Auf die grosse Bühne folgt die stille Diplomatie
Die Konferenz ist für die Schweiz nur ein kleiner, aber beachtlicher Erfolg
Der Gipfel auf dem Bürgenstock stand in direkter Konkurrenz zur Fussball-Europameisterschaft in Deutschland. Während aus Köln gleich drei Tore der Nationalmannschaft vermeldet wurden, sorgte die Bürgenstock-Konferenz für keinen medialen Knalleffekt. Die Schweiz, die sich weit aus dem Fenster gelehnt hat, kann froh sein, dass die weltweiten PushNachrichten ausgeblieben sind: Alle 101 Delegationen sind sicher abgereist, Eklats vor den laufenden Kameras blieben aus.
Praktisch alle ausländischen Gäste, die sich übers Wochenende zu Wort meldeten, dankten der Schweiz für den reibungslosen Ablauf. Das sind mehr als diplomatische Floskeln. Einen Gipfel mit so vielen Teilnehmern zu organisieren, ist auch im internationalen Vergleich eine ausserordentliche Leistung. Von einem vergleichbaren Ausmass waren höchstens die Klimakonferenzen in Paris oder Kyoto. Die Schweiz konnte beweisen, dass sie die Rolle des geopolitischen Hoteliers beherrscht.
Auftritt als Ausrufezeichen
Doch das allein reicht nicht: Die Schweizer Diplomatie hatte den Anspruch, tatsächlich einen Friedensprozess anzustossen. Vor den internationalen Medien formulierte es Bundespräsidentin Viola Amherd so: «Wir haben erreicht, was unter den Vorzeichen zu erreichen war.» Es gab ein «Joint Communiqué», das aber insbesondere von keinem der Brics-Staaten unterzeichnet worden war. Brasilien, Indien und Südafrika waren anwesend, hielten sich aber auffällig zurück.
Im Vorfeld hatte sich das Aussendepartement (EDA) insbesondere auch um eine Teilnahme Chinas bemüht. Zunächst sendete das chinesische Aussenministerium positive Signale aus. Nach dem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin Mitte Mai in Peking erhielt Bern eine Absage. Xi Jinping scheint – anders als seine Diplomaten – eher an die Kraft der Machtpolitik zu glauben als an eine regelbasierte Sicherheitsordnung.
Denn genau darum ging es auf dem Bürgenstock: Die Teilnahme am Gipfel war ein Bekenntnis zu den zivilisatorischen Prinzipien der Uno-Charta. Politische Ziele sollen nicht mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden. Der gemeinsame Auftritt der Bundespräsidentin mit Selenski, der EU-Kommissions-Vorsitzenden, den Staatsoberhäuptern Ghanas und Chiles sowie dem kanadischen Premier setzten ein deutliches Ausrufezeichen hinter diese Botschaft.
Insbesondere die kurze Ansprache des chilenischen Präsidenten Gabriel Boric sendete ein klares Zeichen an Moskau aus: «Zum ersten Mal sind zahlreiche Vertreter aus zahlreichen Ländern zusammengekommen, um über Frieden statt über Krieg zu diskutieren.» Ein pointiert linker Politiker aus Südamerika nutzte die Bühne in der Schweiz, um ein Signal nach Russland zu senden: Die postkoloniale Rhetorik Moskaus verfängt nicht überall auf der südlichen Hemisphäre.
Der Kreml bekämpfte den Gipfel auf allen Kanälen. Das Narrativ, ohne Russland lasse sich gar nicht über den Frieden reden, hielt sich auch in der Schweiz bis zur letzten Medienkonferenz. Mit einer gewissen eidgenössischen Griesgrämigkeit wurde der Gipfel kleingeredet. Friedensforscher, Experten, aber auch Diplomaten, die am Gipfel keine Rolle spielten, mäkelten auf allen Kanälen am aussenpolitischen Handwerk Berns herum.
Tatsächlich entspricht es nicht den Gepflogenheiten der schweizerischen Diplomatie, ihre Guten Dienste laut anzukündigen, bevor überhaupt die Grundlagen gelegt sind. Die Bundespräsidentin hat das EDA ziemlich überrumpelt, als sie Selenski am 15. Januar bei seinem Besuch auf dem Lohn bei Kehrsatz direkt zusagte, in der Schweiz einen «Friedensgipfel» zu organisieren. Schon diese Bezeichnung weckte eine falsche Erwartung, die kaum mehr korrigiert werden konnte.
Doch auch das unerklärte Hauptziel, auf dem Bürgenstock einen Friedensprozess aufzugleisen, konnte schliesslich nicht öffentlich verkündet werden. Immerhin scheint ein Folgetreffen mit der Beteiligung Moskaus nicht ausgeschlossen zu sein. In diesem Zusammenhang ist es als kleinen Erfolg Berns zu werten, dass der saudische Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan seinen Aufenthalt in der Schweiz trotz einem hohen islamischen Feiertag verlängert hat.
Die Teilnahme am Gipfel war ein Bekenntnis zu den zivilisatorischen Prinzipien der UnoCharta. Politische Ziele sollen nicht militärisch durchgesetzt werden.
Debriefing vor allem mit China
Saudiarabien könnte – eventuell noch vor den amerikanischen Wahlen im November – zu einem weiteren Gipfel einladen. Zuvor treffen sich aber noch die BricsStaaten zusammen mit Russland zu einer alternativen Konferenz. Der EDA-Chef Ignazio Cassis kündigte am Sonntagnachmittag an, in den nächsten Monaten die «Konvergenz» der beiden Prozesse zu unterstützen – konkret: Gemeinsamkeiten zu suchen und diese zusammenzuführen.
Das EDA wolle deshalb an die Reisetätigkeit im Vorfeld der BürgenstockKonferenz anknüpfen, erklärte Cassis. Es werde jetzt mit den Staaten, «an deren Tür wir geklopft haben», ein Debriefing geben. Gemeint sind wohl vor allem China, Brasilien und Indien. Nach der grossen Bühne auf dem Bürgenstock kehrt Bern zu seiner alten Tugend zurück: der Kleinarbeit der stillen Diplomatie im Hintergrund.