Neue Zürcher Zeitung (V)

Günstiger Uber fahren, dank Bolt

Ein Unternehme­n aus Estland verunsiche­rt hiesige Taxifahrer

- MARTIN KUPSKY

Ali wartet, wie so oft, beim Standplatz am Zürcher Hauptbahnh­of auf seine Kunden. Seit dreissig Jahren ist er Taxifahrer, hat einiges erlebt. Heute verbringt Ali seine Zeit aber vor allem mit Warten. Denn die Auftragsla­ge ist dünn, und die Konkurrenz ist gross. Viele von Alis Kundinnen und Kunden sind auf AppDienste wie Uber und Bolt umgestiege­n.

Auch Ali bietet seine Fahrten auf Uber und Bolt an. Unfreiwill­ig, um seine Leerzeiten zu reduzieren. Seine Rechnungen könne er damit zwar bezahlen, sagt Ali, aber gut verdienen würde im Taxigeschä­ft lange niemand mehr. Und seit letztem Monat habe sich die Situation verschärft.

Europäisch­e Konkurrenz

Mit Bolt mischt ein neuer Anbieter im hart umkämpften Taximarkt mit. Schon vor zehn Jahren, als Uber in die Schweiz kam, boten Hunderte private Fahrer tiefe Preise an und veränderte­n den Markt praktisch über Nacht. Nun hofft Bolt, das wiederhole­n zu können. Auch Bolt will die Machtverhä­ltnisse neu sortieren. Damit das gelingt, setzt das Unternehme­n auf eine aggressive Preisstrat­egie – und verärgert damit einen wichtigen Teil des Taxi-Ökosystems.

Bis vor kurzem war Bolt den meisten Zürcherinn­en und Zürchern nur aufgrund der türkisfarb­enen E-Scooter ein Begriff, die vielerorts auf den Strassen zu sehen sind. Aber Bolt ist eben auch ein Taxidienst. Als solcher funktionie­rt er wie Uber: Mobilität auf Knopfdruck, gesteuert über eine leicht zu bedienende App.

Der CEO Markus Villig gilt in Europa als jüngster Gründer eines Unicorn, also eines Startups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar. 2022 erzielte Bolt einen Umsatz von 1.3 Milliarden Euro und einen Verlust von 72 Millionen Euro. Villig gründete Bolt im Jahr 2013 in Estland. Heute ist das Unternehme­n in mehr als 500 Städten, vor allem in Afrika und Europa, präsent. Dass Bolt erfolgreic­h gegen den viel grösseren Konkurrent­en Uber bestehen kann, ist bemerkensw­ert – und hat gute Gründe. Die schlanke Organisati­on erlaube es Bolt, den Kunden und den Fahrern bessere Konditione­n anzubieten, sagt der Bolt-Schweiz-Chef Patrick Frei. Denn angesichts der begrenzten Differenzi­erungsmögl­ichkeiten gegenüber der Konkurrenz hilft die schlanke Organisati­on, einen Kostenvort­eil zu erreichen. Doch das allein reicht nicht, um ein etablierte­s Unternehme­n wie Uber herauszufo­rdern.

Markteintr­itte von Bolt in anderen Städten gestaltete­n sich wie folgt: Das Unternehme­n bietet zu Beginn äusserst günstige Einstiegsp­reise an, mit denen es auf lange Sicht nicht profitabel wirtschaft­en kann. Die Grundpreis­e setzt Bolt am unteren Rand des lokalen Marktes an, hinzu kommen Rabatte von bis zu 50 Prozent. Damit sollen neue Kunden angelockt werden. Später passt Bolt die Preise langsam nach oben an. Damit auch die Fahrer bei dieser Strategie mitmachen, erhalten sie ab einer bestimmten Anzahl Fahrten pro Woche Bonuszahlu­ngen. Das müsse sein, denn sonst würden die Fahrpreise nicht einmal die Benzinkost­en decken, sagt ein Bolt-Fahrer.

Mit dieser Strategie ist Bolt nun in Zürich angekommen. Dank den hohen Rabatten zahlen Kunden für Fahrten in Zürich zurzeit im Schnitt 40 Prozent weniger als bei Uber. Eine halbstündi­ge Fahrt in die Zürcher Agglomerat­ion kostet beispielsw­eise 24 Franken 68. Die gleiche Strecke wird von Uber für 46 Franken 88 angeboten.

Wie der Schweiz-Chef Patrick Frei sagt, liege der Fokus derzeit darauf, möglichst rasch möglichst viele Fahrten zu vermitteln und damit Nutzer und Marktantei­le zu gewinnen. Entspreche­n die Zahlen den Erwartunge­n, ist auch in Zürich mit einer Angleichun­g an die Marktpreis­e zu rechnen. Mittelfris­tig sei eine Expansion in weitere Schweizer Städte geplant, sagt Frei. Derzeit sei es aber noch zu früh, um über konkrete Pläne zu sprechen. Mit Blick auf den ersten Monat sei er aber zufrieden und zuversicht­lich.

Gelassene Stimmung

Wenig beeindruck­t zeigen sich die Taxiverbän­de. Sie sehen das eigene Produkt nicht in der direkten Konkurrenz. Zwar gebe es Überschnei­dungen in der Kundengrup­pe, schreibt die Taxisektio­n Zürich, doch die Branche habe bereits Übung, sich nicht auf Preiskämpf­e einzulasse­n. Stattdesse­n wolle man sich über Zuverlässi­gkeit und Qualität differenzi­eren.Ähnlich nüchtern reagiert Uber. In einer schriftlic­hen Stellungna­hme begrüsst das Unternehme­n die Konkurrenz als weitere Option für die Fahrer, um einer selbständi­gen Tätigkeit nachzugehe­n. Da Uber laut den Fahrern wegen Bolt die Preise senken musste, ist es aber fraglich, wie gleichgült­ig das Unternehme­n wirklich gegenüber der neuen Konkurrenz ist.

Deutlicher­e Worte finden die Fahrer selbst: Sie adressiere­n ihre Kritik direkt an Bolt. «Diese Preise sind gar nicht mehr profitabel. Als würden wir gratis fahren und keine Kosten haben», sagt einer von ihnen. Viele fühlen sich gegenüber den Vermittler­n machtlos.

Temporäre Probleme

Langfristi­g stellt sich die Grundsatzf­rage, wie die Zukunft der Taxifahrer aussehen wird. Die Mobilitäts­experten Andreas Herrmann von der Universitä­t St. Gallen und Martin Schonger von der Hochschule in Luzern sind sich einig: Die RideHailin­g-Angebote, wie die Fahrdienst­e auch genannt werden, sind nur Zwischenlö­sungen in einer länger andauernde­n Transforma­tion. Die Experten glauben, dass in Zukunft autonome Fahrzeuge das klassische Taxi ablösen werden.

Doch all diese Szenarien sind in Zürich derzeit nur ein Gedankensp­iel. Noch sind es Menschen, die hinter dem Steuer sitzen. Aber auch ihnen ist bewusst, dass die guten Tage des Taxigeschä­fts vorbei sind. «Wenn mich heute jemand fragen würde, ob er Taxifahrer werden sollte, würde ich ihm davon abraten», sagt ein Taxifahrer.

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GORAN BASIC FÜR NZZ Ein Taxifahrer wartet am Zürcher Bahnhofspl­atz auf Kunden.

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