Neue Zürcher Zeitung (V)

Mann vergeht sich an seiner Tochter und deren Freundin

Serbischer Familienva­ter wegen sexueller Übergriffe zu einer Freiheitss­trafe von 5 Jahren sowie 10 Jahren Landesverw­eis verurteilt

- TOM FELBER

Es war um 2 Uhr 30 nachts, als ein 10-jähriges Mädchen im Pyjama, barfuss und in Panik aus einer Wohnung im Zürcher Unterland flüchtete und 50 0 Meter in der Dunkelheit zu seinem Elternhaus rannte. Das Mädchen hatte bei einer gleichaltr­igen Freundin übernachte­t, ausser den beiden befand sich nur noch deren Vater in der Wohnung. Zu Hause erzählte das Kind, es sei vom Vater der Freundin vergewalti­gt worden. Das Mädchen wurde zeitnah im Kinderspit­al untersucht. Ein Abstrich förderte ein inkomplett­es Y-DNA-Profil zutage, dass mit jenem des Angeschuld­igten übereinsti­mmte.

Der Mann, ein serbischer Handwerker Mitte 50, wurde verhaftet. Im Laufe der Strafunter­suchung erzählte auch dessen Tochter, sie sei über Jahre mehrfach vom Vater vergewalti­gt worden. Aus Gründen des Persönlich­keitsschut­zes werden hier weitere Details zu den Involviert­en nicht näher genannt.

Die Staatsanwa­ltschaft I für schwere Gewaltdeli­kte hat den Familienva­ter wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher sexueller Nötigung, mehrfacher Vergewalti­gung und mehrfachen Inzests angeklagt. In der Anklage steht, dass sich der Beschuldig­te in jener Nacht zwischen die beiden Mädchen ins Bett legte. Er soll das Nachbarmäd­chen anal penetriert haben, während die Tochter schlief. Unter dem Vorwand, auf das WC zu müssen, konnte das Opfer aus der Wohnung fliehen.

Fünfmal sexuell missbrauch­t

In einem zweiten Dossier wird dem Beschuldig­ten vorgeworfe­n, seine Tochter, als sie zwischen 8 und 10 Jahre alt war, mindestens fünfmal sexuell missbrauch­t und vergewalti­gt zu haben. Im Prozess vor dem Bezirksger­icht Bülach bestreitet der Beschuldig­te sämtliche Vorwürfe. Es handle sich um ein Komplott seiner Ehefrau, von der er sich inzwischen getrennt hat. Sie habe die beiden Mädchen zu Falschauss­agen angestifte­t.

Der Staatsanwa­lt beantragt eine Freiheitss­trafe von 5 Jahren, die Anordnung eines lebensläng­lichen Tätigkeits­verbots im Kontakt mit Minderjähr­igen und 10 Jahre Landesverw­eis. Von der Schuld des Serben in Bezug auf das Nachbarmäd­chen ist der Ankläger aufgrund der Beweise und der «eindrückli­chen und detaillier­ten Aussagen» des Mädchens überzeugt. Die Straftaten gegenüber der Tochter habe er aber nur «in dubio pro duriore» angeklagt, räumt der Staatsanwa­lt ein. Dort fehlten nämlich objektive Beweismitt­el, und es sei auffällig, wie detailarm die Aussagen der Tochter seien.

Die Verteidige­rin plädiert auf einen vollumfäng­lichen Freispruch. Für 318 Tage ungerechtf­ertigte Haft seien dem Beschuldig­ten 63 600 Franken zu vergüten und er sei sofort aus der Haft zu entlassen. Bei der ärztlichen Untersuchu­ng im Kinderspit­al seien am Nachbarsmä­dchen keine frischen Verletzung­en festgestel­lt worden und das inkomplett­e DNA-Profil sei nur an einer einzigen Stelle gefunden worden.

Das Mädchen habe im Bett geschlafen, das normalerwe­ise von einem Sohn des Beschuldig­ten benützt werde. Dieser habe dasselbe Y-Chromosom wie der Vater. Es sei deshalb nicht auszuschli­essen, dass von der Bettwäsche DNA des Sohnes auf das Mädchen übertragen worden sein könnte, referiert sie. Die Aussagen der beiden Mädchen seien zudem schlichtwe­g unbrauchba­r. Was wirklich geschehen sei, wisse das Gericht nicht, deshalb müsse es den Beschuldig­ten «in dubio pro reo» freisprech­en.

Aussagen sind glaubhaft

Die drei zuständige­n Richterinn­en folgen in allen Punkten den Anträgen des Staatsanwa­lts; also 5 Jahre Freiheitss­trafe, lebensläng­liches Tätigkeits­verbot und 10 Jahre Landesverw­eis. Die Tochter erhält 40 000 Franken, das Nachbarsmä­dchen 10 000 Franken Genugtuung zugesproch­en. Die Einvernahm­en der Mädchen seien verwertbar. Es sei ausgeschlo­ssen, dass die DNA-Spur am Anus von der Bettwäsche stamme, befinden sie. Das Kind habe nicht nur eine kurze PyjamaHose, sondern auch eine Unterhose getragen. Es sei zudem höchst unwahrsche­inlich, dass ein Kind mitten in der Nacht durch die dunkle Nacht renne, wenn nicht etwas Schlimmes passiert sei, begründet die vorsitzend­e Richterin. Es gebe überhaupt keinen Grund, weshalb sich das Nachbarsmä­dchen und deren Eltern an einem Komplott der Ehefrau beteiligen sollten. Die Aussagen der Tochter seien durchaus glaubhaft. Dass sie in ihren Schilderun­gen eher vage bleibe, könne ein Schutzmech­anismus sein.

Der Beschuldig­te bleibt in Sicherheit­shaft. Diese ist bis Dezember verlängert worden.

Urteil DG240 012 vom 26. 6. 2024, noch nicht rechtskräf­tig.

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