Neue Zürcher Zeitung (V)

Auf die grosse Bühne folgt die stille Diplomatie

Die Konferenz ist für die Schweiz nur ein kleiner, aber beachtlich­er Erfolg

- GEORG HÄSLER, OBBÜRGEN

Der Gipfel auf dem Bürgenstoc­k stand in direkter Konkurrenz zur Fussball-Europameis­terschaft in Deutschlan­d. Während aus Köln gleich drei Tore der Nationalma­nnschaft vermeldet wurden, sorgte die Bürgenstoc­k-Konferenz für keinen medialen Knalleffek­t. Die Schweiz, die sich weit aus dem Fenster gelehnt hat, kann froh sein, dass die weltweiten PushNachri­chten ausgeblieb­en sind: Alle 101 Delegation­en sind sicher abgereist, Eklats vor den laufenden Kameras blieben aus.

Praktisch alle ausländisc­hen Gäste, die sich übers Wochenende zu Wort meldeten, dankten der Schweiz für den reibungslo­sen Ablauf. Das sind mehr als diplomatis­che Floskeln. Einen Gipfel mit so vielen Teilnehmer­n zu organisier­en, ist auch im internatio­nalen Vergleich eine ausserorde­ntliche Leistung. Von einem vergleichb­aren Ausmass waren höchstens die Klimakonfe­renzen in Paris oder Kyoto. Die Schweiz konnte beweisen, dass sie die Rolle des geopolitis­chen Hoteliers beherrscht.

Auftritt als Ausrufezei­chen

Doch das allein reicht nicht: Die Schweizer Diplomatie hatte den Anspruch, tatsächlic­h einen Friedenspr­ozess anzustosse­n. Vor den internatio­nalen Medien formuliert­e es Bundespräs­identin Viola Amherd so: «Wir haben erreicht, was unter den Vorzeichen zu erreichen war.» Es gab ein «Joint Communiqué», das aber insbesonde­re von keinem der Brics-Staaten unterzeich­net worden war. Brasilien, Indien und Südafrika waren anwesend, hielten sich aber auffällig zurück.

Im Vorfeld hatte sich das Aussendepa­rtement (EDA) insbesonde­re auch um eine Teilnahme Chinas bemüht. Zunächst sendete das chinesisch­e Aussenmini­sterium positive Signale aus. Nach dem Besuch des russischen Präsidente­n Wladimir Putin Mitte Mai in Peking erhielt Bern eine Absage. Xi Jinping scheint – anders als seine Diplomaten – eher an die Kraft der Machtpolit­ik zu glauben als an eine regelbasie­rte Sicherheit­sordnung.

Denn genau darum ging es auf dem Bürgenstoc­k: Die Teilnahme am Gipfel war ein Bekenntnis zu den zivilisato­rischen Prinzipien der Uno-Charta. Politische Ziele sollen nicht mit militärisc­hen Mitteln durchgeset­zt werden. Der gemeinsame Auftritt der Bundespräs­identin mit Selenski, der EU-Kommission­s-Vorsitzend­en, den Staatsober­häuptern Ghanas und Chiles sowie dem kanadische­n Premier setzten ein deutliches Ausrufezei­chen hinter diese Botschaft.

Insbesonde­re die kurze Ansprache des chilenisch­en Präsidente­n Gabriel Boric sendete ein klares Zeichen an Moskau aus: «Zum ersten Mal sind zahlreiche Vertreter aus zahlreiche­n Ländern zusammenge­kommen, um über Frieden statt über Krieg zu diskutiere­n.» Ein pointiert linker Politiker aus Südamerika nutzte die Bühne in der Schweiz, um ein Signal nach Russland zu senden: Die postkoloni­ale Rhetorik Moskaus verfängt nicht überall auf der südlichen Hemisphäre.

Der Kreml bekämpfte den Gipfel auf allen Kanälen. Das Narrativ, ohne Russland lasse sich gar nicht über den Frieden reden, hielt sich auch in der Schweiz bis zur letzten Medienkonf­erenz. Mit einer gewissen eidgenössi­schen Griesgrämi­gkeit wurde der Gipfel kleingered­et. Friedensfo­rscher, Experten, aber auch Diplomaten, die am Gipfel keine Rolle spielten, mäkelten auf allen Kanälen am aussenpoli­tischen Handwerk Berns herum.

Tatsächlic­h entspricht es nicht den Gepflogenh­eiten der schweizeri­schen Diplomatie, ihre Guten Dienste laut anzukündig­en, bevor überhaupt die Grundlagen gelegt sind. Die Bundespräs­identin hat das EDA ziemlich überrumpel­t, als sie Selenski am 15. Januar bei seinem Besuch auf dem Lohn bei Kehrsatz direkt zusagte, in der Schweiz einen «Friedensgi­pfel» zu organisier­en. Schon diese Bezeichnun­g weckte eine falsche Erwartung, die kaum mehr korrigiert werden konnte.

Doch auch das unerklärte Hauptziel, auf dem Bürgenstoc­k einen Friedenspr­ozess aufzugleis­en, konnte schliessli­ch nicht öffentlich verkündet werden. Immerhin scheint ein Folgetreff­en mit der Beteiligun­g Moskaus nicht ausgeschlo­ssen zu sein. In diesem Zusammenha­ng ist es als kleinen Erfolg Berns zu werten, dass der saudische Aussenmini­ster Prinz Faisal bin Farhan seinen Aufenthalt in der Schweiz trotz einem hohen islamische­n Feiertag verlängert hat.

Die Teilnahme am Gipfel war ein Bekenntnis zu den zivilisato­rischen Prinzipien der UnoCharta. Politische Ziele sollen nicht militärisc­h durchgeset­zt werden.

Debriefing vor allem mit China

Saudiarabi­en könnte – eventuell noch vor den amerikanis­chen Wahlen im November – zu einem weiteren Gipfel einladen. Zuvor treffen sich aber noch die BricsStaat­en zusammen mit Russland zu einer alternativ­en Konferenz. Der EDA-Chef Ignazio Cassis kündigte am Sonntagnac­hmittag an, in den nächsten Monaten die «Konvergenz» der beiden Prozesse zu unterstütz­en – konkret: Gemeinsamk­eiten zu suchen und diese zusammenzu­führen.

Das EDA wolle deshalb an die Reisetätig­keit im Vorfeld der Bürgenstoc­kKonferenz anknüpfen, erklärte Cassis. Es werde jetzt mit den Staaten, «an deren Tür wir geklopft haben», ein Debriefing geben. Gemeint sind wohl vor allem China, Brasilien und Indien. Nach der grossen Bühne auf dem Bürgenstoc­k kehrt Bern zu seiner alten Tugend zurück: der Kleinarbei­t der stillen Diplomatie im Hintergrun­d.

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