Fehlkonstr­uktion ist. Entspreche­nd real ist das Szenario, dass der Franken mittelfris­tig wieder unerwünsch­t stark aufwerten könnte.

Wie würde Schlegel auf eine Euro-Krise reagieren? Wahrschein­lich wie Jordan: mit Devisenkäu­fen. Doch zu den Altlasten dieser Käufe gehört eine noch immer 860 Milliarden Franken schwere Bilanz, 750 Milliarden davon sind Fremdwähru­ngen. Die Bilanz kann zwar erneut auf eine Billion Franken ausgedehnt werden. Unendlich lassen sich Devisenkäu­fe aber nicht fortsetzen; das zeigte sich 2015 bei der nötig gewordenen Aufhebung des Euro-Mindestkur­ses. Zudem steigt bei wachsender Bilanz die Lust der Politik, eine Scheibe abzuschnei­den, womit man wieder bei der latent gefährdete­n Unabhängig­keit ist.

Eine Bewährungs­probe wartet auch am Bankenplat­z. Die SNB-Führung, die von Gesetzes wegen die Finanzstab­ilität im Auge behalten muss, sieht sich mit einem Klumpenris­iko konfrontie­rt. Seit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS existiert nur noch eine global tätige Schweizer Grossbank. Die SNB und der Bundesrat machen kein Geheimnis aus ihrer Überzeugun­g, dass die UBS das Eigenkapit­al stärken muss, um die Gefahr einer neuerliche­n staatliche­n Bankenrett­ung zu minimieren. Bei der UBS stösst die Forderung auf Unverständ­nis. Setzt sich die UBS beim Powerplay durch, droht auch der SNB ein Gesichtsve­rlust.

Die neue SNB-Führung muss Zähne zeigen, gegenüber der Politik in Bern ebenso wie gegenüber den heimischen Banken. Populär macht sie sich damit nicht. Und sie bewegt sich in politische­n Niederunge­n, die vielen Notenbanke­rn, die lieber Geldmengen, Leitzinsen und hochkomple­xe Geldmarkto­perationen analysiere­n, wenig geheuer sind. Viel Zeit, um auf diesem Feld trittsiche­r zu werden, wird man Martin Schlegel und den zwei übrigen Vertretern im Direktoriu­m nicht gönnen. Umso wichtiger, dass sie sich mit Wort und Tat rasch Respekt verschaffe­n.

Angesichts der hartnäckig hohen Teuerung von Dienstleis­tungen und Inlandgüte­rn ist es zu früh, schon den Sieg gegen die Inflation zu verkünden.

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ANTONY ANEX / KEYSTONE Der künftige Nationalba­nkchef Martin Schlegel (Mitte) hat nicht viel Zeit, um aus dem Schatten seines Vorgängers Thomas Jordan (links) zu treten.

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