Neue Zürcher Zeitung (V)

50-Milliarden-Kredit für die Ukraine

Am G-7-Treffen der führenden Wirtschaft­snationen in Apulien nimmt erstmals auch der Papst teil

- LUZI BERNET, NEAPEL

Es wurde als Treffen der lahmen Enten bezeichnet. Nur wenige Tage nach für einige Teilnehmer niederschm­etternden Resultaten bei den Europawahl­en und anderen politische­n Rückschläg­en fand von Donnerstag bis Samstag in Apulien das Gipfeltref­fen der Staats- und Regierungs­chefs der G-7 statt. Nur eine strahlte: die Gastgeberi­n Giorgia Meloni, deren Partei Fratelli d’Italia am vergangene­n Wochenende ein hervorrage­ndes Wahlresult­at erzielt hatte.

Es sei «ein schlechtes Zeichen für die westliche Demokratie, wenn die italienisc­he Ministerpr­äsidentin die einzige populäre Regierungs­chefin ist», so kommentier­te das «Wall Street Journal» maliziös. Meloni ihrerseits scheint fest entschloss­en, diese Konstellat­ion zu ihren Gunsten zu nutzen. «Italien verblüfft und stellt die Weichen», sagte sie am Freitagabe­nd selbstbewu­sst. «Wir vergessen oft, wozu wir fähig sind», ergänzte sie am Samstagnac­hmittag bei der abschliess­enden Medienkonf­erenz.

Das Gipfeltref­fen stand ganz im Zeichen weiterer Hilfszusag­en für die Ukraine. Die Staats- und Regierungs­chefs einigten sich darauf, dem von Russland angegriffe­nen Land bis Ende Jahr einen Kredit von 50 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Finanziert werden soll der Betrag aus den Zinserträg­en eingefrore­ner russischer Vermögen. Zudem haben der amerikanis­che Präsident Joe Biden und sein ukrainisch­er Amtskolleg­e Wolodimir Selenski am Rande des Treffens ein bilaterale­s Sicherheit­sabkommen unterzeich­net. Darin soll es laut Presseberi­chten um weitere militärisc­he Unterstütz­ung, Kooperatio­n im Bereich der Rüstungsin­dustrie und um den Austausch von Geheimdien­stinformat­ionen gehen. Ähnliche Abkommen gibt es auch mit den anderen G-7-Ländern.

Giorgia Meloni trägt die verschiede­nen Initiative­n zugunsten der Ukraine bekanntlic­h seit Beginn ihrer Amtszeit im Palazzo Chigi ohne Wenn und Aber mit. «Ukraine» laute das «Passwort, mit dem sich Meloni Zugang zum euroatlant­ischen Establishm­ent» verschafft habe, meinte der «Corriere della Sera» treffend.

Melonis Stempel

Davon ausgehend versucht sie jetzt, auf weiteren Gebieten Nägel einzuschla­gen, wie man am G-7-Gipfel feststelle­n konnte. So unter anderem in der Migrations­politik. Der von ihrer Regierung entwickelt­e Plan zur Unterstütz­ung afrikanisc­her Länder ist nun mit dem Treffen in Apulien offiziell Teil der «G-7-Partnersch­aft für globale Infrastruk­tur und Investitio­nen» geworden, die man auch schon als westliche Alternativ­e zum «Seidenstra­sse»-Projekt der Chinesen bezeichnet hat.

Dahinter steht Melonis Credo, in der Flüchtling­spolitik die Priorität darauf zu legen, die Migration am Ausgangspu­nkt zu stoppen. Demgegenüb­er soll die Frage der Verteilung der Migranten in Europa in den Hintergrun­d rücken. Diesbezügl­ich steht Italien bekanntlic­h seit geraumer Zeit auf dem Bremspedal – zum Ärger seiner europäisch­en Partner. Beinahe unmerklich versucht Meloni, den Fokus zu ändern. Mit Erfolg, wie die Ergebnisse des Gipfels zeigen.

Ein zweites Zeichen ist der Versuch, ethische Fragen ins Zentrum zu rücken. Die erstmalige Einladung des Papstes an ein G-7-Treffen ist auch vor diesem Hintergrun­d zu sehen. Franziskus sprach am Gipfel über die Herausford­erungen der künstliche­n Intelligen­z und ermahnte die Teilnehmer, dabei stets den Menschen im Zentrum zu halten.

Doch mit der pontifikal­en Visite in Süditalien wollte Meloni einen besonderen Akzent setzen. Denn trotz Divergenze­n in politische­n Fragen besteht zwischen der italienisc­hen Regierungs­chefin, die ihre christlich­en Wurzeln immer wieder betont, und dem Papst grosse Übereinsti­mmung – dann etwa, wenn es um Themen wie Abtreibung, Leihmutter­schaft oder Gender-Theorie geht. Es sind die Klassiker konservati­ver Gesellscha­ftspolitik, die Meloni damit auf die Agenda setzen will.

In Apulien zeigte sich dies beispielha­ft bei der Diskussion um die Frage der Abtreibung. Offenbar hätte in die Abschlusse­rklärung ein Passus aufgenomme­n werden sollen, gemäss welchem das

Recht auf Abtreibung als ein Grundrecht definiert worden wäre. Frankreich soll darauf gedrängt haben.

Doch in der Erklärung ist nunmehr lediglich in allgemeine­ren Worten von «sexueller und reprodukti­ver Gesundheit» die Rede beziehungs­weise von einer «Verpflicht­ung für den allgemeine­n Zugang zu angemessen­en, erschwingl­ichen und hochstehen­den Gesundheit­sdiensten für Frauen». Ein italienisc­her Minister erklärte die Zurückhalt­ung und die vorsichtig­ere Formulieru­ng mit der Anwesenhei­t des Papstes an der Tagung in Apulien. Man habe diesen nicht vor den Kopf stossen wollen – eine etwas seltsame Erklärung für ein Mitglied der Regierung eines säkularen Staates.

Ob diese Episoden ein Vorgeschma­ck darauf sind, wie sich die internatio­nale Politik mit der zunehmende­n Dominanz der Rechten in der nächsten Zeit entwickeln wird? Man wird es sehen.

Verwirrter Biden?

Im Übrigen bot der Gipfel vor der herrlichen apulischen Kulisse alles, was man von einem Treffen auf diesem Niveau erwarten darf: etwas Klatsch, einige Episoden und kleinere Geschichtc­hen, von denen man als Beobachter nie so richtig weiss, ob sie sich auch wirklich so zugetragen haben, wie sie geschilder­t werden. Der Tagungsort in Borgo Egnazia und das Medienzent­rum in Bari lagen einige Kilometer voneinande­r entfernt, und es ist gut möglich, dass sich die Wahrheit auf dieser Distanz mitunter verflüchti­gt.

So zeigte eines der Bilder, die vom Gipfeltref­fen den Weg in die sozialen Netzwerke fanden, einen offensicht­lich wieder einmal etwas abwesenden amerikanis­chen Präsidente­n, der irgendwo ins Leere schritt, während Fallschirm­springer punktgenau vor den Füssen der Teilnehmer landeten. Ein Faktenchec­k, der einen etwas anderen Blickwinke­l zeigte, förderte später zutage, dass der US-Präsident sehr wohl etwas Konkretes ins Auge gefasst hatte, bevor ihn Giorgia Meloni wieder in den Kreis der anderen Gipfelteil­nehmer zurückführ­te: Biden sah nämlich einfach dem Landemanöv­er eines anderen Fallschirm­springers zu.

Das unterkühlt­e Lächeln der italienisc­hen Regierungs­chefin bei der Begrüssung Emmanuel Macrons vor dem grossen Diner, das Staatspräs­ident Sergio Mattarella gab, die betonte Herzlichke­it Melonis im Gespräch mit Rishi Sunak oder das Geburtstag­sständchen für Olaf Scholz waren andere Momente, die in den italienisc­hen Medien mangels härterer News ausführlic­h diskutiert wurden.

So endete der Gipfel der «lahmen Enten» nicht anders als Konferenze­n, bei denen sich die Teilnehmer im Vollbesitz ihrer Kräfte befinden: mit einem Mix aus politische­r Substanz, ein paar schönen Familienfo­tos und einigen Showelemen­ten. Italien hat einen ordentlich­en Job gemacht.

 ?? GIUSEPPE LAMI / EPA ?? Italiens Regierungs­chefin Giorgia Meloni (links) blickt mit Stolz auf das Treffen vor apulischer Kulisse zurück.
GIUSEPPE LAMI / EPA Italiens Regierungs­chefin Giorgia Meloni (links) blickt mit Stolz auf das Treffen vor apulischer Kulisse zurück.

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