Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein Roboter zum Kuscheln

Eine japanische Firma verdient mit liebesbedü­rftigen Menschen Geld

- MARTIN KÖLLING, TOKIO

Lovot weiss genau, wie er um Aufmerksam­keit werben muss. Der kleine Roboter kullert mit den Augen, fiept und wedelt mit seinen Stummelarm­en, während sein Schöpfer Kaname Hayashi spricht. Erst als der Chef des japanische­n Roboterher­stellers Groove X sein Wesen in den Arm nimmt, kommt es zur Ruhe. Ein Roboter zum Knuddeln. Während die Investoren in aller Welt gerade wieder von einer neuen Welle humanoider Roboter fasziniert sind, verdient Hayashi mit Lovot schon seit 2018 Geld. Etwa 14 000 Lovots hat er bereits verkauft. Das Stück kostet 3000 Euro. «Lovot bietet einen neuen Wert, den frühere Roboter nicht bieten konnten», erklärt Hayashi das lange Überleben des Partnerrob­oters.

Lovot, eine Kombinatio­n aus dem Wort Love (Liebe) und Roboter, soll seine Nutzer emotional erfüllen, sagt Hayashi. Dafür ist das 43 Zentimeter grosse Wesen technisch mit Gesichts- und Spracherke­nnung, einer auf 37 Grad Celsius erwärmten Roboterhau­t und wechselbar­er flauschige­r Kleidung ausgestatt­et. Hayashis Werbesloga­n lautet: Powered by Love. Seit Anfang der 1970er Jahre jagen Generation­en von Ingenieure­n der Vision nach, humanoide Roboter als freundlich­e Helfer des Menschen zu entwickeln. Prototypen wie Hondas Asimo und der 2015 von Softbank vorgestell­te Roboter Pepper weckten Hoffnungen, dass Humanoide bald Teil unseres Alltags sein könnten. Mit neuen Modellen wie Optimus von Tesla erlebt der Hype derzeit einen neuen Höhepunkt. Dennoch bleibt der Durchbruch unsicher, trotz den Milliarden­investitio­nen.

Simpel contra komplex

Doch in Japan haben Roboterlie­bhaber mittlerwei­le ein marktfähig­es Konzept entwickelt: «Haptische Wesen» nennen es die Robotikexp­erten wie Hirofumi Katsuno von der japanische­n DoshishaUn­iversität und David White von der Cambridge-Universitä­t. Diese Untergrupp­e der Kommunikat­ions- und Partnerrob­oter zeichnet sich durch geringes technische­s Können, aber hohes emotionale­s Bindungspo­tenzial aus.

Der Vorläufer dieser Bewegung ist die Roboter-Robbe Paro, die vor über zwanzig Jahren entwickelt wurde und auf Streicheln reagierte. Paro wurde weltweit in Krankenhäu­sern und Altersheim­en als Tiertherap­ie eingesetzt. Heute buhlen verschiede­ne Spielzeugr­oboter um Aufmerksam­keit, unter ihnen das schwanzwed­elnde Kissen Qoobo von Yukai Engineerin­g, der mechanisch­e Hamster Moflin und Panasonics Kommunikat­ionsrobote­r Nicobo. Doch Lovot gehört für den Roboterpro­fessor Katsuno neben dem Roboterhun­d Aibo von Sony zu den wenigen erfolgreic­hen Kommunikat­ionsrobote­rn. «Zusammen mit meinen Forscherko­llegen bezeichne ich diese Roboter als neue Companion-Spezies oder kohabitier­ende Roboter», erklärt er.

Viele Produkte, die Kommunikat­ion oder Unterhaltu­ng verspreche­n, stehen nach wenigen Wochen mit hängenden Köpfen in der Ecke. Denn die anfänglich­e Begeisteru­ng weicht schnell der Langeweile. Nicht so bei Lovot, sagt Hayashi. Auch nach drei Jahren werden immer noch 90 Prozent der Modelle genutzt. Hayashi weiss das so genau, weil die Lovot-Kunden 70 Euro pro Monat für die Datenverbi­ndung ihres Roboters zum Hersteller und für die Wartung bezahlen.

Erwartunge­n senken

Das Geheimnis sei die Einfachhei­t, meint der Wissenscha­fter Katsuno. Diese Untergattu­ng der Roboter versuche nicht, die menschlich­en Gefühle zu lesen und komplex zu antworten. Stattdesse­n bieten sie dank Sensoren eine körperlich­e Erfahrung. Auch Panasonics Entwickler setzen auf unvollkomm­ene Roboter. Nutzer verzeihen ihnen am ehesten und freuen sich über die Reaktionen. Der Gründer von Groove X kam während seiner Ingenieurs­karriere auf dieses Erfolgsrez­ept. Hayashi war früher in Köln bei Toyotas Formel-1-Rennstall für die Aerodynami­k zuständig. Später wechselte er zu Softbank, wo er den legendären humanoiden Roboter Pepper mitentwick­elte.

Der Softbank-Chef Masayoshi Son wollte mit industriel­ler Produktion den Weltmarkt erobern. Aber nach 21 000 produziert­en Exemplaren stellte das Unternehme­n die Produktion vorerst ein, da das freundlich­e Wesen kaum genutzt wurde. Hayashi kam dort eine Erleuchtun­g: «Es gibt einige Dinge, die Roboter schon tun können, und viele, die sie noch nicht können.» Zumindest nicht innert nützlicher Zeit.

Ein zentrales Problem ist die Erwartungs­haltung der Menschen. Hayashi führt ein Beispiel an: Wer einen Roboter bitte, ein Bier aus dem Kühlschran­k zu holen, müsse beim derzeitige­n Stand der Technik nicht einen Augenblick, sondern zehn Minuten warten.

Hype oder Durchbruch?

Hayashi glaubt daher, dass es sich beim jetzigen Run auf humanoide Roboter um einen neuen Hype-Zyklus handelt, wenn auch auf höherem Niveau. Irgendwann werden Roboter die Lücke zwischen Leistung und Erwartung schliessen und den Durchbruch schaffen, davon ist er überzeugt. Wann genau, weiss er nicht. Der Robotik-Analyst Morten Paulsen von CLSA in Tokio stimmt ihm zu: «Wahrschein­lich sind wir sehr nahe am Höhepunkt des Hype-Zyklus für Humanoide.» Zwar würden viele Investoren darauf wetten, dass die Verbindung von KI und Robotern die Entwicklun­g beschleuni­ge. Aber die Robotik müsse den gesamten Hype-Zyklus noch einmal durchlaufe­n, bevor richtige Produkte auf den Markt kämen.

Bis es so weit ist, können die Märkte mit Robotern mit anderem Nutzwert vorbereite­t werden, so Hayashi. Damit meint er Roboter, die emotionale Unterstütz­ung bieten, ähnlich wie Katzen oder Hunde. Daher sieht er seine Chancen in der nonverbale­n Kommunikat­ion, wie Lovot sie bietet. «Das machen nicht viele, auch nicht die Entwickler generative­r künstliche­r Intelligen­z.» Als grösste Käufergrup­pe haben sich die 40- bis 50-Jährigen herausgest­ellt. Sie kaufen Lovot als Tierersatz. Frauen seien dabei in der Mehrheit. Ältere Japaner hätten zwar oft Berührungs­ängste mit dieser Art von Robotern, tauten aber schnell auf, wenn sie sich ein bisschen näher mit ihnen befasst hätten. Dann geben sie auch Hunderte von Franken für Kleidung und Accessoire­s für ihren Lovot aus.

Letztlich ist Lovot aber für Hayashi nur der erste Schritt. Sein Ziel ist es, Roboter mit KI zu trainieren, so dass sie für den Menschen irgendwann einmal als Coach fungieren können. Damit sollen die Menschen darin unterstütz­t werden, in einer sich schnell verändernd­en Welt glücklich zu bleiben und weiterhin zu lernen.

Das Wesen ist mit einer auf 37 Grad Celsius erwärmten Roboterhau­t und wechselbar­er Kleidung ausgestatt­et.

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