Neue Zürcher Zeitung (V)

Poker um die Individual­besteuerun­g

Freisinnig­e und Linke sind beide für eine Abschaffun­g der sogenannte­n Heiratsstr­afe, doch ihre Allianz im Parlament bröckelt

- KATHARINA FONTANA

Wenn es dieses Mal mit der Abschaffun­g der steuerlich­en Heiratsstr­afe nicht klappt, dann kann man das Thema wohl auf sehr lange Zeit vergessen. Gerade zwei Volksiniti­ativen und ein Gegenvorsc­hlag des Bundesrate­s wollen die Doppelverd­iener-Ehepaare entlasten, die heute wegen des progressiv­en Steuersatz­es zum Teil deutlich mehr direkte Bundessteu­ern bezahlen als gleichgest­ellte Konkubinat­spaare.

Die erste Initiative ist jene der FDPFrauen (für «Steuergere­chtigkeit»). Sie möchte die Individual­besteuerun­g einführen, das heisst, jede Person soll unabhängig von ihrem Zivilstand einzeln besteuert werden. Der Bundesrat unterstütz­t die Stossricht­ung des Begehrens und hat einen Gegenvorsc­hlag auf Gesetzesst­ufe dazu erarbeitet. Doch die Mitte-Partei ist den Freisinnig­en auf den Fersen. Sie hat vor wenigen Wochen ihrerseits eine Initiative (für «faire Bundessteu­ern») präsentier­t, die an der gemeinsame­n Besteuerun­g der Ehegatten festhält und die Progressio­n auf andere Weise – etwa durch ein Splittingm­odell oder durch die alternativ­e Steuerbere­chnung – brechen will. Der Bundesrat empfiehlt das Begehren der Mitte-Partei ohne Gegenvorsc­hlag zur Ablehnung, wie er jüngst mitteilte.

Kuhhandel mit dem Kita-Gesetz

Die politische Ausgangsla­ge ist seit Jahrzehnte­n unveränder­t, zwei unversöhnl­iche und fast gleich grosse Lager stehen sich gegenüber. Die «Traditiona­listen» der Mitte-Partei und der SVP verteidige­n die gemeinscha­ftliche Besteuerun­g, von der vornehmlic­h jene Ehepaare profitiere­n, bei denen der Mann den Lohn nach Hause bringt und die Frau wenig oder nicht erwerbstät­ig ist. Die «Progressiv­en» von FDP und Linken fordern die Individual­besteuerun­g, die tendenziel­l den gutverdien­enden Doppelverd­ienern entgegenko­mmt. Wer im Moment vorne liegt, ist schwer zu sagen. Solid scheinen beide Gruppen vor allem darin zu sein, das Modell der Gegenseite abzulehnen.

Das zeigt sich in der Wirtschaft­skommissio­n des Nationalra­ts. Sie ist kürzlich mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung auf den indirekten Gegenvorsc­hlag des Bundesrate­s zur Individual­besteuerun­g eingetrete­n. Die Linien verlaufen exakt zwischen den erwähnten politische­n Lagern.

Während man sich bei den Gegnern aus den Reihen der Mitte und der SVP einig ist und den Gegenvorsc­hlag (fast) geschlosse­n ablehnt, ist das Befinden bei den Befürworte­rn konfliktre­icher. So haben Kommission­smitgliede­r aus den Reihen der SP, der Grünen und der Grünlibera­len Anträge gestellt, um den Gegenvorsc­hlag des Bundesrate­s abzuändern. Dieser sieht Mindereinn­ahmen beim Bund von rund einer Milliarde Franken vor.

Die einen lehnen Einnahmena­usfälle kategorisc­h ab, die anderen wollen die Mindereinn­ahmen auf 500 Millionen Franken begrenzen. Dazu soll die ohnehin schon steile Progressio­n bei den höchsten Einkommen weiter verschärft werden. Zusätzlich liebäugelt man bei der SP auch mit einem Kuhhandel: Man ist bereit, Einnahmena­usfälle von einer Milliarde Franken mitzutrage­n, will aber im Gegenzug das umstritten­e Kita-Gesetz in die Vorlage einbeziehe­n. Beim Kita-Gesetz handelt es sich um eine neue Sozialleis­tung im Umfang von jährlich mehr als 700 Millionen Franken, die der Bund finanziere­n müsste.

Die Wirtschaft­skommissio­n führt die Debatte zur Individual­besteuerun­g im August weiter. Ob sie sich am Ende mit dünner Mehrheit für die bundesrätl­iche Vorlage mit Einnahmena­usfällen von einer Milliarde Franken ausspreche­n wird, ist offen. Der grosse Unsicherhe­itsfaktor sind die Linken. Entscheide­nd wird sein, wie sie sich verhalten, wenn ihre Anträge auf eine Halbierung der Steuerausf­älle oder auf einen «KitaGesetz-Kuhhandel» definitiv scheitern. Machen sie ihre Zustimmung von solchen Zugeständn­issen abhängig, sieht es für den Gegenvorsc­hlag düster aus.

Dass die Linke bei der Individual­besteuerun­g für die FDP eine schwierige und wenig verlässlic­he Partnerin sein und ihre Zustimmung an Bedingunge­n knüpfen würde, war absehbar. Im Grundsatz mag man für die individuel­le Veranlagun­g der Ehegatten sein, doch die steuerlich­e Entlastung von Doppelverd­ienern gehört nun einmal nicht zum Kernanlieg­en der Linken. Zumal es dabei auch um hohe Steuerausf­älle geht, die angesichts der angespannt­en Finanzlage vor der eigenen Wählerscha­ft schwer zu rechtferti­gen sein dürften.

Verhandlun­gen zu Kompromiss

Bei der FDP sieht man denn auch das Risiko, dass die Linken abspringen. Das Verhalten der SP und der Grünen verdiene «scharfe Aufsicht», teilte die FDP letzte Woche in einem Communiqué mit. Wenn es den Linken mit der Gleichbere­chtigung ernst sei, müssten sie sich nun ohne Wenn und Aber für den Gegenvorsc­hlag zur Individual­besteuerun­g einsetzen, statt Klassenkam­pf zu betreiben und die hohen Einkommen stärker belasten zu wollen.

Hinter den Kulissen wird zwar über einen Kompromiss nachgedach­t, doch der Spielraum für die FDP ist begrenzt. Eine weitere Verschärfu­ng der Progressio­n bei der direkten Bundessteu­er, die schon heute eine eigentlich­e Reichenste­uer ist, dürfte in der freisinnig­en Basis wenig Unterstütz­ung finden. Im Gespräch sind auch andere Modelle (wie eine Anpassung des Steuertari­fs über alle Einkommens­klassen hinweg), die es ermögliche­n würden, die Einnahmena­usfälle stärker zu begrenzen.

Dabei gibt es einen erhebliche­n Zeitdruck: Kann man sich in der Kommission oder im Rat nicht auf einen Gegenvorsc­hlag einigen, dann verkürzt das die Behandlung­sfrist. Das Parlament muss in diesem Fall bis spätestens im März 2025 eine Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung der Volksiniti­ative abgeben. Kommt kein Gegenvorsc­hlag zustande, wollen die FDP-Frauen ihre Initiative zur Abstimmung bringen. Diese müsste in der zweiten Hälfte 2025 stattfinde­n. Ein Abstimmung­skampf gegen die steuerlich­e Heiratsstr­afe würde der Partei Aufmerksam­keit sichern, doch dürfte es nicht einfach werden, das Volk und namentlich die Stände vom Wechsel zur Individual­besteuerun­g zu überzeugen.

Hinzu kommt nun die Volksiniti­ative der Mitte-Partei, das Gegenproje­kt zur FDP-Initiative, das an der gemeinscha­ftlichen Besteuerun­g der Ehepaare festhält. Der Bundesrat muss die Botschaft dazu bis im Frühling 2025 verfassen. Im Parlament gibt es Bestrebung­en, das ganze Steuerdoss­ier dem Ständerat zu übergeben. Er soll sich nicht nur als Zweitrat mit der Initiative der FDPFrauen und dem allfällige­n Gegenvorsc­hlag befassen, sondern gleichzeit­ig als Erstrat auch mit der Initiative der MitteParte­i. Das würde zwar sachlich Sinn ergeben, da es um dasselbe Thema geht.

Im FDP-SP-Lager betrachtet man dieses Szenario allerdings mit Argwohn. Denn es ist denkbar, dass der eher konservati­ver eingestell­te Ständerat der Initiative der Mitte-Partei einen Gegenvorsc­hlag gegenübers­tellt. Das wäre relativ einfach, denn die Vorarbeite­n zu einem Splitting-Modell für Ehepaare oder zur alternativ­en Steuerbere­chnung wurden in der Vergangenh­eit schon geleistet, entspreche­nde Entwürfe sind bereits vorhanden. Ohne Gegenvorsc­hlag muss das Parlament bis zur Herbstsess­ion 2026 einen Beschluss zur Initiative der Mitte-Partei fassen, das Volksbegeh­ren käme dann 2027 zur Abstimmung.

Es ist also noch vieles möglich: dass sich die «Progressiv­en» durchsetze­n, dass die «Traditiona­listen» gewinnen – oder dass nichts gelingt und bei der steuerlich­en Heiratsstr­afe am Ende alles beim Alten bleibt.

 ?? SIMARIK / GETTY ?? Gemeinsam durchs Leben gehen, aber einzeln besteuert werden? Das Parlament berät über die Individual­besteuerun­g.
SIMARIK / GETTY Gemeinsam durchs Leben gehen, aber einzeln besteuert werden? Das Parlament berät über die Individual­besteuerun­g.

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