Transitplätze verzweifelt gesucht
An Spitzentagen sind über tausend Wohnwagen ausländischer Fahrender unterwegs
Die Situation läuft seit Jahren immer wieder aus dem Ruder. Letztmals im April, als zwei Gruppen französischer Roma mit je rund zwanzig Wagen von der Polizei per Ultimatum davon abgehalten wurden, sich in zwei Waadtländer Gemeinden niederzulassen.
Erst nach stundenlangen Verhandlungen gaben die Fahrenden nach und zogen auf der Suche nach freien Stellplätzen in andere Kantone weiter. Im vergangenen Jahr kam es in Lausanne sogar zu einem juristischen Seilziehen, nachdem ein Parkplatz am Stadtrand zeitweise von über hundert Wohnwagen belegt worden war. Weil viele der Roma aus Frankreich kommen, war die Westschweiz im vergangenen Jahr besonders betroffen.
Doch auch in anderen Kantonen kommt es regelmässig zu Problemen. In Bern waren in den Sommermonaten über hundert Wagen unterwegs, mitunter mit ähnlichen Folgen: Es kam zu unvorhergesehenen und von den betroffenen Gemeinden unerwünschten Aufenthalten. Sie führten zu Unmut in der Bevölkerung und lösten Auseinandersetzungen mit den Behörden aus.
Druck auf Standplätze
Die Ursache dafür ist bekannt: Die Schweiz verfügt über viel zu wenig Halteplätze. Vor allem in den Sommermonaten können an Spitzentagen über tausend Wohnwagen von Fahrenden aus dem Ausland unterwegs sein. Nicht nur Konflikte mit der lokalen Bevölkerung sind die Folge davon, sondern auch wachsender Druck auf die ohnehin knappen Standplätze für Fahrende aus der Schweiz. Dorthin weichen die ausländischen Fahrenden aus, falls sie anderswo keinen Platz finden.
Dabei steht eigentlich fest, dass die Schweiz genügend Halteplätze bereitstellen muss. Das ergibt sich nicht nur aus dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU, sondern auch aus einem Bundesgerichtsentscheid von 2003: Es besteht danach ein Recht auf eine nomadische Lebensform. Und dieses muss unabhängig von der Nationalität der Fahrenden in der Raumplanung berücksichtigt werden.
Der Bund hat deshalb im März ein Konzept in die Vernehmlassung geschickt, um in der ganzen Schweiz mehr Transitplätze für Fahrende aus dem Ausland zu finden. Der Mehrbedarf ist massiv. Derzeit gibt es in der Schweiz nur gerade sieben Halteplätze mit insgesamt rund 220 Stellplätzen, welche von ausländischen Fahrenden aufgesucht werden dürfen. Notwendig aber wären gemäss Angaben des Bundes 14 bis 18 Transitplätze mit 400 bis 490 Stellplätzen.
Um die nötigen Plätze zu schaffen, setzt der Bund auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen einerseits sowie unter den Kantonen andererseits. Wenn Bund und Kantone ihre Bemühungen besser koordinierten, seien auch die Resultate besser, so lautet die Stossrichtung eines Konzeptes, das er im März in die Vernehmlassung schickte. Der Bund soll dabei vor allem bei der Planung und Koordination mithelfen. Ausserdem will er «prüfen», ob er selber über geeignete Grundstücke verfügt.
Der Bund ist gefordert
Vor allem macht er aber in dem Konzept klar, dass er die Hauptverantwortung bei den Kantonen sieht. Sie seien dafür zuständig, die geeigneten Transitplätze zu finden und zur Verfügung zu stellen. Die Gemeinden sollen dafür im Rahmen der Nutzungsplanung geeignete Zonen ausscheiden. Auch der Betrieb der Transitplätze liegt in der Verantwortung der Standortkantone. Und schliesslich sollen die Baukosten sowie die nicht durch Gebühren gedeckten Betriebskosten «auf geeignete Weise von den Kantonen gemeinsam getragen» werden.
Diese einseitige Lastenteilung stösst allerdings vielen Kantonen sauer auf. Sie sind der Ansicht, der Bund drücke sich um eine Aufgabe, die eigentlich in seine Zuständigkeit falle. Die Hauptverantwortung liege beim Bund, schreibt beispielsweise der Kanton Bern klipp und klar in seiner Vernehmlassungsantwort.
Wegen seiner ausländerrechtlichen Zuständigkeit sei er es, der mehr Verantwortung für die Bereitstellung und den Betrieb der Transitplätze übernehmen müsse. Auch müsse sich der Bund wesentlich an den Kosten für neue Halteplätze beteiligen. Ohne eine finanzielle Beteiligung des Bundes sei das Konzept schlicht nicht zielführend.
Aus dem Kanton Waadt, wo sich die Situation in den letzten Monaten besonders zugespitzt hatte, klingt es ähnlich: Letztlich auferlege der Bund den Kantonen nur Pflichten, tue selber aber zu wenig. Die vage Zusage, der Bund wolle prüfen, ob er selber geeignete Grundstücke zur Verfügung stellen könne, bringe voraussichtlich nicht viel. Zumindest nicht, solange damit keine klare Verpflichtung verbunden sei.
Der Kanton Waadt habe nämlich in der Vergangenheit bereits Anfragen beim Bundesamt für Strassen (Astra) oder bei Armasuisse deponiert, ohne dass dabei etwas herausgekommen sei. Auch andere Kantone sind der Meinung, die Anforderungen seien so hoch, dass sich der Bund stärker beteiligen müsse.
Konflikte «vorprogrammiert»
Das Gerangel erinnert an die Suche nach Asylunterkünften, bei der sich Bund und Kantone ebenfalls regelmässig den Ball zuschieben. Luzern stellt diesen Zusammenhang in seiner Vernehmlassungsantwort sogar explizit her: Der Kanton erachtet es «als zielführender, wenn die erforderlichen Plätze für ausländische Fahrende – in Analogie zum Beispiel zu den Bundesasylzentren – auf Ebene des Bundes eruiert und geplant würden». Infrage kämen beispielsweise nicht mehr benötigte Flächen des Militärs.
Wie sehr sich die Lage in den nächsten Monaten zuspitzen könnte, zeigt die Stellungnahme der Radgenossenschaft der Landstrasse zum Konzept, der Dachorganisation der Jenischen und Sinti der Schweiz. Der Unmut, ja der Zorn sei gross, schreibt der Verband. Es sei jetzt Sache des Bundes, die Schaffung von Plätzen für Schweizer Jenische und Sinti endlich zu unterstützen – und zwar «nicht bloss in Planspielen». An zweiter Stelle braucht es Plätze für ausländische Roma, um den Druck auf Jenische und Sinti zu mindern.
Die Radgenossenschaft sieht gar die nomadische Lebensform bedroht, wenn die Schweiz nicht endlich handle. Es drohe nämlich «jede Mobilität aufzuhören und jede Rotation unmöglich zu werden». Familien, die einen Platz hätten, blieben darauf sitzen, weil sie keine nächste Haltemöglichkeit sähen. Kurz und knapp fordert die Radgenossenschaft deshalb eine Notvorlage des Bundes – sonst seien weitere Konflikte «leider vorprogrammiert».